Michael Ostrowski: Der Onkel

Roman

Hamburg ; Rowohlt ; 2022 ; 320 Seiten ; ISBN 978-3-498-00329-6

Auf dem Buchcover sieht man eine künstlerische Strichzeichnung Huhn, Würfel
Copyright © Rowohlt Verlag

Irgendwie merkwürdig, irgendwie lässt einen dieses Buch dann doch ein bisserl ratlos zurück, irgendwie zumindest. Schauspieler und Teilzeit-Kabarettist Michael Ostrowski (im deutschen, besser süddeutschen, Raum bekannt als Pathologe bei den Eberhofer-Filmen oder als Privatdetektiv in den Passau-Krimis) legt mit Der Onkel seinen ersten Roman vor. Zuvor hat er die Geschichte, in der er selbst die Rolle seiner Hauptfigur spielt, in seiner Heimat Österreich ins Kino gebracht – flankiert von seinen Schauspielkollegen Anke Engelke, seiner Lebensgefährtin Hilde Dalik und Simon Schwarz. Der gebürtige Steirer mit dem Wiener Schmäh macht halt alles ein bisserl anders, irgendwie.

Und darum geht’s: Der verschollen geglaubte Lebemann Mike Bittini erfährt, dass sein Bruder – ein erfolgreicher Immobilienanwalt – ins Koma gefallen ist. Er kehrt zurück zu dessen Familie, schleicht sich dort ein wie der Habicht in den Hühnerstall und mischt alle und alles ordentlich auf. Der Onkel kommt um zu helfen, erzeugt aber Chaos und findet schlußendlich die Liebe.

Der Roman besticht durch seinen immer weitertreibenden Schreibstil, passend zu Protagonist Mike – einem Lauser, ein Gauner, einem absoluten Antihelden, der in der Geschichte selbst ein Getriebener ist. Ostrowski erzählt sein schräges, oft witziges aber manchmal stark überzogenes Gschichterl in schönster österreichischer Sprache, die man eigentlich nur mit dem wunderbaren Wort „Schmäh“ beschreiben kann. Glücklich seien hier jene, die diesen Roman (so wie ich) auf östereichisch lesen können, dann zündet der Plot so richtig, das Ende jedoch lässt aber dann doch Fragen offen, irgendwie.

Fazit: „Der Onkel“ - herrlich schräg mit Wiener „Schmäh“ – irgendwie …

Wolfgang Gonsch

3,5 Sterne
3/4 von 5

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© 2023 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth, Cover: Copyright © Rowohlt Verlag

 

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Benjamin Lahusen: Der Dienstbetrieb ist nicht gestört

Die Deutschen und ihre Justiz 1943 - 1948

München ; C.H. Beck ; 2022 ; 384 Seiten ; ISBN 978-3-406-79026-3

Auf dem Buchcover ist im Vordergrund eine Statue mit Schwert und Waage abgebildet, im Hintergrund ein Gebäude
Copyright © Verlag C.H. Beck

Am 24. Februar 2022 startete Russland seine als „Spezialoperation“ titulierte Invasion in die Ukraine. „Das Recht als System kann solche Vorgänge verdrängen
…. Ein Mensch kann das nicht“
, schreibt Lahusen dazu in seinem Vorwort. Als 1945 gegen Ende des proklamierten tausendjährigen Dritten Reiches die staatliche Ordnung nur noch rudimentär funktionierte, sollte man davon ausgehen, dass durch Bombenangriffe auch auf Justizgebäude sowie den massenhaften Abzug von dem in der Justiz eingesetztem Personal auf allen Ebenen (von den höchsten Richtern bis zur Schreibkraft) es selbstverständlich in großen Teilen des Reiches und in den eroberten und annektierten Gebieten zu einem Justitium, also einem Stillstand der Rechtspflege kam. Weit gefehlt, es gab einen Bereich, der unverändert weiterzuarbeiten schien: die Justiz!

 

Zu welchen abstrusen Regelungen, Entwicklungen und Verfahrensabläufen es deswegen zwischen 1943 und 1948 kam, erläutert teils humorvoll, aber absolut umfassend Benjamin Lahusen in seinem außergewöhnlichen Buch: Der Dienstbetrieb ist nicht gestört. Die Deutschen und ihre Justiz 1943 – 1948.

Benjamin Lahusen, Professor für Bürgerliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Viadrina in Frankfurt/Oder, ist seit 2020 auch Geschäftsführer der Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz.

Nach einer Einleitung nähert sich Lahusen dem Thema in insgesamt sieben Kapiteln. Er hat dazu ca. 40 Archive in den verschiedensten Ländern durchforstet. Seine Erkenntnisse fußen somit auf einem reichen Literaturfundus. „Das Recht durfte
den Krieg nicht stören, aber umgekehrt durfte auch der Krieg das Recht nicht zu sehr stören“
, war die vorgegebene Leitlinie für die Justiz, so der Autor. De facto kam es auch nie zu einem Justitium, der juristische Dienstbetrieb wurde mehr oder weniger ununterbrochen am Laufen gehalten, so gesehen wurde stets und ständig ein gewisser Grad an Normalität erhalten. Dies ist das Thema des ersten Kapitels, in dem Lahusen aufzeigt, wie trotz Einbruch und Rückzug an allen Fronten der Gerichtsbetrieb aufrechterhalten wurde. Selbst als in den zahlreichen Bombennächten Justizgebäuden dem Erdboden gleichgemacht wurden,
verhandelte und urteilte man weiter. Es wurden die Standorte der Gerichte verlegt, tonnenweise Akten und Mobiliar inklusive des die Dokumente verwaltenden Personals umgezogen, um unerwünschte Unterbrechungen zu vermeiden. Der Autor
unterstreicht hier die jederzeitige Loyalität sowie das Pflichtbewusstsein des in der Justiz eingesetzten Personals auf allen Ebenen. Durch diesen somit weiterhin gesetzten rechtlichen Rahmen um alle Weisungen und Maßnahmen, konnte erst der von Goebbels proklamierte totale Kriege um- und vor allem durchgesetzt werden.

Im zweiten Kapitel zeigt Lahusen wie in einem Drehbuch für ein Theaterstück anhand der fiktiven Stadt „Neustadt“, wie man sich den juristischen Dienstbetrieb in einer deutschen Kleinstadt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges vorzustellen hat. Anhand akribisch analysierter Aktenbestände beschreibt er eine Synthese verschiedenster Gerichte auf verschiedenen Ebenen, also anhand real so stattgefundener Fällen und rekonstruiert so ein prototypisches Amtsgericht. Der Überfall auf Polen stellte das Deutsche Reich grundbuchrechtlich vor immensen Herausforderungen. Der Kampf der Soldaten um Lebensraum im Osten galt es aktenmäßig nachzubereiten mit allem Sinn Deutscher Bürokratie und Improvisationskunst. „Das deutsche Grundbuch traf auf unbekannte Regionen“, so Lahusen. Deswegen beschreibt er im folgenden Kapitel, Parzellierung des Todes, die grundbuchmäßige Erfassung von Auschwitz als Beispiel einer Art „bürokratischen Faktenschaffung“ in den eroberten und besetzten Gebieten als eine Form der grundbuchrechtlichen Nachbereitung des Rassenkrieges. Dies erfolgte durch das zuständige Amtsgericht dort, was erst ein Jahr vor Kriegsende durch den notariellen Vertrag zwischen der IG Farben, die ihre dortigen Investitionen juristisch abgesichert haben wollten, und dem Deutschen Reich protokolliert wurde. Erst jetzt war somit das Konzentrationslager als Hort von Sklavenarbeitern und Massenmord ordnungsgemäß beurkundet.

Ein Paradebeispiel für einen Juristen im nationalsozialistischen Regime beschreibt Lahusen dann mit Hans Keutgen in Kapitel 4, bis zuletzt Richter am Sondergericht in Aachen. Pflichtbewusstsein, Treue und Gehorsam für das Regime vereinigten sich bei ihm exemplarisch, war er doch als treuer „Parteisoldat“ Rechtsreferent in der Hitler-Jugend, SA sowie NSDAP. Wie viele seiner Berufsgenossen, wurde er bereits am 15. August 1945, also unmittelbar nach Kriegsende, wieder als Richter zugelassen und am 29. Januar 1946 offiziell ernannt. Etwaigen Untersuchungen gegen ihn verliefen schnell im Sande, konnte er doch nachweisen, lediglich ein Mitläufer im mörderischen System gewesen zu sein. Dies obwohl er nachweislich Todesurteile fällte.

„Auf der Flucht“ heißt das fünfte Kapitel und thematisiert die aufgrund der zurückgedrängten Wehrmacht notwendige Verlegung von Gerichtsbehörden in der Endphase des Krieges. Dachte man zunächst, alles wäre nur „z.Zt.“, war spätestens mit Beginn der russischen Offensive in Ostpreußen am 12. Januar 1945 klar, dass der Verlust von Terrain für immer sein wird. Überrascht von der Schnelligkeit des Vorstoßes, wurde aus „geordneter Rückführung“ bald pure Flucht. Deutlich wird hier, so der Autor, dass die vollständige Sicherung von Akten und Dokumenten aufgrund seines Umfangs und damit schon allein schier aus Gewichtsgründen unmöglich schien. Trotzdem ging auch hier die Rettung von Papier vor der Rettung von Menschen. Um jedoch zu verhindern, dass es durch die ständigen Verlagerungen zu einem Stillstand kam, wurden Sondergerichte etabliert, die mühsam versuchten, die Arbeit von Hunderten von Gerichten aufzufangen. Fortsetzung der Rechtspflege somit bis zum bitteren Ende.

Im vorletzten Kapitel beschreibt Lahusen dann das Justitium als solches, was jedoch selbst in der Interimsphase zwischen der Kapitulation des deutschen Reiches und der Übernahme und Regelungen in den Besatzungszonen keiner war. In einem Art Wettlauf sei es den Besatzungsmächten darum gegangen, schnellstmöglch die Arbeitsfähigkeit der Gerichte wiederherzustellen, egal wie! Dabei unterstreicht er, dass in den französischen, britischen und amerikanischen Besatzungszone, ehemalige, NSDAP-treue Juristen als unverzichtbar für den Wiederaufbau einer demokratischen Legislative galten, während man in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) alle mit der NSDAP in Verbindung gebrachten Juristen ihrer Posten enthob und durch Volksjuristen ersetzte.

Im letzten Kapitel „Die Abwicklung“ beschreibt der Autor die juristische Abwicklung des Krieges, was aber mangels eines Friedensvertrages völkerrechtlich nicht möglich war. Letztendlich blieben zunächst nur ca. 50 Landgerichte und 550 Amtsgerichte übrig. Erst sieben Jahre nach dem Krieg einigten sich Bundestag und Bundesrat auf das „Zuständigkeitsergänzungsgesetz“ (Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts) indem man nun juristisch den Spagat zwischen Vorbehaltsrechte der Alliierten und Ende des Kriegszustandes schaffte. Hier schließt sich auch der Kreis, da dieses Gesetz in seiner geänderten Fassung aus dem April 2006, auch der Auslöser für dieses Buch war.

In Paragraf 245 der Zivilprozessordnung heißt es: „Hört infolge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Tätigkeit des Gerichts auf, so wird für die Dauer dieses Zustandes das Verfahren unterbrochen.“ Der juristische Dienstbetrieb kam in keiner Phase so richtig zum Stillstand, weder gegen Ende des Krieges bis zur Kapitulation noch in der Phase nach der Kapitulation und der Etablierung der Besatzungszonen. Lahusen zitiert hier treffenderweise bereits aus einem Buch aus dem Jahre 1936, in dem es heißt: „Sind die Richter am Leben, geht das Recht seinen gewohnten Gang, sind sie erst einmal tot, dann auch.“ Es findet sich immer jemand, egal welcher Qualifikation, der dann einspringt und Recht spricht.  Allerdings kann von einer stabilen, geordneten Rechtsordnung nicht die Rede sein, mal mangels Gebäude oder besser Amtssitz, mal mangels Personals, mal mangels Akten, die irgendwie verschollen gingen. Trotzdem wurde, auf welcher Basis auch immer, Entscheidungen und Urteile gefällt, deren Vollstreckung durch die nicht vorhandene Exekutive erneut nur neue Fragen aufwarf. Selbst Aktenzeichen wurden fortgesetzt. Die Normalität des juristischen Dienstbetriebes, die zwischen, unter und neben den Trümmern hervorblitzte, überstrahlte die finstere Gegenwart … So lässt sich die Kernbotschaft dieser Zeit von Lahusen am besten zusammenfassen. Das Recht, so Lahusen, blendete den Krieg weitestgehend aus, es entfaltete sich stets weiter und verwandelte sich wie ein Chamäleon den äußeren Umständen geschuldet immer wieder der Situation an, um nicht zum Ruhen zu kommen. Dies selbst dann, als ab 1944 nur noch unter 40 Prozent der Richterstellen besetzt waren. Ohne Akten, Personal, Gebäude und Gerichtsorten wurde weiter Recht und Unrecht gesprochen. Es wurde weiter über Mörder, Verräter, Volkschädlinge „gerichtet“, um hinzurichten. Selbst einige Wochen nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr, wurden noch Urteil „Im Namen des Deutschen Volkes“ gefällt. Dies bot dem Justizpersonal die stete Illusion einer ungestörten Normalität im kollektiven Ausnahmezustand und erzeugte beim Autor auch eine gewisse Heiterkeit.

Die Handhabung des Wiederaufbaus eines Justizwesens im besiegten Deutschland verlief gänzlich unterschiedlich im Westen, wo im Sinne eines stabilen Rechtsfriedens über 80 Prozent der Stellen mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besetzt wurden („altgediente Volljuristen“), im Vergleich zur SBZ, wo diese Quote gegen Null ging („neue Volksjuristen“). Die Normalität im Justizwesen des Dritten Reiches wurde so in die Normalität der Nachkriegszeit im Westen transferiert.

In einem Regime, dass unterhalb von Hitler als Leitinstanz von mehreren Machtsäulen getragen wurde, die miteinander verzahnt waren und sich nicht selten bekämpften, die auch vielen Rivalitäten und inneren Konflikten ausgesetzt war, passten die verqueren Logiken der Fortsetzung des Justizbetriebes perfekt. Trotz eines vor sich hinsiechenden Regimes und Auflösungserscheinungen an allen Ecken und Enden wurde an Zuständigkeiten, Vorschriften, Abläufen festgehalten, so dass
das System so manches Unrechtbewusstsein verschluckte. So waren es vor allem neben Techniker, Ingenieure und Mediziner eben die Juristen, die einerseits vom Regime gebraucht wurden, aber im Wissen um ihre Wichtigkeit auch unheimlich
profitierten – so wie später auch beim Wiederaufbau des sich am Boden befindlichen Deutschlands. Man verwaltete mit dem im nationalsozialistischen Regime üblichem Perfektionismus den eigenen Untergang, sachlich, nüchtern, realitätsfern, so die auf den Punkt gebrachte Analyse Lahusens. Die Justiz war im System ein Vorbild an Dienstbeflissenheit, Hort der Ruhe sowie Garant der Ordnung und damit ein Kontinuum für das Volk.

Auch in anderen Ländern gab es nationalistische Strömungen, aber die Nachwehen des Ersten Weltkriegs und das Trauma von Versailles radikalisierten die auch ökonomisch befeuerten Strömungen in Deutschland im Besonderen und damit den
speziellen Charakter der NS-Diktatur. Gerade die im Justizwesen eingesetzten „Werkzeuge“ Hitlers waren Akademiker aus Familien höherer Schichten waren. Diese waren im Schatten der für jedermann sichtbaren Schlägertrupps die eigentlichen
(administrativ wie exekutorisch) Stützen der Verbrechen. Diejenigen Verwaltungseliten, die aktiv ein mörderisches Regime unterstützten, waren paradoxer Weise auch dieselben, welche dann mithalfen, eine Demokratie zu errichten. Die von den Alliierten und fast allen Parteien hingenommene Einbindung von Tätern in das nachkriegsgeschichtliche Bürgertum, neutralisiert deren Taten und die immerwährende Belastung der Gesellschaft mit den Verbrechen des Regimes.

 

Fazit: Lahusen präsentiert selbst für Geschichtsinteressierte grundsätzlich vieles Neues, das vorliegende Werk ist eine glänzende Analyse und zusammenfassende Darstellung seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Justizwesen im nationalsozialistischen Regime. Dies alles in einem hervorragend zu lesenden, spannenden und damit fesselnden Schreibstil. Ohne durch inhaltliche Sprünge den Leser zu überfordern, überzeugt Lahusen mit einer Fülle an Informationen, seiner Analyse und Nachvollziehbarkeit seiner Argumentation und Thesen.

Andreas Pickel

5 Sterne
5 von 5

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© 2023 Andreas Pickel, Harald Kloth, Cover: Copyright © Verlag C.H. Beck

 

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Colony

2016 - 2018

3 Staffeln, 36 Folgen

1512 Minuten

 

Los Angeles in einer nahen Zukunft. Eine von außerirdischen Invasoren errichtete, riesige Mauer riegelt die Millionenstadt ab. Innerhalb der Barriere werden die Menschen von Soldaten und Drohnen ständig überwacht. Medikamente und Nahrungsmittel sind rationiert, private Fahrzeuge und Luxusartikel sind nur mehr einer Elite vorbehalten, die mit der Besatzung kollaborieren.

 

Inmitten dieses Alptraums kämpft Familie Bowman ums Überleben. Vater Will (Josh Holloway, bekannt aus Lost) arbeitet als Ex-Bundesagent mit den Besatzern zusammen. So hofft er, seinen verschwundenen Sohn Charlie wiederzufinden. Mutter Katie (Sarah Wayne Callies, bekannt aus The Walking Dead) kämpft im Widerstand zusammen mit dem ehemaligen Soldat Broussard (Tory Kittles, aus True Detective), verheimlicht dies aber vor ihrem Mann. Teenager-Sohn Bram (Alex Neustaedter) versucht die Mauer auf eigene Faust durch einen Tunnel zu überwinden, wird schließlich gefangengenommen und in ein Arbeitslager gesteckt.

 

Diese dramatische Science-Fiction-Serie der Showrunner Ryan J. Condal (House of the Dragon) und Carlton Cuse (Lost, Jack Ryan) macht sehr vieles richtig. Außerirdische oder deren überlegene Technologie wird - bis auf die omnipräsenten Drohnen - nur selten und fragmentarisch gezeigt. Erst sehr spät und wenig sieht man weitere Technologie wie Raumschiffe oder "Kampfläufer". Stattdessen sehen die Zuschauer (in den ersten zwei Serienstaffeln) eine menschliche Stadtgesellschaft im Niedergang. Die Menschen kollaborieren aus Furcht oder Versprechungen, ohne aber die wahre Ziele der Invasoren zu kennen.

 

Familie Bowman bildet die vielen Facetten dieser Besatzungsthematik perfekt ab: Kollaboration, Indoktrinierung, Verrat, Mord, Internierungslager oder Traumata. Interessanterweise würde diese packende Fernsehserie wohl ebenso ohne SciFi-Elemente funktionieren.

Die erfahrenen Hauptdarsteller Wayne Callies und Holloway sind glaubwürdig und stellen die Charaktere intensiv dar. Vor allem Mutter Katie wird zunehmend ambivalenter und als extrem widerstandsfähige Frau portraitiert. Die frühere Prison Break-Darstellerin darf hier eine äußerst starke Frau mimen, die stärkste Rolle dieser Serie.

Erst in der dritten und letzten Staffel wird L. A. als Handlungsort verlassen. Es geht zuerst in ein Widerstandslager in der Wäldern und dann in die "Vorzeigekolonie" Seattle, die natürlich ebenso ihre Geheimnisse birgt. Zudem ist ein großer Verlust zu bewältigen.

 

Im Science-Fiction-Genre gehört die Serie Colony zu den besseren Werken mit Thema Invasion. Im Gegensatz zu Das Ding aus einer anderen Welt (1951 und 1982) oder Die Dämonischen (1956) und Die Körperfresser kommen (1978) steht aber hier keine schleichende oder geheime Verwandlung der Menschen an. Stattdessen agieren die Invasoren brutal, öffentlich und mit Hilfe der Menschen. Ähnlich wie in V: Die außerirdischen Besucher kommen (1983) oder Falling Skies (2011-.2015) muß sich die Zivilgesellschaft anpassen oder kämpfen. Wem das zuviel Politik und zu wenig Action ist, kann auch zum militaristischen World Invasion: Battle Los Angeles (2011) oder dem Zeitreisekracher Edge of Tomorrow (2014) greifen. Auch hier überfallen böse Aliens die Erde, wobei letzgenannter mit Tom Cruise und Emily Blunt in den Hauptrollen einen überaus netten Twist bietet.

 

Die drei Staffeln der TV-Serie sind sowohl als DVD, wie auch auf Blu-ray bei Pandastorm Pictures erschienen. Jeweils auch als Gesamtboxen mit 11 Discs und über 25 Stunden Spielzeit, diese sind aber nur noch schwer erhältlich.

 

Fazit: Eine Familie zwischen Kollaboration und Widerstand. Für Thriller- und Spionage-Fans ein packendes Fest in drei Akten. Science-Fiction-Fans werden die unheilvolle Stimmung und Elemente rund um die Invasoren lieben.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

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© 2023 Harald Kloth

 

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Alien 2: Erweckung

Story: Phillip Kennedy Johnson. Zeichnungen: Salvador Larroca

Stuttgart ; Panini ; 2022 ; 180 Seiten ; ISBN 978-3-7416-3078-1 ; Softcover

Cover des Comics Alien Erweckung
Copyright © Panini Verlags GmbH

 

2202. Zwei Jahre nach den Ereignissen auf der Forschungsstation Epsilon (siehe Alien 1: Blutlinien). Auf dem Mond Euridice steht der Terraforming-Prozess kurz vor seiner Vollendung. Die Siedler haben ein scheinbares Paradies erschaffen. Die Spinners warten auf die Ankunft von Vertretern der United Americas. Als Gegenleistung für die Kolonisierung, soll dieser Mond auch offiziell in den Besitz der Glaubensgemeinschaft übergehen. Doch das erwartete Raumschiff, die Heraclides, stürzt ab. An Bord befinden sich die "schwarzen Hunde des Verderbens", Xenomorphe.

 

Jane, die kranke Anführerin der Siedler, sucht im Wrack nach Überlebenden. Mit Entsetzen beobachtet sie einen Chestburster beim Durchbrechen des Brustkorbs. Doch die Gemeinschaft glaubt ihr nicht. Erst als immer mehr Personen verschwinden, kann sie die Gruppe zur Flucht überzeugen ...

 

Der zweite Teil schafft es perfekt, den Look und das Design der Alien-Filme in das Comicformat zu übertragen. So bekommt man nach Aliens (1986) endlich eine Vorstellung, wie ein erfolgreiches Terraforming aussehen könnte! Die Zeichnungen von Salvador Larroca sind detailliert und sehr plastisch. Besonders erwähnenswert sind die Farben von Guru-eFX (Jochen Weltjens), die ungeheuer stimmungsvoll sind.

 

Der Gewaltfaktor ist hoch. Die Chestburster-Panels sind extrem blutig. Aber auch einzelne Panels in der Mine würden so in einem Hollywoodfilm nicht gezeigt werden können. Hier geht der zweite Band deutlich härter zur Sache. Die Leseempfehlung des Verlags ist dementsprechend auch ab 18 Jahren.

 

Als Bonus ist noch ein Kapitel mit der Vorgeschichte der Ereignisse um die Forschungsstation Epsilon angebunden. Für mich ist diese Verbindung zum ersten Band an dieser Stelle fragwürdig. Ich hätte sie gerne mit im Vorgängerband gesehen.

Sehr schön: Mehrere ganzseitige Heftcover zieren diesen Softcoverband ebenso, wie eine Galerie von Variant-Covern.

 

Fazit: Ein äußerst gelungener Alien-Comic mit viel Atmosphäre und starken Horrorelementen. Nichts für Zartbesaitete.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

Alien (2021)

Band 1: Blutlinien | Band 2: Erweckung

 

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© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © Panini Verlags GmbH

 

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Michael Wildt: Zerborstene Zeit

Deutsche Geschichte. 1918 - 1945

München ; C.H. Beck ; 2022 ; 638 Seiten ; ISBN 978-3-406-77660-1

Buchcover Zerborstene Zeit von Michael Wildt
Copyright © Verlag C.H. Beck

Was wurde nicht schon alles veröffentlicht zur Deutschen Geschichte von Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches 1945. Viele Historiker ziehen dabei eine stringente Linie mit Ursache-Wirkung-Beziehungen durch diese Zeit, andere wiederum sträuben sich gegen einen Verlauf mit 30 Jahre mehr oder weniger Kontinuität. So stellt sich die Frage, ob noch ein weiteres Buch nötig ist, um die Vorgänge dieser Zeit zu verknüpfen, anders zu erklären? Ein eindeutiges „Ja“ wenn man das exzellente Buch von Michael Wildt. Zerborstene Zeit. Deutsche Geschichte 1918 bis 1945 zugrunde legt. Um es Vorwegzunehmen, ein absolut großartiges Werk und ebenso in seiner Quellenanalyse über die Zeit 1918 bis 1945 besonders wertvoll.

Wie schon der Titel des Buches „Zerborstene Zeit“ suggeriert, legt Wild uns eine raue zerschnittene politische Landkarte mit vielen scharfen Kanten und Zacken für seine Betrachtung zu Grunde. Dabei lässt er durch das gesamte Buch ziehend Zeitzeugen zu Wort kommen, deren persönliche (Lebens-)Geschichte, deren Blick auf die Geschichte. Diese individuellen Erlebnisse und Biografien, aufgesplittet in 12 Themenkapiteln, widersprechen der Theorie von Kontinuitäten und Abhängigkeiten. Er verstrickt also hinreichend bekannte innen- und außenpolitische Vorgänge mit der sich dargestellten realen Situation von Zeitzeugen und damit von normalen Menschen.

Der fast 70-jährige Autor wurde 2007 zum Professor ernannt und war viele Jahre lang Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt Nationalsozialismus an der renommierten Humboldt-Universität in Berlin. Auch Mitglied des Editorial Board der Yad Vashem Studies ist er ein ausgewiesen anerkannter Historiker für den Antisemitismus und alles was damit zusammenhängt, sowohl ideologisch als auch soziologisch z.B. Täterstudien betreffend. Schwerpunkt seiner letzten Forschungsprojekte waren ethnisch bedingte Vertreibungen und Morde in Europa.

In dem vorliegenden Buch geht er chronologisch vor und beginnt jedes Kapitel mit einem sogenannten „Bottom Line Up Front“ mit den Schlüsselaspekten und wesentlichen Analysen des Folgenden. Das erweckt Interesse und ein fokussierteres Lesen der folgenden Abschnitte. Das Buch setzt ein mit den Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg. Als die alte Macht, so Wildt, ihr wichtigstes Instrument verlor, das Militär, war es um sie geschehen. Dabei brauchte man es eigentlich als Ordnungsmacht, als Schutzwall gegen den Bolschewismus. Der Autor sieht eine Koinzidenz zwischen der Niederschlagung der Münchner Räterepublik und der Veröffentlichung der Friedensbedingungen des Versailler Vertrages und bezeichnete dies als „Siedepunkt der nationalistischen, völkischen Bewegung, dessen Wirkung auf die politische Entwicklung nicht unterschätzt werden kann“. Als absolut verherrend und gesellschaftszerreißend bezeichnet Wildt die Inflation von 1923, denn diejenigen, die bereits Sachwerte in Form von Industrieanlagen und Immobilen hatten, konnten weitere Sachwerte kaufen, währenddessen diejenigen, die auf Geldleistungen angewiesen waren, fast alles verloren, von Rentnern und sozial Schwachen gar nicht zu reden. Nicht ausgespart werden darf natürlich in diesem Teil des Buches auch der Hitler-Putsch am 9. November 1923, der scheiterte. Dies war jedoch für Hitler, so Wildt, die Gelegenheit, seine bisherige Strategie, an die Macht zu gelangen, zu überarbeiten und speziell während seiner Haftzeit in Landsberg generell die Politik des Nationalsozialismus neu zu organisieren.

Gegen Ende der 20er Jahre präsentierte sich die NSDAP nach und nach als den Inbegriff der „Volksgemeinschaft“ und Adolf Hitler vereinigte das Charisma ihres „Führers“. Trotzdem, so Wildt, war kein Masterplan erkennbar, sondern die Macht wurde zielstrebig unter Nutzung jeglicher Form der Gewalt sowie Einschüchterung, aber auch durch das Wecken des verloren gegangenen Gemeinschaftsgefühls sukzessive ausgeweitet. Die Wirtschaft wurde im Rahmen eines Vierjahresplans strikt auf die Aufrüstung der Wehrmacht ausgerichtet, fast 50% des Wachstums gingen auf Militärausgaben zurück (angesichts der heutigen Diskussion eines Beitrages Deutschlands in Höhe von 2% des BSP zur NATO unvergleichlich hoch), 1938 wurden 80% aller Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen für die Wehrmacht ausgegeben mit dem Ziel, 3.6 Millionen Soldaten unter Waffen zu stellen. 1938 war auch das Jahr, in dem das Regime mit dem Anschluss Österreichs sowie der Forderung nach den sudetendeutschen Gebieten der Tschechoslowakei seine expansionistischen Ziele deutlich machte und sich die antisemitische Politik mehr und mehr radikalisierte. Trauriger Höhepunkt waren das Novemberpogrom, deren Brutalität, Destruktivität und Gewaltobsession sich laut Wildt nicht genau erklären lässt und deren Ausmaß an Zerstörungen, körperlicher Gewalt, Vergewaltigungen und Morde bis heute nicht bekannt sind.       

Der Autor setzt fort über den Aufstieg der Nationalsozialisten und ihrer ideologisch motivierten mörderischen Politik, die Mobilisierung aller Kräfte für den Rassenkrieg um die Weltherrschaft und endet mit ihrer Agonie. Bereits kurze Zeit nach der Machtergreifung war die politische Ordnung auf den Kopf gestellt, stramme Nationalsozialisten standen an der Spitze politischer Ämter auf allen Ebenen, die wesentlichen Grundrechte waren abgeschafft. Wildt nimmt hierbei den Begriff „Revolution“ in den Mund und bezeichnet das System als rassistische Volksdiktatur. Dabei zeigt er in einem für ein derartiges Buch sehr umfangreichen Teil über die Sängerin und Tänzerin Josephine Baker die Verknüpfung rassistischer mit kolonialistischer Denkweisen auf. Sehr interessant und etwas abweichend von den üblichen Darstellungen ist auch das 6. Kapitel „Menschen am Sonntag“, in dem er intensiv auf das Alltagsleben der Menschen und die Kultur der damaligen Zeit eingeht und eine Art kurzgefasste Sozialstudie präsentiert. Sehr erfrischend wirken da so Erzählungen einer 25-jährigen Textilarbeiterin wie sie am Sonntag, dem wirklich einzig freien Tag in der Woche, in die Natur außerhalb der Großstadt fährt, den Alltag abwerfen, Baden gehen, Füße hochlegen, die Schönheiten des Lebens genießen. Diese teils beruhigend und entspannend wirkenden Episoden in dem Buch enden dann abrupt, als der Autor zu den mörderischen Exzessen des NS-Regimes überleitet, beginnend bei den selbst die NS- Bürokratie überbordenden  Deportationen, die dann schließlich über die menschenverachtenden Abkommen der Wannsee Konferenz, die den Anspruch des Reichssicherheitshauptamtes auf Federführung in der „Judenfrage“ bestätigte, bis zum Massenmord in den Konzentrationslagern führte. Ein wahrer Horror sind die Beschreibungen des Ablaufs eines Eisenbahntransports mit Waggons voller Juden, ihre letzte Entmenschlichung dort mit Abgabe aller verbliebenen Wertsachen, der Bekleidung bis zum 20 bis 30 Minuten dauerten Todeskampf in der Gaskammer. Man fragt sich trotz diverser Studien (siehe z.B. das von mir rezensierte Buch von Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden), wie Menschen zu derartigen Grausamkeiten „ohne mit der Wimper zu zucken“ in der Lage waren.

Ängstlich war dann nach der Befreiung vor allem die Bevölkerung in den umliegenden Dörfern der Lager vor Rache von befreiten Häftlingen gleichermaßen wie von den Soldaten der Alliierten, die dieses Elend und Leid sahen. Dies insbesondere in den Ostteilen, die von der roten Armee befreit wurden, da Stalin mit aller Deutlichkeit die Weisung ausgab, die verwundete (deutsche) Bestie muss auch in ihrer eigenen Höhle in Deutschland ausgemerzt werden, da eine verwundete Bestie weiterhin sehr gefährlich sein kann. Aber auch durch die einst besetzten oder annektierten Länder selbst, besonders in Polen und der Tschechoslowakei, kam es nun zur Abrechnung mit der selbst ernannten Herrenrasse, Millionen von Vertriebenen begleitet von Gewaltakten waren die Folge. Dort erwartete sie erst mal weiteres Elend und Hunger in den zerbombten Städten, woraus die, so Wildt, Entschuldigungslegende entstand, sprich, durch die Leidensjahre nach 1945 hätten die Deutschen ihre Schuld abgebüßt, ja, seien nun die eigentlichen Opfer des Krieges!         

Im Gegensatz zu Wildt neigen viele dazu, einen gewissen Determinismus und diesen damit als Absolution zu verwenden, das Individuum war nur Teil und kleines Rädchen im System und erklärt bzw. vielmehr entschuldigt also sein Handeln. Manche verwenden dazu breitgefächerte Gesamtdarstellungen der Deutschen Geschichte, um darzulegen welche Prozesse wie ein Zahnrad in das nächste greifen, die Abläufe bestimmt haben und das alles möglichst dynamisch. Bei Wildt müssen wir uns umgewöhnen: Er seziert individuelle und kollektive Erfahrungen, deren „Unebenheiten“ und Ausfluss für den Verlauf der Dinge. Es waren also nicht Strukturen oder Prozesse die dazu führten, dass alles so verlief, wie es dann letztendlich kam, sondern Festlegungen und Entscheidungen, Befehle von Menschen. In deren individueller Biografie zeigen sich dann ggf. Stetigkeiten, aber vor allem auch die Diskontinuitäten. Aus einer einheitlichen Darstellung, einem einheitlichen Verlauf wird stattdessen ein Mosaik aus unterschiedlichen Schicksalen mit unterschiedlichen Verläufen, Querbewegungen, Umleitungen. Diese Brüche im Leben einzelner Menschen, vor allem, wenn es sich um Entscheidungsträger handelt, spiegeln sich dann aggregiert in den innen- und außenpolitischen Geschehnissen wieder. Es gibt also keine Stringenz, keinen roten Faden der Geschichte, sondern zeitliche Brüche und Zerrissenheit in den Lebensläufen, die diese bestimmten. Dazu erörtert Wildt Fragen über die Dimension der sogenannten „Deutschen Geschichte“, die einer gewissen Dynamik unterlag, veränderten sich doch die Zugehörigkeit zur Nation geografisch als auch ihrer Bürger betrachtend kontinuierlich.   

Diese Perspektive von Individuen und Gruppen auf die politischen Abläufe spiegelt sich natürlich auch auf Wildts Darlegungen über den Antisemitismus und des Holocausts wieder. Opfer als auch Täter betrachtend, geht sein Blick aus Westeuropa kommend bis hin zu den mörderischen Lagern und -Gaskammern sowie den Einsatzgruppen in Polen und in der Ukraine.

Das Kapitel über Lemberg, erst zu Österreich, dann zu Polen, später der Sowjetunion gehörend und schließlich ukrainisch, erweitert unseren Horizont auch in andere Richtungen. Es erschließt uns das Konfliktpotential mehr oder weniger willkürlicher Grenzziehungen und ist angesichts des aktuellen Kriegs dort aktueller denn je.
Wildt nutzt für seine Analysen einen immens hohen Fundus an Literatur, Tagebucheinträgen archivierten Quellen in Ost und West, Zeitzeugeninterviews, Gesprächsprotokolle, Berichte der Geheimdienste und Biografien der Protagonisten, die er nicht einfach zitiert, sondern einordnet, quervergleicht und damit validiert. Das Buch ist somit packend und spannend zugleich und spannt uns einen allumfassenden und tiefgründigen Bogen um alle Facetten dieser Zeit.  

Er stellt im Gegensatz zu vielen seiner Historikerkollegen Akteure, egal, ob tragend oder der „kleine Mann von der Straße“, in den Mittelpunkt seiner Analysen, suchte in unzähligen Dokumenten das bis dato Unentdeckte, und eben nicht politische Prozesse, Entscheidungen und Strukturen. Welche Themen haben Familien, Freunde und Bekannte Zuhause bei Tisch beim Essen bewegt, was wurde da diskutiert, welche unterschiedlichen Positionen gab es da? Es geht ihm dabei auch nicht um der so oft gerühmten „Weisheit des Rückblicks“, sondern er folgt den Stimmen von Zeitzeugen. In Tagebüchern und anderen Zeitzeugenberichten liest man das aktuelle Empfinden heraus, ohne eben zu wissen, wie sich das Rad weiterdreht. Das machen sie so interessant. Auch wenn Tagebücher oft zu Selbstdarstellungen neigen, so geben sie doch über die persönlich empfundenen Erfahrungen sehr authentisch ein Gespür für Brüche und Widersprüche in Abläufen. Wildt lässt uns mit diesen Stimmen nicht alleine, sondern analysiert und ordnet diese ein. Durch diese persönlichen Geschichten und Schicksale, alle ohne einen sogenannten gemeinsamen Nenner, widerlegt er damit der weitläufigen Meinung einer gewissen Kausalität von Ursache und Wirkung und einer Vorherbestimmung von den Ereignissen und Abläufen, erklärt aber andererseits doch wie es dann zu einer Art zusammengefassten Gewalt einer wie Wildt es beschreibt „rassistischen Volksdiktatur“ gegen andere Ethnien kam. Dies, weil antidemokratische Saat sowohl links auch als rechts der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden traf.

Auch die handelnden Personen hatten keinen Gesamtplan, den sie stringent durchzogen. Dies verdeutlich Wildt an den unterschiedlichen Wahrnehmungen und auch Handlungs- sowie Einflussmöglichkeiten von Zeitzeugen. Jeder einzelne trägt mit seinem Handeln und Tun Verantwortung für das, was passierte aber vor allem auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Zukunft. Wilds Buch selbst ist alles andere als stringent und einheitlich, was der Großartigkeit keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, es ist keine „retrospektive Glaskugel“, um damit rückwärts in die Zukunft zu schauen, aber zu verfolgen, warum vieles so gekommen ist, wie es sich dann abspielte, ist ein Genuss. Deutsche Geschichte war eben keine Einheit, dies gilt gleichermaßen für die Jahre nach 1989, sondern ist von Brüchen und Diskontinuitäten unterbrochen. Wildt möchte Dissonanzen sichtbar machen!

 

Fazit: Die historischen Einzelheiten, individuelle als auch gesellschaftliche Dynamiken, Wildt’s eleganter Schreibstil und seine scharfäugigen Beobachtungen, machen „Zerborstene Zeit“ zu einem „Muss“ für jeden zeithistorisch interessierten Leser.  

 

Andreas Pickel

5 Sterne
5 von 5

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© 2023 Andreas Pickel, Harald Kloth, Cover: Copyright © Verlag C.H. Beck

 

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Frank Herbert´s Dune. Die Graphic Novel - 2

Buch 2: Muad`Dib

Adaptiert von Brian Herbert und Kevin J. Anderson. Illustriert von Raúl Allén und Patricia Martín

Bielefeld ; Splitter ; 2022 ; 163 Seiten ; ISBN 978-3-95839-451-3 ; Hardcover

Cover Frank Herbert´s Dune - 2: Muad`Dib
Copyright © Splitter Verlag

 

Nach dem gelungenen ersten Band der grafischen Umsetzung des Dune-Epos von Frank Herbert, führt uns auch der Nachfolgeband Muad`Dib natürlich wieder zum Wüstenplaneten Arrakis.

 

Paul und seine Mutter Jessica flüchten in die tiefe Wüste. Von Duncan Idaho und Liet Kynes werden sie gefunden und in ein Versteck gebracht. Doch auch hier entdecken sie die Harkonnen und Duncan opfert sein Leben für Paul´s Flucht. Mit einem Ornithopter flüchten Paul und Lady Jessica in einen Wüstensturm und entkommen so ihren Verfolgern. Das durch den Sturm stark beschädigte Fluggerät kann Paul in der Wüste notlanden. Bald treffen sie auf Shai-Hulud, einen riesigen Wurm, werden aber durch Fremen gerettet. In der Fremengemeinschaft müssen beide ihre körperliche und mentale Stärke beweisen. Schließlich spricht eine uralte Prophezeiung von einer Bene-Gesserit und ihrem Kind als Schlüssel der Zukunft.

 

Neben Arrakis wird den Lesern auch Giedi Prime, die Heimatwelt der Harkonnen, grafisch sehr ansprechend präsentiert. Wie schon beim Vorgänger finde ich auch hier wieder die Gesichter zeichnerisch das schwächste Element, in einem ansonsten hervorragenden Comicband. Farblich dominieren wieder starke Rot-, Blau- und Grüntöne, insbesondere in den Wüstenszenen passt das hervorragend. Ganzseitige Panels durchbrechen öfters sehr innovativ die Panelstruktur. Als Beispiele seien hier der Zweikampf von Paul und Jamis oder das Schloss der Harkonnen genannt - einfach wunderbare Comic-Kunst. Das Cover wurde übrigens wieder von Ausnahmekünstler Bill Sienkiewcz gezeichnet - und ist natürlich zum Niederknien.

 

Fazit: Muad`Dib´s Weg zum Anführer. Eine starke Fortsetzung und tolle Romanadaption.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

Frank Herbert´s Dune - Die Graphic Novel

Buch 1 | Buch 2

 

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© 2023 Harald Kloth, Cover: Copyright © Splitter Verlag

 

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Juillard/Yann: Mezek

Wattenheim ; Salleck Publications ; 2011 ; 64 Seiten ; ISBN 978-3-89908-417-7

 

Im Juni 1948 kämpft der, erst einen Monat zuvor gegründete, Staat Israel im Ersten Arabisch-Israelischen-Krieg mit Ägypten und anderen Ländern um sein Überleben. Die junge israelische Luftwaffe ist mit tschechoslowakischen Mezeks (Avia S-199, weiterentwickelten Messerschmidt Bf109) ausgerüstet. Geflogen werden sie vor allem von bezahlten Söldnern. Einer dieser Piloten ist Björn, der vorgibt aus Schweden zu stammen. Probleme bereiten nicht nur Spannungen zwischen den Soldat:innen, sondern auch Sabotage an den Maschinen, die auf abenteuerlichen Wegen nach Israel geschmuggelt werden.

 

Comics nach historischen Begebenheiten haben immer ein Problem: Sie müssen den Lesern viele Informationen vermitteln. Und auch hier ist die Textfülle in den Sprechblasen und Textkästen beachtlich. Demgegenüber steht eine von Yann (Spirou und Fantasio, Thorgal) flott erzählte Geschichte um die Anfänge der Israel Air Force und einen ihrer Söldnerpiloten, der sich den Kampf mit ägyptischen Spitfires teuer bezahlen lässt. Zeichnerisch gibt es wenig zu meckern. Die Linien sind von André Juillard (Blake und Mortimer) klar und die Panels detailreich gezeichnet. Vor allem die Meersequenzen sind sehr stimmungsvoll dargestellt. Und neben den abenteuerlichen Kriegsgeschehnissen bleibt auch erstaunlich viel Raum für Romantik.

 

Große Vielschichtigkeit über die politischen Probleme im Nahen Osten - die uns auch 75 Jahre später noch beschäftigen - sollte man von Mezek aber nicht erwarten, dazu ist der Comic zu actionlastig angelegt.

Wer mit Comics näher in die Nahost-Thematik eintauchen möchte, sollte die Graphic Novel Waltz with Bashir - Eine Kriegsgeschichte aus dem Libanon (2011, Atrium) von Ari Folman und David Polansky lesen, die auf dem gleichnamigen Animationsfilm basiert. Ebenfalls ausgezeichnet ist die Graphic Novel Gaza (2011, Edition Moderne) von Joe Sacco.

 

Salleck Publications veröffentlichte den Band Mezek in der Erstauflage in einer Normalausgabe und einer Luxusausgabe mit signiertem Druck und zusätzlichen Skizzenseiten.

 

Fazit: Ein hierzulande unbekanntes Kapitel israelischer Geschichte, spannend aufbereitet.

 

Harald Kloth

4 Sterne
4 von 5

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André Juillard bei amazon.de

 

© 2023 Harald Kloth

 

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Hanns Cibulka: Nachtwache

Tagebuch aus dem Kriege. Sizilien 1943

Berlin ; Matthes & Seitz ; 2022 ; 159 Seiten ; ISBN 978-3-95757-947-8

Buchcover Hanns Cibulka: Nachtwache
Copyright © Verlag Matthes & Seitz

 

„Es ist 09:00 Uhr ... In den frühen Morgenstunden seien die ersten Angriffswellen der 7. US-Armee auf einem hundertfünfzig Kilometer langen Küstenstreifen an Land gegangen, man nennt die Orte Gela, Licata und Scoglitti. Südlich von Syrakus soll die 8. englische Armee unter General Montgomery gelandet sein ..."

 

In unzähligen Büchern zu Kriegsberichterstattungen zum Zweiten Weltkrieg liegt der Schwerpunkt darauf, in einer möglichst martialischen und schreckenerregenden Sprache die gesamte Grausamkeit eines Krieges darzulegen. Meist geht es um die Erfahrung und den Umgang mit Gewalt in einem durch Kriegserfahrungen stimulierten Umfeld.  Ja, Krieg ist grausam, das sieht man derzeit auch wieder an den Bildern über das Leiden in der Ukraine. Aber Krieg kann auch in einer anderen entgegengesetzten Art und Weise gerade die Psyche belasten. Das ist dann, wenn man gewohnt ist, zu kämpfen, somit keine Zeit hat, über irgendetwas nachzudenken, weil es die Geschehnisse, der Kampf um das eigene Leben nicht zulassen, aber stattdessen einfach mal nichts passiert, Stille, trügerische Stille um einen herum ist. Dieses Gefühl vermittelt in eindringlicher Manier Hanns Cibulka in seinem exzellent authentisch geschriebenen (Tage-)Buch Nachtwache - Tagebuch aus dem Kriege.

Um die Beschreibungen besser einordnen zu können, zunächst einen Blick auf  die außenpolitischen Rahmenbedingungen und Geschehnisse der Zeit: Nachdem das Afrikakorps unter General Erwin Rommel und die italienische Armee in Nordafrika im Mai 1943 gegenüber den Alliierten kapitulieren mussten, war deren nächstes Ziel, auf das europäische Festland überzusetzen. Um das Überraschungsmoment zu nutzen, täuschte man eine geplante Landung in Griechenland und auf der Insel Sardinien vor. Das Täuschungsmanöver gelang, die Deutschen verstärkten an beiden Orten ihre Truppen.

 

Währenddessen landeten die kanadischen, englischen und amerikanischen Truppen im Rahmen der Operation „Husky“ auf der Insel Sizilien, um somit von dort aus Süden kommend Richtung Mitteleuropa vorzustoßen. In dieser Zeit spielt auch das Buch, in dem die Einheit von Cibulka von Neapel aus schließlich über die Straße von Messina zur Verstärkung nach Sizilien verlegt wird. Am Abend des 9. Juli 1943 landen Fallschirmspringer, am Morgen des 10. Juli stürmt die Hauptstreitmacht der Alliierten die Strände. Fünfeinhalb Wochen und 50.000 Tote später, am 17. August 1943, ist Sizilien erobert. Die Invasion führte bereits Ende Juli zum Sturz Mussolinis, Italien scherte als engster Verbündeter Nazi-Deutschlands aus. Als die neue italienische Regierung Waffenstillstand mit den Alliierten schloss, löste die Deutsche Wehrmacht den Fall „Achse“ aus und besetzte in wenigen Tagen weite Teile Italiens.  Nach und nach drängten die Alliierten aber aus dem Süden kommend die Wehrmacht wieder zurück. Traurige Berühmtheit erlangte dabei die Schlacht um das Kloster Monte Cassino. 

 

Cibulka, 1920 geboren und in Schlesien aufgewachsen, wurde mit 19 Jahren zur Wehrmacht eingezogen und war in Polen, in der Ukraine und schließlich in Italien eingesetzt, wo er auch auf Sizilien in Kriegsgefangenschaft geriet. Nach dem Krieg zog er über Thüringen sowie Ost-Berlin nach Gotha und hatte bis zu seiner Pensionierung 1985 die Leitung der dortigen Heinrich-Heine-Bibliothek inne. Er verstarb knapp 20 Jahre später 2004 und erhielt dort 10 Jahre später von der Stadt Gotha ein Ehrengrab. Unter seinen zahlreichen Publikationen, die ihn zu den eher unabhängigen Autoren in der DDR zählen lassen, stechen insbesondere seine bildgewaltigen Gedichte hervor. Cibulkas eigener Anspruch war es, seine Leser zum Nachdenken anzuregen und eine Art Leitfaden für das eigene Leben zu geben. Dabei beschäftigte ihn immer wieder das Thema Erinnerung, so auch in dem einen oder anderen Tagebuch, wie neben dem vorliegenden Werk zum Beispiel das Sizilianische Tagebuch, das über die Zeit seiner Kriegsgefangenschaft erzählt. Cibulka schrieb fünf Tagebücher in chronologischer Reihenfolge, erst das vorliegende Werk Nachtwache durchbrach diese Sequenz, beschreibt es doch die Zeit vor dem ersten publizierten Tagebuch.

 

Das Tagebuch Nachtwache wurde erstmalig 1989 in der DDR veröffentlicht, als eine Art persönliches Vermächtnis zum 50. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, und nun über 30 Jahre später neu aufgelegt. Es beginnt am 14. Mai 1943, also sieben Wochen vor der Landung der Alliierten, und endet am 1. August 1943. Cibulka war trotz seiner erst 23 Jahren schon kriegserfahren und eine Koryphäe im Bereich der Nachrichtentruppe, zuständig für den Betrieb der Fernsprech- und Funkverbindungen in einem Flugabwehrkanonenregiment. Die Erzählungen Cibulkas setzen ein mit dem Aufbruch aus Caserta bei Neapel in Richtung eines Dorfes westlich von Catania auf Sizilien und enden inhaltlich abrupt, als er an Malaria erkrankt auf einem Lazarettschiff Richtung Livorno in der Toskana transportiert wird.

 

Nachtwache beschreibt die Kriegserlebnisse in Italien aus Sicht eines einfachen Soldaten. Dabei geht es nicht um historische Zusammenhänge, Beschreibung militärische Strategien und Taktiken (einzig die Beschreibungen aus den Kriegstagebüchern nach jedem Tageskapitel geben einen Eindruck über die jeweilige strategische Lage) und schon gar nicht um die Beschreibung eines dahinsiechenden Unrechtregimes, sondern um Empfindungen eines Soldaten über den Krieg und im Krieg. Es ist ein ständiges Warten, warten auf die feindlichen Bodentruppen, aber vor allem im rückwärtigen Kriegsgebiet, in dem die Einheit von Cibulka eingesetzt ist, eher ein auch angstvolles Warten auf die überlegene Luftwaffe der Alliierten. Einen Feind in Form von Bodentruppen hat er kaum gesehen. So gibt er gegenüber einem italienischen Kameraden zu, bis dato nicht einen Schuss abgefeuert zu haben. Unterbrochen wird die Ruhe nur bei Fliegeralarm und Luftangriffen, dem Gegenfeuer der eigenen oder italienischen Flugabwehr und dann, ja und dann wieder lange Zeit einfach nur Stille. Selbst bei unmittelbarem Artilleriebeschuss, wenn man das Pfeifen der Granaten hört aber der Einschlag erst verspätet erfolgt „...wir können in Ruhe sitzenbleiben und frühstücken ...“.

 

Ansonsten, so der Erzähler, wird es nach Einbruch der Dunkelheit nur dann lebendig, wenn Käfer und Motten sich kamikazehaft auf jegliche Lichtquellen stürzen oder auch Moskitos und Mücken sich gierig ihre Blutopfer suchen. Selbst als die eingangs beschriebene Landung der Alliierten erfolgt, bleibt Cibulka relativ gelassen, denn die Landung fremder Heere hat sich auf Sizilien in den letzten 3.000 Jahren schon mehrmals vollzogen und ein einzelner kleiner Soldat hat gar nicht den Überblick welche Masse and Verbänden da auf einen zurollen. Deswegen hat Cibulka auch viel Zeit, Zeit, um Nachzudenken, über Dichter und Denker, über Sinn und Unsinn des Krieges, über Vorgesetzte (trotz der unvorstellbaren Leiden im Krieg muss man schmunzeln bei Dialogen wie: „Herr Major, darf man hoffen, dass wir bald ins Feuer kommen? Sie dürfen, Oberleutnant, Sie dürfen ,,,“), über Land und Leute vor Ort, über das Leben. Wer auch nur einmal ansatzweise dieses stumpfsinnige „Warten auf etwas“, muss nicht zwingend als Soldat sein, diese Art Alarmbereitschaft, zum Beispiel bei der Feuerwehr oder ganz anders am Fließband, erlebt hat, weiß, wie wichtig es ist, wenn man geistig aufmerksam bleiben möchte, auch den Geist zu beschäftigen, damit man dann sofort zu 100% da ist, wenn man gebraucht ist.

Deswegen auch der Titel Nachtwache, Wache im Sinne eines Alarmpostens zum Schutz seiner Einheit aber auch am Sterbebett seiner Mutter. Im übertragenen Sinne zum Schutze von Menschen, die in Gefahr sind, deren Freiheit eingeschränkt wird, die heimatlos umherirren aber andererseits über die „Bösen“, damit deren Handlungsraum, Böses zu verbreiten, eingeschränkt bleibt. Dies verpackt Cibulka lyrisch und poetisch, für manchen vielleicht in Teilen in zuviel Prosa.

Gegen Ende des Buches spekuliert Cibulka damit, dass die einfachen Soldaten irgendwann genug vom Krieg haben, desertieren und zusammen darüber herzhaft lachen. So abwegig ist das gar nicht, bedenkt man, dass bereits 1914 im 1. Weltkrieg die sich zuvor in den gegenüberliegenden Schützengräben erbittert bekämpfenden deutschen und britischen Soldaten aus ihren Stellungen begaben und zusammen das Weihnachtsfest feierten. Auch wenn oder besser obwohl man danach wieder gegenseitig auf sich schoss.  

Insgesamt beschreibt Cibulka eine ich nenne es mal „trügerische entspannte Spannung“. Er beschreibt ein Sizilien im Hochsommer, landschaftlich im Landessinneren Nahe des Ätnas schon auch reizvoll, ab und an kleinere kriegerische Scharmützel in der Luft, literarisch untermalte Gedanken zu Goethe’s Italienischer Reise, Ernst Jünger (Auf den Marmorklippen), Wanderjahren in Italien von Gregorovius und die Fragmente des Empedokles, dem auf Agrigent auf Sizilien geborenen griechischen Philosophen und Dichter. Letzteren hebt er in seinem Tagebucheintrag zum 25. Juni als denjenigen hervor, der damals schon die Heilkraft von Kräutern erkannte und auch, dass man Heilung, genauso wie eine schwere Krankheit, nicht immer rational erklären kann, sondern die heilende Wirkung undefinierbar von einer Art zentrierter Heilkräuter im eigenen Körpers erreicht wird.

Sowohl das Lesen als auch die Fortschreibungen im eigenen Tagebuch bezeichnet Cibulka als Hunger, den man stillen muss. Aber während Goethe die Wahl hatte zu entscheiden, ob er im Rahmen seiner „Italienischen Reise“ nach Sizilien fährt oder nicht, hatte Cibulka wie eigentlich alle Soldaten dieser Welt diese Freiheit nicht – hier wird befohlen und ausgeführt. Diese militärische Disziplin der Befehlstaktik löst jegliche Individualität auf und sollte dagegen zugunsten einer Akzeptanz des Schöpferischen, was in jedem Menschen steckt, abgelöst werden. Gegen Ende überschlagen sich die Ereignisse, die am Ende jedes Kapitels eingefügten Wehrmachtsberichte geben ein Bild davon, was da auf die immer schwächer werdende Wehrmacht zurollt bzw. vielmehr „angeschifft“ wird ... aber da wird Cibulka aufgrund seiner Malariainfektion schon von der nahenden Front abtransportiert und hat in seinem Fieberwahn wieder viel Zeit, später in Kriegsgefangenschaft sowieso, über eben Goethe, Ernst Jünger und Empedokles nachzudenken und zu sinnieren.  

Cibulkas Büchlein ist beeindruckend in seinen Natur- und Situationsbeschreibungen und in seiner sehr bildhaften Charakterisierung der Menschen in seiner Umgebung. So beschreibt er einen ukrainischen General „ ...von der Seite her gesehen, fing dieses Gesicht wirklich erst an, Profil zu werden, mir schien, als wartete es auf einen inneren Befehl, auf das Signal, welche Form es endgültig annehmen sollte. Solche Gesichter werden nicht in einem einzigen Leben verbraucht, sie sind auf Jahrhunderte angelegt.“ Nationalsozialistische Ideologie in seinen wahnwitzigen Auswüchsen spielen keine Rolle. Stattdessen erfahren wir, dass im sizilianischen Sommer mittags die Luft nur bleiern ist, es aber zu heiß ist für Schusswechsel und um sich gegenseitig in den Tod zu schicken.

Es ist schwer zu sagen, was genau das Tagebuch ist – eine klassische Autobiographie über Kriegserlebnisse jedenfalls nichts. Es ist auf alle Fälle ein wunderbar zu lesendes Büchlein über Sizilien, seine Geschichte, seine katholischen Wurzeln, seine Landschaft, seine Sprache, die neben dem Italienischen arabische, griechische und iberische Elemente enthält, seine Fauna sowie vor allem seine Flora und seine Menschen. Auch 80 Jahre später würden aufmerksame Besucher der Insel zu ähnlichen Beobachtungen kommen. Aber aufmerksam beobachten und das aufgefasste unaufgeregt aber doch lesenswert zu Papier zu bringen, können nur wenige. Cibulka kann es! ... genauso gut wie seine vielmehr süffisante Beschreibung des Typus Offiziers in der Wehrmacht am Beispiel seines Einheitsführers.

Was war, darf nie wieder sein, möchte man im Sinne Cibulka sagen. Nachtwache am Grab derjenigen, die für millionenfaches Leiden gesorgt haben. Nicht aus Ehrerbietung natürlich, sondern, um sicherzugehen, dass die Leidbringer dieser Welt sich nie wieder aus ihrer Gruft bewegen.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die NATO zum Schutz ihrer Mitgliedsländer dort und zur Abschreckung an den Grenzen ihrer Ostflanke, Deutschland zum Beispiel in Litauen, ihre Truppenpräsenz verstärkt. Das, was Cibulka erlebt hat und beschreibt, ist aktueller denn je – wochen-, ja monatelang auf etwas warten, was man hofft, es wird nie kommen ...

 

Fazit: Ein wunderbar zu lesendes Büchlein über Sizilien, seine Geschichte, seine katholischen Wurzeln, seine Landschaft, seine Sprache, seine Fauna sowie vor allem seine Flora und seine Menschen.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

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© 2023 Andreas Pickel, Harald Kloth, Cover: Copyright © Verlag Matthes & Seitz

 

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Mit Schirm, Charme und Melone - Staffel 4

The Avengers

Produktion: 1966-1967

Die Fernsehserie The Avengers (deutsch Mit Schirm, Charme und Melone) bietet einen einmaligen Mix aus Krimi-, Spionage-, Science-Fiction- und Mystery-Elementen. In Staffel vier paaren sich diese Zutaten mit dem perfekten Darstellerduo: Patrick MacNee (John Steed) als lässiger Gentleman-Agent (mit Schirm und Melone) und Diane Rigg als souverän-schlagfertige Mrs. Emma Peel. Gleichsam emanzipiert, intelligent und sexy, ein Novum in den späten 1960er Jahren und weit darüber hinaus. Diana Rigg übernahm in Staffel vier die Rolle von Honor Blackman (die mit ihrer Rolle als Pussy Galore im James Bond Goldfinger bekannt wurde) und wurde nach zwei Staffeln leider wiederum von Linda Thorson ersetzt. Mit typisch britischer Ironie, aber auch enorm schlagfertigen Argumenten wird den Bösewichten begegnet.

 

Die Erstausstrahlung im ZDF zeigte leider nicht alle Folgen. Die empfehlenswerte Blu-ray-Box von Studiocanal beinhaltet sämtliche Folgen, teils nachsynchronisiert oder untertitelt und in schwarz-weiß. Alle Folgen sind von hervorragender Bildqualität, die Box bietet exklusive Extras und ein Booklet.

 

Fazit: The Avengers zeigen in perfekter Weise, was in den 1960er Jahren im Fernsehen möglich war. Eine skurille Krimiserie mit utopischen Elementen, Wortwitz, einem tollen Darstellerduo und enorm viel Sixties-Flair.

 

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Episode: Titel:
1

Stadt ohne Rückkehr (Town of no Return)

Die Agenten John Steed und Emma Peel werden in ein einsames Küstenstädtchen geschickt. Vier Agenten waren hier zuvor spurlos verschwunden. Mit Charme und Präzision fühlen sie den abweisenden Einheimischen auf den Zahn und entdecken bald Ungeheuerliches.

[+]  Die grandiose Fecht-Szene beim Kennenlernen des Duos. Der Mann, der in einer Plastiktüte aus dem Meer steigt. Das unglaubliche Essen im Zug. Die gruselige Atmosphäre des Dorfes.

[]  Das abrupte, viel zu wenig erklärende Ende.

2

Das Mörderinstitut (The Murder Market)

Rund um ein Ehevermittlungsinstitut für vermögende Menschen reihen sich merkwürdige Todesfälle. John und Emma schleusen sich als Kunden ein.

In den 1960er Jahren noch utopisch, heute normal: Partnervermittlung mittels wissenschaftlicher Methoden.

[+]  Emma Peel tanzt um ihren Sarg und wird begraben.

[]  Eher konventionelle Krimihandlung.

3

Club der Hirne (The Master Minds)

Ein angesehener Politiker bricht in eine Ministerium ein und kann sich an nichts erinnern. Die Spur führt unser Duo zu einem Club hochbegabter Menschen. Dort wird nicht nur der IQ und die Physis weiterentwickelt, sondern auch manipuliert.

[+]  Mrs. Peel ist nachweislich schlauer als Steed.

4

Vorsicht bei Anruf (Dial a Deadly Number)

Mehrere Firmenmanager sterben plötzlich. Die Börsenkurse der Firmen fallen daraufhin. Emma und John ermitteln die Gemeinsamkeit der Toten: Einen Funkempfänger in Form eines Stiftes.

Pager sind heute längst Stand der Technik, damals waren sie brandneu.

[]  Unspektakuläre Krimihandlung.

5

Ausverkauf des Todes (Death at Bargain Prices)

In einem Kaufhaus mitten in London geschieht Seltsames. Das neue Führungspersonal ist unfähig. Nachts wird die Dekoration umgebaut und Essen verschwindet. Emma lässt sich als Verkäuferin anstellen und bald ermitteln beide Agenten in einem Erpressungsfall von ungeheuren Ausmaß.

[+]  Eine gleichsam spannende, wie witzige Folge, die nur in einem Kaufhaus spielt. Emma und John in Höchstform und die Gegenspieler sind richtig böse Jungs.

6

Weihnachten - Ein Alptraum (Too many Christmas Trees)

John Steed träumt von Weihnachten und hat immer den selben Alptraum. Dort trägt der Weihnachtsmann eine üble Fratze und die besinnlichen Weihnachtsgeschichte wird zum Fürchten. Die Einladung zur Weihnachstfeier führt Steed und Peel zu einer Gruppe Menschen mit besonderen Fähigkeiten.

[+]  Surreale Traumsequenzen in einer Charles Dickens-Weihnachtsgeschichte.

7

Die Roboter (The Cybernauts)

John und Emma ermitteln in mehreren Mordfällen, die mit brachialer Gewalt verübt wurden. Die Opfer sind allesamt industrielle Führungspersonen der Hochtechnologie.

[+]  Elektronengehirne, Roboter und erstaunlich stimmige Vorhersagen zu moderner Computertechnologie. Was will das Avengers-Fanherz mehr?

Die Libelle

Original: Little Drummer Girl, 2018

Regie: Park Chan-Wook

DVD-Cover Die Libelle
Copyright © UniversalPictures Home Entertainment

 

Im England der späten 1970er Jahre. Die junge Schauspielerin Charlie (Florence Pugh) wird vom israelischen Geheimdienst unter Vorspiegelung eines angeblichen Engagements angeworben. In Wahrheit soll sie als Agentin helfen, einen Terrorring in Europa aufzudecken. Ihre Liebe zu Gadi (Alexander Skarsgard), der auch Ihr Mentor ist, wird dabei auf eine Zerreißprobe gestellt. Denn Realität und Rolle, Gut und Böse verschwimmen für Charlie zusehends - in der gefährlichsten Rolle ihres Lebens.

 

Die sechsteilige Serie von Park Chan-Wook (Oldboy, Lady Vengeance) ist bereits die zweite Verfilmung des Romans Die Libelle des bekannten Romanautors John Le Carré (1931-2020). Und sie übertrifft die Verfilmung von 1984 unter der Regie von George Roy Hill (Der Clou, Garp und wie er die Welt sah) bei weitem. Bereits mit The Night Manager (2016) bewiesen die Macher ihr Gespür für eine hochwertige Umsetzung der Buchvorlage von John Le Carré.

 

Die Miniserie besticht neben den fantastischen Darsteller:innen vor allem durch ihre Ausstattung. Fahrzeuge und Kleidung sind akribisch in den 1970er Jahren verortet, wobei auch Kleinigkeiten stimmig sind. Starke Farbakzente verleihen dieser Serie eine grelle Opulenz, wie sie wohl nur dieses Jahrzehnt bieten kann . Auch die Architektur ist beeindruckend eingefangen, offensichtlich wurde an Originalschauplätzen gedreht. Die spannende Serie kann allen Fans von Spionagefilmen und Thrillern empfohlen werden.

 

Während es in Korea (!) opulent ausgestattete Blu-ray-Versionen gibt, ist in Deutschland Die Libelle leider nur auf DVD erschienen. Immerhin finden sich neben der Laufzeit von 342 Minuten noch Bonusmaterial (A Look at the Series, The Director Park Chan-Wook, Meet the Characters, The Look & Design) auf den zwei DVDs.

 

Fazit: Eine starke Verfilmung des Bestsellerromans von John Le Carré.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

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© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © UniversalPictures Home Entertainment

 

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CAMP - Ausgabe 4 - 2022

Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur

Barmstedt ; Edition Alfons ; 2022 ; 138 Seiten ; Softcover

Riesige Pilze mit Wohntürmen in Meereslandschaft, im Vordergrund Schiff
Cover © 2022 Edition Alfons, Adaptation © 2022 Beeple

 

Auch die vierte Ausgabe von CAMP, dem Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur, bewegt sich wieder tief in den Gefilden der neunten Kunst, in der sogenannten trivialen Literatur und in der Illustrationskunst in all seinen herrlichen Ausprägungen. Bereits das Titelbild - wie bei allen CAMP-Ausgaben ein absoluter Hingucker - lädt ein auf eine fantastische Reise ins Schöne.

 

So schreibt Matthias Hofmann über das Internet-Phänomen Beeple. Beeple ist das Pseudonym des Künstlers Marc Winkelmann, einem visionären Schöpfer digitaler Kunst.

Volker Hamann geht den Geheimnissen von Paris in den Comicadaptionen der Nestor-Burma-Romane von Léo Malet auf den Grund.

Stefan Schmatz beschäftigt sich in Die Neuedition der Abenteuer mit der politischen Korrektheit von Enid Blyton und Stuart Tresilian und fragt ob Kinderliteratur auf den Index soll.

Science-Fiction-Fans werden von Christian Blees in Wanderer zwischen den Epochen über die Buchcover des Richard Clifton-Dey abgeholt.

Alec Nevala-Lee kratzt in Asimovs Reich, Asimovs Mauer am Thron des Science-Fiction-Gottes Isaac Asimov und skizziert in seinem hochinteressanten Aufsatz dessen Übergriffiigkeit auf Frauen - und welche Folgen dies möglicherweise für die angloamerikanische Science-Fiction-Literatur hatte.

Hartmut Becker zeigt in Ganz prima Lesefutter die Kinderbuchillustrationen der Ditz von Schneidewind in den 1950er Jahren.

In Weltberühmt und vergessen schreibt Christian Blees über die wechselvolle Karriere des Sexton Blake, einem im Schatten von Sherlock Holmes heute vergessenen Detektiv.

Horst Illmer befasst sich in Es war eine Lust, Feuer zu legen mit der Geschichte von brennenden und feuerfesten Büchern. Natürlich dürfen hier die Klassiker Fahrenheit 451 (Ray Bradbury) und Feuerkind (Stephen King) nicht fehlen.

Christian A. Bachmann beschreibt in Quadratisch, praktisch, gut die Whitmans Big Little Books.

The Vampire Strikes Back: 100 Jahre Nosferatu, von Paolo Caneppele und Günter Krenn, setzt sich mit Vampiren in Comics auseinander.

Heinz J. Galle schreibt in Als der Blechmann von der Leinwand sprang über das Sammeln von Spielzeugrobotern.

Das Magazin schließt mit einigen Seiten ausgewählter Buchrezensionen.

 

Alle Aufsätze sind mit zahlreichen, zumeist farbigen Bildern ergänzt. So ist CAMP nicht nur ein faktenreicher Ideengeber für literarische Entdeckungen, sondern lädt auch zum gemütlichen Schmöker und Durchblättern ein. 19 Euro für ein Magazin im Softcover-Format mögen hoch erscheinen, sind aber aufgrund der wertigen Aufmachung und der hochinformativen Texte gerechtfertigt. CAMP ist einfach ein außergewöhnlich schönes Magazin, mit hoffentlich noch vielen folgenden Ausgaben.

 

Fazit: Auch die vierte Ausgabe von CAMP ist eine wunderbare und reich bebilderte Reise für Comic- und Filmfans, Nerds und Trashfans, aber auch Literaturliebhaber, die gerne über ihren Tellerrand schauen.

 

Harald Kloth

5 Sterne
5 von 5

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© 2023 Harald Kloth, Cover © 2022 Edition Alfons, Adaptation © 2022 Beeple

 

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A. K. Turner: Wer mit den Toten spricht

Raven & Flyte ermitteln, Band 2

München ; Knaur, 2022  ; 384 Seiten ; ISBN 978-3-426-28249-6

Buchcover Farblich verfremdete Blüten und Blätter
Copyright © Verlagsgruppe Droemer Knaur

 

Der zweite Band der Forensik-Thriller-Reihe um die junge Assistentin der Rechtsmedizin Cassie Raven beginnt mit einem erschütternden Geständnis ihrer Großmutter, bei der Cassie aufgewachsen ist: Ihre Eltern sind nicht bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sondern Cassies Vater wurde für den Mord an ihrer Mutter zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Kurz darauf taucht ihr Vater tatsächlich bei ihr auf und möchte Kontakt zu ihr aufnehmen. Er behauptet er hätte den Mord an ihrer Mutter nicht begangen und sei 17 Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen. Cassie ist verunsichert, weil sie nicht weiß, ob sie ihrem Vater glauben soll. Dennoch stellt sie eigene Nachforschungen zu ihrer Familiengeschichte an und bekommt Unterstützung von DS Phyllida Flyte. Schafft es Cassie mit ihrer Hilfe herauszufinden was damals wirklich geschah?

 

Die britische Autorin A.K. Turner hat mit Cassie Raven, einer der Gothic-Szene zugewandten Sektionsassistentin, eine durchaus sympathische Protagonistin geschaffen. So leidet man als Leser mit ihr mit, als sie die Wahrheit um den Tod ihrer Mutter erfährt. Auch die Polizistin Phyllida Flyte, die ihr bei den Recherchen hilft und dabei ihren Job riskiert, hat eine Bürde zu tragen. Kapitel für Kapitel fiebert man mit den beiden mit.

Kurze knackige Kapitel und ein flüssiger Schreibstil machen dieses Buch zu einer leichten Lektüre. Zusätzlich erhält man interessante Einblicke in die Rechtsmedizin. Einzig die Spannungsintensität dieses Thrillers ist nicht ganz überzeugend. Deshalb sollte das Buch besser als Krimi statt als Thriller beworben werden. Dieser Band kann problemlos gelesen werden ohne vorher Band 1 gelesen zu haben, da die Handlung völlig unabhängig ist und die beiden Protagonistinnen von der Autorin gut eingeführt werden.

 

Fazit: Solide Story um die exzentrische Sektionsassistentin Cassie Raven, die in einem persönlichen Fall ermittelt.

 

Katrin Hildenbrand

3/4 Sterne
3/4 von 5

Band 1: Tote schweigen nie | Band 2: Wer mit den Toten spricht

 

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© 2023 Katrin Hildenbrand, Harald Kloth, Cover: Copyright © Verlagsgruppe Droemer Knaur

 

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Florian Schwiecker/Michael Tsokos: Der 13. Mann

Justiz-Krimi

München ; Knaur, 2022 ; 336 Seiten ; ISBN 978-3-426-52844-0

Buchcover Mann stehend im schwarzen Anzug, Mann sitzend in roter Kleidung
Copyright © Verlagsgruppe Droemer Knaur

 

Im zweiten Band „Der 13. Mann“ geht es für Strafverteidiger Rocco Eberhardt und den Rechtsmediziner Justus Jarmer um die Folgen eines schockierenden Sozialexperiments.

 

Dabei wurden Pflegekinder an Pädophile vermittelt. Diesen Skandal wollte eines der Opfer Timo Krampe mit seinem ebenfalls betroffenen Freund Jörg Grünwald und einer Journalistin mittels eines Zeitungsinterviews an die Öffentlichkeit bringen. Doch kurz vor dem Interview verschwindet Jörg und Timo Krampe wendet sich verzweifelt an den Anwalt Rocco Eberhardt. Bald darauf steht fest, dass es sich bei einer Wasserleiche, die bei Rechtsmediziner Jarmer auf dem Sektionstisch landet, um den Vermissten handelt. So kommt es, dass in diesem Justizkrimi Eberhardt und Jarmer wieder aufeinandertreffen und zusammenarbeiten.


Auch Timo Krampes Leben ist in Gefahr, denn die Verantwortlichen hinter dem sogenannten Granther-Experiment sitzen inzwischen auf wichtigen Posten in der Politik. Sie kennen keine Skrupel, um zu verhindern, dass die Wahrheit über ihre Beteiligung an diesem Skandal ans Licht kommt.

 

Dem Autorenduo aus dem bekannten Rechtsmediziner Michael Tsokos und dem ehemaligen Strafverteidiger Florian Schwiecker gelingt es auch mit dem zweiten gemeinsamen Justizkrimi bis zum Ende die Spannung aufrecht zu halten. Kurze, knackige Kapitel mit einigen Cliffhängern sorgen dafür, dass man das Buch kaum zur Seite legen kann. Am Ende schaffen es die Autoren mit einer überraschenden Wendung den Leser zu überraschen.

Völlig schockierend ist das Nachwort, aus dem hervorgeht, dass die Inspiration für dieses Buch das sogenannte Kentler-Experiment war.


Das Buch ist auch für Krimileser interessant, die Band Eins Die 7. Zeugin noch nicht gelesen haben, da die Figuren Eberhardt und Jarmer gut eingeführt werden und die Handlung völlig unabhängig ist.


Fazit: Ein sehr spannender und leicht zu lesender Krimi, der mit einer Thematik schockiert, die unvorstellbar scheint.

 

Katrin Hildenbrand

4 Sterne
4 von 5

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© 2023 Katrin Hildenbrand, Harald Kloth, Cover: Copyright © Verlagsgruppe Droemer Knaur

 

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Tanya Lapointe: Hinter den Kulissen von Dune

Vorwort von Denis Villeneueve. Einführung von Brian Herbert und Kevin J. Anderson

Buchcover: Hinter den Kulissen von Dune
Copyright © Panini Verlag

Stuttgart ; Panini ; 2021 ; 239 Seiten;  ISBN 978-3-8332-4095-9

 

Dune ist die Neuverfilmung des bekannten Science-Fiction-Romans von Autor Frank Herbert. Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve, hat bereits mit Blade Runner 2049 (2017), Arrival (2016) oder Sicario (2015) bildgewaltige Filme geschaffen. So überrascht es nicht, dass Dune das große Kinoereignis des Jahres 2021 war.

 

Auf 239 Seiten erzählt die Produzentin von Dune (und Ehefrau von Denis Villeneuve) Tanya Lapointe, von der Entstehung dieses meisterhaften Filmes. Intensiv wird auf die Gestaltung der außerirdischen Welten von Caladan, Geidi Primus, Salusa Secundus oder Arrakis eingegangen. Ein eigenes Kapitel zeigt den Angriff der Harkonnen auf die Atreiden. Schließlich folgt das Filmbuch der Filmhandlung und zwei weitere Kapitel befassen sich mit der tiefen Wüste und den Fremen.

 

Neben Szenenfotos finden sich viele Konzeptzeichnungen von Raumschiffen, Skizzen zu Landschaften, Illustrationen von Bauten und Architekturen, sowie Entwürfe zu Kostümen. Insgesamt ein überragender Blick auf den Designprozess, in exzellent ausgewählten, oft zweiseitigen Bildern.

 

Bereits der Hardcovereinband im Schuber und das Gewicht betonen die Wertigkeit dieses Filmbuchs. Doch inhaltlich wird dieses Gefühl zur Bestätigung: Die Bildauswahl ist mehr als gelungen, die Texte sind außerordentlich informativ. Die silberne Schrift verleiht dem Werk zwar eine sehr edle Note, doch die optische Lesbarkeit leidet hier manchmal leider. Dennoch mindert das den hervorragenden Gesamteindruck nur wenig.

 

Fazit: Hinter den Kulissen von Dune gewährt einen atemberaubenden Blick auf einen großen Science-Fiction-Film und ist das vielleicht schönste Filmbuch des Jahres 2021.

 

Harald Kloth

5 Sterne
5 von 5

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© 2023 Harald Kloth, Cover: Copyright © Panini Verlag

 

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Raised by Wolves - Die komplette erste Staffel

Original: Raised by Wolves, 2020

Regie: Ridley Scott, Luke Scott

 

Die Erde ist durch einen Religionskrieg verwüstet. Auf dem erdähnlichen Planeten Kepler22b landet ein Raumschiff. An Bord befinden sich zwei Androiden und tiefgefrorene, menschliche Embryos. Die künstlichen Menschen, sich selbt Mutter und Vater nennend, haben den Auftrag fernab von den Kriegen der Menschheit die Kinder großzuziehen.

 

Im Laufe der Jahre sterben immer mehr der Kinder, ohne dass anfangs ein Grund erkennbar wäre. Aber auch Kepler22b entpuppt sich als ein Planet mit gefährlichen Geheimnissen, als agressive Wesen die kleine Siedlung attackieren. Um die Gruppe zu schützen, verwandelt sich Mutter in einen sogenannten Nekromanten, eine gefährliche Kampfmaschine.

 

Als ein Kolonieschiff der Mithraisten erscheint, sieht Mutter die Mission bedroht. Sie zerstört das Raumschiff der Kolonisten, rettet aber eine Gruppe Kinder. Doch einige Mithraisten haben die Havarie ihres Schiffes überlebt und möchten mit Gewalt die Kinder zurückholen und die Androiden vernichten.

 

Schon in den Science-Fiction-Meilensteinen Alien (1979) und Blade Runner (1982) beschäftigte sich die Regie-Legende Ridley Scott mit künstlichen Menschen. Die Androiden in Raised by Wolves könnten perfekt aus diesen Universen stammen, obwohl es keine direkten Verweise darauf gibt. Indirekte Bezüge finden sich, so wurde Mutter auch der Bordcomputer der Nostromo in Alien genannt. Und künstliche Augen spielen auch im Meisterwerk Blade Runner eine zentrale Rolle (und führen zu einem der besten Zitate der Filmgeschichte). Die Mithraisten erinnern in ihren weißen Gewändern stark an Kreuzritter in Königreich der Himmel (2005). Es scheint als zitiert sich Sir Ridley Scott in dieser von ihm produzierten Science-Fiction-Serie selbst.

 

Die Menschheit (oder das, was von ihr geblieben ist) ist in Scott´s Vision polarisiert zwischen fanatischer Religion und Wissenschaft. Seine Sympathien liegen bei den Androiden, während fast alle Menschen von Hass, Lüge oder Gewalt getrieben scheinen.

 

Die Dänin Amanda Collin trägt die Serie mit ihrem beeindruckenden Schauspiel als Mutter. Als Androide hat sie zwei Programmierungen: eine als Übermutter, ständig um das Wohl ihrer menschlichen Kinder bemüht. Zum anderen kann sie sich in eine Kampfmaschine verwandeln. Auch ihr Partner, Vater, wird von Abubakar Salim absolut glaubwürdig verkörpert. Den menschlichen Gegenpart hat Travis Fimmel (Vikings) inne, der eine mächtige Leinwandpräsenz besitzt und sich zunehmend in einen fanatischen Charakter verwandelt.

 

Die Darstellung des Planeten Kepler 22b, aber auch der im Krieg versunkenen Erde, sind sehr überzeugend. Auch Raumschiffe und insbesondere die Androiden sind großartig designed. Die Ausstattung der Serie ist auf sehr hohem Niveu. Es macht Spaß in diese Science-Fiction-Welt einzutauchen.

 

Fazit: Bildgewaltige Serie für Science-Fiction-Fans. Intelligent erzählt und von überragenden Darstellern getragen.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

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© 2022 Harald Kloth

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The Walking Dead, Band 16: Eine größere Welt

Erschaffen und geschrieben von Robert Kirkman. Zeichnungen von Charlie Adlard. Grautöne von Cliff Rathburn

Ludwigsburg ; Cross Cult ; 2012 ; 137 Seiten ; ISBN 978-3-86425-098-9 ; Hardcover

 

Cover Robert Kirkman/Charlie Adlard: The Walking Dead - Eine größere Welt
Copyright © Cross Cult Verlag

Die Versorgung der Bevölkerung von Alexandria wird immer prikärer, denn die Aussenteams finden immer weniger zu plündern. Derweilen beobachtet ein geheimnisvoller Fremder die Stadt. Michonne und Abraham werden mit dem Fremden in einen Kampf verwickelt. Nur knapp kann Rick die Situation klären. Der vermeintliche Angreifer stellt sich als Paul Monroe, auch Jesus genannt, heraus. Er behauptet von einer anderen Siedlung zu kommen und Handelsbeziehungen aufbauen zu wollen. Doch Rick ist äußerst mißtrauisch.

 

"Wir können endlich aufhören zu überleben ... und anfangen zu leben." (Rick Grimes)

 

TWD-Fans ist die Figur des Jesus natürlich bestens durch die Fernsehserien vertraut. So tritt er in den Staffeln sechs bis neun in der Mutterserie The Walking Dead auf. Wie der Titel des Bandes vermuten lässt, betreten unsere Heldinnen und Helden durch Jesus tatsächlich eine neue und viel größere Welt. Statt sich um eine Sippe zu sorgen, gilt die Aufmerksamkeit nun verschiedenen Siedlungen und ihren teils kriegerischen Auseinandersetzungen. So wird dieser 16. Band zu einem Einschnitt der gesamten Comicreihe.

 

Die schwarz-weißen Panels sind flüssig zu lesen, die Geschichte um Jesus ist actionreich und spannend erzählt. Insgesamt ein sehr guter Band, der alle Zutaten des TWD-Erfolges beinhaltet.

 

Zum ersten Mal in dieser Reihe gibt es keine Extras. Der sechzehnte Band wurde in deutscher Erstveröffentlichung als Hardcover in schwarz-weiß und preisgünstiger auch als Softcover (2019) veröffentlicht. Außerdem sind die Bände 9 bis 16 im "Kompendium 2" (2014) als Sammelwerk erschienen.

 

Fazit: Unsere Helden treffen auf einen besonderen Ort und eine neue Welt.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

The Walking Dead

Band 15: Dein Wille geschehe | Band 16: Eine größere Welt| Band 17: Fürchte dich nicht

 

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© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © Cross Cult Verlag

 

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The Walking Dead, Band 15: Dein Wille geschehe

Erschaffen und geschrieben von Robert Kirkman. Zeichnungen von Charlie Adlard. Grautöne von Cliff Rathburn

Ludwigsburg ; Cross Cult ; 2012 ; 152 Seiten ; ISBN 978-3-942649-25-4 ; Hardcover

 

Buchcover The Walking Dead, Band 15: Dein Wille geschehe
Copyright © Cross Cult Verlag

Nach dem Angriff auf Alexandria liegt Carl schwer verletzt auf der Krankenstation. Währendessen werden die Toten begraben, unter ihnen auch der Anführer Douglas, die von Rick getötete Jessie und Morgan.

 

Rick fasst aber neuen Mut und möchte die Gemeinschaft einen. Doch für die meisten Bewohner Alexandrias ist nun alles anders. Konflikte mit Ricks Gruppe flammen auf und er wird als neuer Anführer zunehmend in Frage gestellt.

 

"Gemeinsam sind wir stark." (Rick Grimes)

 

Nach den furchtbaren Ereignissen im 14. Band konzentriert sich der ruhigere Nachfolgeband vor allem auf Carl´s Genesung, die schwierigen Beziehungen und internen Gruppenkonflikte. Auch in diesem Band der Zombiesaga liegt die Stärke weniger in den schwarz-weissen Zeichnungen, sondern vielmehr im ausgeklügelten Beziehungsgeflecht der vielen Protagonisten. So führt z. B. Abraham eine heimliche Beziehung mit Holly. Dougla´s Sohn Spencer möchte Andrea für sich gewinnen. Rick hingegen erscheint zunehmend psychisch labil.

 

Extras: Der Zombie-Guide Teil 15: George A. Romeros Spätwerk und das Kleine Fernsehspiel von Lorenz Hatt. Sechsseitige Leseprobe aus Das Schwert I: Feuer von Joshua und Jonathan Luna.

 

Der fünfzehnte Band wurde in deutscher Erstveröffentlichung als Hardcover in schwarz-weiß und preisgünstiger auch als Softcover (2019) veröffentlicht. Außerdem sind die Bände 9 bis 16 im "Kompendium 2" (2014) als Sammelwerk erschienen.

 

Fazit: Starke Emotionen und menschliche Konflikte in Alexandria.

 

Harald Kloth

4 Sterne
4 von 5

The Walking Dead

Band 14: In der Falle | Band 15: Dein Wille geschehe | Band 16: Eine größere Welt

 

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© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © Cross Cult Verlag

 

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Dark Star - HR Gigers Welt

Original: Dark Star: HR Gigers Welt, 2014

Regie: Belinda Sallin

Copyright © Salzgeber & Co. Medien
Copyright © Salzgeber & Co. Medien

 

Hansruedi "HR" Giger (1940-2014)  ist einem breiteren Publikum als Designer der Alien-Kreatur in Ridley Scotts gleichnamigen Science-Fiction-Horrorfilm von 1979 bekannt geworden. Der Schweizer Künstler war aber so viel mehr als Oscar-Preisträger eines der besten Horrorfilme aller Zeiten.

 

Der Dokumentarfilm Dark Star - HR Gigers Welt versucht hinter die Person Giger zu blicken und portraitiert einen gebrechlich wirkenden, aber hellwachen Menschen mit großer Präsenz in seinem außergewöhnlichen Haus voller Kunstobjekte und Malereien. Er zeigt die Arbeit seines Teams, zeigt ihn beim Besuch seiner Freunde und Familie. Man spürt die enge Verbundenheit der Personen rund um HR Giger.

 

In zahlreichen Interviewausschnitten kommen zahlreiche Begleiter/innen Gigers zu Wort, wie z. B. seine zweite Ehefrau Carmen Maria Giger. Der Dokumentation gelingt es hervorragend, das Abgründige und Kontroverse in HR Gigers Werk rund um Geburt, Sexualität und Tod darzustellen.

 

Wer sich mehr mit der Entstehung des ersten Alien-Films beschäftigen möchte, dem sei dem Dokumentation Memory empfohlen.

 

Fazit: Intensiver Blick auf einen außergewöhnlichen Künstler.

 

Harald Kloth

4 Sterne
4 von 5

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Bücher von und über H. R. Giger bei amazon.de

 

© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © Salzgeber & Co. Medien

 

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Felicitas Prenzel: Fees vegane Verwöhnküche

Kreative Rezepte aus über 30 Jahren Erfahrung. Von süss bis herzhaft" von Felicitas Prenzel

Bernhardswald ; Lusinia-Verlag ; 2022 ; 128 Seiten ; ISBN 978-3-9815403-5-2

Buchcover Felicitas Prenzelk: Fees vegane Verwöhnküche
Copyright © Lusinia Verlag

 

Auf 126 Seiten präsentiert Felicitas Prenzel kreative, vegane Rezepte aus über 30 Jahren Erfahrung von süß bis herzhaft. Das Cover lockt mit den Worten „Vegan kochen ist schwierig? Fees Rezepte beweisen das Gegenteil!“.

 

Gleich zu Beginn werden einige Kochtipps verraten, die ein „entspanntes Kochen“ ermöglichen sollen. Ebenso erfährt der Leser die Beweggründe der Autorin für den veganen Lebensstil.

 

Es folgt ein Inhaltsverzeichnis mit der Auflistung aller Rezepte von Aufstrichen & Dips bis hin zu Hauptspeisen und Desserts. Nicht nur bekannte Gerichte wie Kartoffelsalat, Tomatensuppe oder Maultaschen werden aufgeführt, sondern auch weniger bekannte Gerichte wie z.B. Veganer „Schinken“, Auberginen-„Matjes“ oder Blumenkohl-„Steak“.

 

Jede Rubrik wird mit Fotos der verschiedenen Speisen eröffnet. Daraufhin folgen die einzelnen Rezepte. Die Besonderheiten der Rezepte wie z.B. Glutenfrei, Sojafrei oder Nussfrei werden hervorgehoben. Ebenso geht die Autorin auf mögliche Varianten der Gerichte ein um Unverträglichkeiten zu berücksichtigen. Bei einigen Rezepten ist ein grün geschriebener Kommentar der Autorin eingefügt. Hier beschreibt Felicitas Prenzel z.B. den Hintergrund der Rezepte oder fügt Kochtipps hinzu. Weitere „Zaubermöglichkeiten“ findet man am Ende des Rezeptes. Kleine Abwandlungen können ein Gericht neu erfinden.

 

Die Zutaten werden genauestens beschrieben, bei z.B. Kräutern fügt die Autorin hinzu, ob diese frisch oder getrocknet sein sollen. Auch werden vegane Ersatzprodukte verwendet. In diesen Fällen gibt Felicitas Prenzel zum Teil die Marke der Produkte an. So kann als Ersatz für die Crème fraîche z.B. die Creme Vega von Dr. Oetker verwendet werden. Die Zubereitung der Gerichte wird in einzelnen Schritten beschrieben.

 

Die Fotos sind zum Teil nicht direkt neben den Rezepten platziert, dies führt dazu, dass reine Textseiten beinhaltet sind, welche leider etwas unübersichtlich wirken. Für Kochbegeisterte, die die vegane Welt der Gerichte noch nicht erkundet haben, werden einige Zutaten noch unbekannt sein. Dies lässt die Gerichte auf den ersten Blick kompliziert erscheinen. Die Angabe von z.B. Marken erleichtert aber den Einkauf von bisher unbekannten Zutaten.

 

Fazit: Fees vegane Verwöhnküche ist ein Kochbuch mit tollen veganen Rezepten, die für Kochbegeisterte mit Erfahrung, leicht umzusetzen sind, so wie es das Cover verspricht. Für Neulinge hingegen könnten einige Rezepte jedoch schwierig erscheinen.

 

Andrea Bräu

4 Sterne
4 von 5

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© 2022 Andrea Bräu, Harald Kloth, Cover: Copyright © Lusinia Verlag

 

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Diez/Krabbe/Engler: Werkstattbuch Mediation

Von Hannelore Diez, Heiner Krabbe, Karen Engler

Köln ; Otto Schmidt ; 2019; ISBN 978-3-504-06262-0 ; 341 Seiten

 

Die zweite, neu bearbeitete Auflage des Werkstattbuch Mediation aus dem Jahr 2019 bildet als "Klassiker", der nicht aus der Mediationslandschaft wegzudenken ist, sowohl eine solide Grundlage und Begleitung für eine Mediationsausbildung oder dient als fundiertes Nachschlagewerk und Ideengeber für Mediator*innen.

 

Es überzeugt durch einen flüssig lesbaren und verständlichen Sprachstil und ist für ein Lehrbuch sehr spannend, fast wie ein Roman, zu lesen. Dieses Fachbuch zeichnet sich durch einen klaren Aufbau, verständliche Erklärungen zu Arbeitsweise, Vorarbeit und Ablauf aus.

 

An Hand eines komplexen Fallbeispiels einer Erbmediation erhält der Leser oder Lernende einen Einblick in alle einzelnen Phasen der Mediation. Er bekommt Übung sowie Wege, Techniken und Methoden an die Hand. Es werden das Erstellen von Angeboten durch die Medianten, das Verhandeln, das Bilden von Arbeitshypothesen, die Abschlussvereinbarung und das Abschlussgespräch in gut übertragbarer wörtlicher Rede, nachvollziehbar dargestellt.  Die Rolle des Mediators ist ausführlich, verständlich und schlüssig erklärt.

 

Das Werk bietet zusätzlich einen übersichtlichen und gut gefüllten Werkzeugkoffer mit gut übertragbaren und verständlichen Abläufen, Vorschlägen, Praxisbeispielen, Beispielsätzen z. B. zur Themensammlung, Deeskalationstipps usw. Übungen und Tipps sowie technische Bausteine mit Beispielen zu verschiedenen Situationen regen zum Nachdenken und zur Eigenreflexion an.

 

Das Buch schließt ab mit Ratschlägen zur Praxiserleicherung, mit einer Zusammenfassung, Mustern, Beispielen für Konstrukte, Plänen, Aufstellungen etc.

 

Fazit: Als Arbeitsbuch für Praxis, Lehre und Supervision sollte es auf keinem Schreibtisch fehlen und ist absolut empfehlenswert.

 

Jutta Kloth

5 Sterne
5 von 5 Lesetipp

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© 2022 Jutta Kloth, Harald Kloth

 

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Alien 1: Blutlinien

Story: Phillip Kennedy Johnson. Zeichnungen: Salvador Larroca

Stuttgart ; Panini ; 2022 ; 164 Seiten ; ISBN 978-3-7416-2864-1 ; Softcover

Cover Alien Blutlinien 1
Copyright © Panini Verlags GmbH

 

Während mit Prey bereits der fünfte Predator-Film veröffentlicht wird, soll das verwandte Alien-Franchise demnächst in Serienform fortgesetzt werden. Lässt sich die Zwischenzeit mit Comics überbrücken?

 

Das Jahr 2200. Epsilon-Raumstation: Weyland-Yutani Sicherheitschef Gabriel Cruz geht endlich in den wohlverdienten Ruhestand.

Erde, United Americas. Von Alpträumen geplagt sucht Cruz Hilfe bei einem Psychiater-Androiden (wunderbar getroffen: Das Bishop-Model aus Aliens). Zudem möchte er sich mit seinem Sohn Danny versöhnen. Doch sein enttäuschter Sohn hat sich einer Widerstandgruppe angeschlossen. Um gegen den mächtigen Weyland-Yutani-Konzert vorzugehen, benutzt Danny seinen Vater, stiehlt dessen Keycard und gelangt so mit einer Gruppe zur Raumstation. An diesem Ort starb nicht nur Dannys Bruder, sondern der Konzert führt auch Experimente an den Xenomorphen durch.

Schnell eskaliert die Situation, das Unheil nimmt seinen Lauf ...

 

Phillip Kennedy Johnson und Salvador Larroca (Star Wars) verbeugen sich mit dieser neuen Alienserie tief vor der Mythologie des Alien-Franchise. Am auffälligsten verkörpert durch die gelungene Darstellung des Androiden Bishop. Diese (ursprünglich von Lance Henriksen verkörperte) künstliche Lebensform hatte filmische Auftritte im zweiten Teil Aliens und in Alien3. Im vorliegenden Comic verkörpert er mehrere Charaktere, unter anderem einen Psychiater. Aber auch Nebensächlichkeiten wie Kleidungsstil passen gut in den bisherigen Alien-Kosmos. Und natürlich spielt auch eine Katze wieder eine wichtige Rolle.

 

Die Zeichnungen von Larroca sind sehr plastisch und wirken vor allem bei den Alien-Xenomorphen furchteinflößend.

 

Neben der reglulären Ausgabe im Softcover gibt es auch noch eine auf 333 Stück limitierte Variant-Ausgabe und eine auf 111 Stück limitierte Variant-Ausgabe mit Original-Signatur von Gabriele Dell´Otto.

 

Fazit: Stimmig nimmt sich diese Alien-Geschichte dem Thema dysfunktionale Familie an. Die vielen Filmreferenzen und die plastischen Zeichnungen sind überaus gelungen. Starker Science-Fiction-Horror.

 

Harald Kloth

4 Sterne
4 von 5

Alien (2021)

Band 1: Blutlinien | Band 2: Erweckung

 

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© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © Panini Verlags GmbH

 

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John Walsh: Die Klapperschlange - Escape from New York

Die Entstehungsgeschichte des Kultfilms

Ludwigsburg ; Cross-Cult ; 2022 ; 160 Seiten ; ISBN 978-3-96658-883-6

Buchcover John Walsh: Die Klapperschlange
Copyright © Cross Cult Verlag

 

In den 1970er und 1980er Jahren schuf der Regisseur John Carpenter eine ganze Reihe unbestrittener Kultfilme, die noch heute im Genrekanon des Science-Fiction- und Horror-Films nicht mehr wegzudenken sind: Dark Star (1974), Assault - Anschlag bei Nacht (1976), Halloween - Die Nacht des Grauens (1978), The Fog - Nebel des Grauens (1980), Die Klapperschlange (1981), Das Ding aus einer anderen Welt (1982), Sie leben (1988).

 

Anfang der 1980er Jahre hatte Carpenter vielleicht seinen künstlerischen Zenit als Filmemacher erreicht. Mit der düsteren Zukunftsvision eines als Gefängnis umfunktionierten New Yorks schuf er auch einen archetypischen Antihelden: Snake Plissken (dargestellt von Kurt Russel).

 

Das Filmbuch von John Walsh richtet sich direkt an die Fans dieses, von großartigen Darstellern (Lee van Cleef, Ernest Borgnine, Donald Pleasence, Isaac Hayes, Harry Dean Stanton, Adrienne Barbeau), getragenen apokalyptischen Action-Streifens. Deutlich wird dies schon durch die Größe des Hardcoverbandes von beeindruckenden 24 mal 32 Zentimetern. Auf 160 Seiten wurden 304 Bilder der Dreharbeiten, von Szenenfotos, privaten Aufnahmen, Grafiken und Filmpostern zusammengetragen.

 

Autor Walsh geht anfangs auf den Filmemacher ein und zeigt das filmische Oeuvre Carpenters von 1974 bis 1980. Ausführlich beschreibt er die Besetzung, unterstützt durch teils ganzseitige Portraits der Mimen. Im nächsten großen Kapitel "Über die Mauer: Die Dreharbeiten" werden die wichtigsten Drehorte beschrieben. Vom Sicherheitskontrollpunkt Liberty Island, über die Air Force One, das World Trade Center, bis zur Brücke an der 69. Straße und der Rettung des Präsidenten. Im Kapitel "Design der Zukunftswelt von 1997" wird die Entscheidung, Retrofahrzeuge aus den 1970er Jahren zu verwenden beleuchtet. Schließlich finden sich noch kleinere Kapitel zur Beleuchtung, den visuellen Effekten, der Musik von John Carpenter bis hin zu den international verwendeten Filmpostern.

 

Fazit: Für John Carpenter-Fans unverzichtbarer, großformatiger Bildband.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

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© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © Cross Cult Verlag

 

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Paulo Coelho: Wochenkalender 2023

Zürich ; Diogenes ; 2022 ; 54 Blätter ; ISBN 978-3-257-51097-3

Kalendercover: Paulo Coelho Wochenkalender 2023
Copyright © Diogenes Verlag

 

Paulo Coelho ist einer der bekanntesten brasilianischen Autoren, teils erreichen seine Titel Millionenauflagen. Seine Werke wie Der Alchimist oder Der Zahir sind märchenhaft-magisch, auch romantisch. Seine Protagonisten begeben sich auf eine Suche, oft ist der Weg dabei das Ziel.

 

Auf 54 Wochenseiten bebildert der Kalender Paulo Coelhos Gedanken zu seinen Werken. Beeindruckende Fotografien von Wüstendünen, bizarre Felsformationen, unwirkliche Salzseen oder majestätisch in den Himmel reichende Berge. Immer steht die ursprüngliche Schönheit der Natur im Mittelpunkt. Nur sehr selten sind Bäume, Tiere oder Menschen abgebildet. So entsteht beim Betrachten der Naturfotos neben Anmut und Schönheit auch ein Gefühl der Erbarmungslosigkeit und des Vergänglichen.

 

Jedem Kalenderblatt ist ein Zitat aus den Werken Paulo Coelhos zugeordnet, das mehr oder weniger gut zum Foto passt.

 

Mittels Perforation lässt sich jedes Blatt aus dem ca. 24 mal 32 Zentimeter großen Kalender heraustrennen. Typografisch ist der Wochenkalender äußerst gelungen gestaltet. Auch deswegen eignet er sich perfekt als Geschenk für Menschen mit Abenteuerlust oder tiefgründig-philosophische Menschen.

 

Fazit: Inspirierender Kalender für Wüstenfans.

 

Harald Kloth

4 Sterne
4 von 5

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© 2022 Harald Kloth, Cover: Copyright © Diogenes Verlag

 

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Richard J. Evans: Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien

Wer sie in die Welt gesetzt hat und wem sie nutzen

München ; DVA ; 2021 ; 368 Seiten ; ISBN 978-3-570-55477-7

Buchcover Richard J. Evans: Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien
© Penguin Random House Verlagsgruppe

 

Hitler hat nicht am Nachmittag des 30. April 1945 zusammen mit seiner erst kurz zuvor geehelichten Frau Eva Braun Selbstmord begangen und ist dann seinen vorherigen Anweisungen entsprechend verbrannt worden, sondern hat den Führerbunker schon vorab verlassen und lebte Jahrzehnte lang unbehelligt in Südamerika!

Derartige Verschwörungstheorien gab es schon immer in der Geschichte, aber die Tatsache, dass sich heute alles quasi in Echtzeit über den gesamten Erdball verbreiten lässt, führt geradezu zu einem Boom an Fake News und dergleichen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie mit der Querdenker-Bewegung hat dies nochmals verdeutlicht. Ein geradezu perfektes „Spielfeld“ für Verschwörungstheoretiker bietet das bereits nach 12 Jahren beendete, einst als tausendjährig proklamierte Dritte Reich. Das dieses Thema auch nach über 75 Jahren aktueller ist denn je, zeigen die immer wieder neu aufkommenden Gerüchte und Verschwörungsgeschichten mit Beginn des Internetzeitalters und insbesondere der Allgegenwärtigkeit sozialer Medien. Diese Thematik hat nun der renommierte Historiker und Buchautor Richard J. Evans in seinem neuesten Buch „Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien“ herausragend aufbereitet.

Der diesen Monat 75 Jahre alt werdende Richard J. Evans war von 1998 bis 2008 Professor of Modern History sowie von 2008 bis 2014 Regius Professor of History an der Cambridge University und gilt als einer der führenden britischen Historiker zur deutschen Geschichte und insbesondere des Nationalsozialismus. Seine Publikationen zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie zum Nationalsozialismus waren bahnbrechend. Neben seinen unzähligen Auszeichnungen ist 2012 die Ernennung zum Ritter durch Queen Elizabeth II. hervorzuheben. Nach seinem 2018 erschienen Buch „Das europäische Jahrhundert. Ein Kontinent im Umbruch - 1815-1914“ nun das hier vorliegende neue Meisterstück des renommierten Historikers.

Evans untersucht in seinem neuen Buch auf einer unverrückbaren Beweislage, wie man festes Wissen gegen „an den Haaren herbeigezogenen“ angeblichen anderweitigen Fakten verteidigen kann. Der Autor nutzt dazu fünf markante Ereignissen aus oder im Zusammenhang mit der NS-Zeit, die bis heute in unterschiedlichsten Ausprägungsgraden immer wieder Anlass zu Spekulationen geben: die „Protokolle der Weisen von Zion“ als angeblichen Beleg einer jüdischen Weltverschwörung, die Dolchstoßlegende mit der Schmach des Vertrages von Versailles, die Mythen um den Reichstagsbrand, Motive des Englandflugs des Hitler Stellvertreters Rudolf Heß am 10. Mai 1941, über dessen „Treuebruch“ Hitler nie hinweg kam sowie die eingangs erwähnte angebliche Flucht Hitlers aus dem Führerbunker vor seinem Selbstmord. Diese Begebenheiten unterscheiden sich entweder dadurch, dass sie den Hass auf eine Gruppe schüren (systematische Verschwörung) oder den Verlauf der Geschichte abändern wollen (ereignisorientierte Verschwörung). Geht es bei den ersten beiden Themen darum, wie die Nationalsozialisten Ereignisse angeblich für ihre Zwecke missbraucht haben, behandeln die dann folgenden drei Kapiteln Verschwörungstheorien um Geschehnisse der NS-Schergen, die sich erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte herausbildeten.       

Verschwörungstheorien sind seit spätestens dem 18. Jahrhundert Teil der Geschichtsforschung und haben laut Evans gemeinsam, dass sie für jedermann verständlich Sachverhalte vereinfacht und plausibel darstellen. Es werden Beziehungen hergestellt, wo es de facto keine gibt und es werden dafür oft genug auch Fakten verdreht oder gar neu erfunden. Das Ganze noch medial gut aufbereitet und eine treu glaubende Anhängerschaft ist schnell gefunden (siehe heutzutage mit den Corona-Leugnern). Dabei könnte man glauben, dass derartige Theorien nach Jahrzehnten und auf Basis wissenschaftlich akkurat erarbeiteten Erkenntnissen zu den realen Geschehnissen und Abläufen abnehmen würden. Weit gefehlt! Stattdessen erleben diese seit Mitte der 50er Jahre über die Boulevardpresse und dem Fernsehen und spätestens seit dem Einzug sozialer Medien in unseren Alltag im neuen Jahrtausend einen wahren Boom. Es ist somit für den historisch wenig bewanderten „User“ immer mehr herausfordernd, Fakten von Erfundenem zu unterscheiden, mit der Konsequenz, dass die seriösen Wissenschaften ihres auf eben diesen Fakten erstelltes Bild der Geschichte immer und immer wieder aufs Neue rekonstruieren und verteidigen müssen.   

Evans nennt alle seine oben angeführten fünf Beispiele paranoide Phantasien. Es wird erfunden, spekuliert, fantasiert, realitätsfremd in die Glaskugel geguckt, also alles andere, als sich auf Fakten zu berufen. Die Einfachheit der Erklärungen kumuliert dann, wer von welchen Abläufen der Geschichte profitiert hat und rechtfertigen damit ihren Wahrheitsgehalt.

Mit den „Protokollen von Zion“ wollen die Verschwörungstheoretiker einen stringenten Strang zum Holocaust ziehen. Dem wiederspricht Evans gleich zu Beginn. Hitler war kein Freund derartiger Verschwörungen, hat sich nie auf diese Protokolle bezogen und nationalsozialistische antijüdische Hetzkampagne war ebenso andersartig ausgerichtet. Hitler bezog stattdessen seine antisemitischen Anschauungen aus der Propaganda, dass die Juden als Drahtzieher im Verborgenen handelten, um die Gesellschaft aus dem Hintergrund heraus zu spalten. Am 30.01.1939, sechs Jahre nach seinem Machtantritt, verkündete er basierend darauf mehr oder weniger offiziell im Reichstag die Vernichtung der Juden und setzte dies spätestes ab da manisch um. Dem zur Folge keinerlei Bezug zu den „Protokollen von Zion“. Dies gilt dann gleichermaßen für das zweite Thema dem sich Evans widmet, der Dolchstoßlegende. Der Blick des NS-Regimes war nicht im Groll dahingehend nach hinten gerichtet, dass die glorreich kämpfenden Soldaten angeblich unbesiegt von außen von destruktiven sozialistischen Kräften im Inneren des Reichs besiegt wurden (frei nach Friedrich Ebert zu den heimkehrenden Soldaten: „Kein Feind hat Euch überwunden“), sondern durch den mangelnden Überlebenswillen. Auch, wenn dies ein wesentlicher Aspekt für den Aufstieg der Nationalsozialisten zur Macht war, so Evans, deren Blick war mehr nach vorne mit der Errichtung eines arisch reinen Volkes mit Lebensraum im Osten gerichtet. Der Reichstagsbrand wiederum war gleichermaßen ein Nährboden für Gerüchte, die Tat eines einzelnen kann nur einem Komplott zugrunde liegen, so argumentieren die Faktenfälscher. Das Dritte „tausendjährige“ Reich wurde also angeblich basierend auf der Theorie errichtet, die Kommunisten hätten als einen wesentlichen Schritt zum Sturz der Weimarer Republik versucht, den Reichstag abzufackeln. Ein Beweis für die Beteiligung anderer, z.B. zusätzliches entzündliches Material, wurde nie gefunden und das Geständnis des Täters, Marinus van der Lubbe, von dem er auch nie abrückte, dass er Allleintäter war, ist ebenso ein zwingender Beweis. Hitler brauchte den Reichstagsbrand nicht für seine Zwecke. Er und seine Nationalsozialisten hätten ansonsten einen anderen Vorwand als Vehikel ge- oder besser erfunden, um den Notstand auszurufen und Massenverhaftungen gegen Kommunisten und Sozialdemokraten anzuordnen. Wie aktueller denn je das letzte Thema in Evans Buch um Hitlers angebliche Flucht aus dem Führerbunker ist, zeigt sich daran, dass darüber in den letzten 20 Jahren mehr Bücher und Filme erschienen sind, als in den über 50 Jahren zuvor.  

Verschwörungstheorien sind nicht neu, so Evans, und wie bereits erwähnt spätestens seit dem 18, Jahrhundert Teil der Geschichtsschreibung. Lediglich die Art, sowie Geschwindigkeit und die Medien der Verbreitung haben sich natürlich stark verändert.  Evans zeigt akribisch bis ins letzte Detail auf, von wem sie mit welcher Intention in die Welt gesetzt wurden, wer wie versucht hat, die Geschichte in diesen Teilen umzuschreiben und daraus einen Nutzen zu ziehen sowie warum sie sich trotz eindeutiger widersprechender Fakten teils bis heute gehalten haben bzw. immer wieder ein neues Hoch erfahren. Diejenigen, welche Verschwörungstheorien aufbringen stellen Fakten als gefälscht oder erlogen dar und stellen diejenigen, die sich auf Fakten berufen, diese erarbeiten oder in Erinnerung rufen werden als Verschwörer oder Teil einer Verschwörung hin – dies teils bis zu körperlicher Bedrohung. Evans widerlegt plausibel diese Theorien u.a. auch, in dem er gleiche Vorgehensweisen beim Entwickeln dieser Theorien identifiziert. Evans validiert dies basierend auf einem immensen Fundus an Literatur und anderen Dokumentationen, die es dem Leser auch ermöglichen und erleichtern, sich bei Bedarf ein eigenes Bild zu verschaffen.

Basierend auf Erzählungen im 19. Jahrhundert vermischen laut Evans Verschwörungstheorien den Unterschied zwischen Fakten und Fiktion, da es letztendlich irrelevant ist, ob die Einzelheiten einer Geschichte stimmten, so lange sie die ihnen zugrunde liegende fundamentale Wahrheit ausdrücken. Sie sind meist schwarz oder weiß und es gibt eindeutig die Guten und die Bösen. Das macht ihre Verbreitung für ein größeres Publikum einfacher und plakativer. Fakten sind dagegen oft komplex, ihre Herleitung manchmal schwer nachzuvollziehen! Deswegen ist es Aufgabe der Historiker, diese ebenso klipp und klar darzulegen - so wie es eben Evans gelingt.   

Evans bekräftigt wie in so vielen seinen Büchern, dass wir durch eine sachliche und distanzierte Schreibweise mittlerweile eine Erinnerungskultur an die dunkelste Zeit Deutscher Geschichte und seiner Protagonisten haben, die frei von Klischees ist. Fakes im Internet kann man nur mit sorgfältiger Recherche begegnen! Dabei macht uns gerade dieses Werk auch sensibel für aktuelle Themen.    

 

Fazit: Insgesamt eine bemerkenswerte Aufarbeitung eines anderes Blickes auf unsere Geschichte, einerseits für Geschichtsinteressierte, die sich schon länger mit der nationalsozialistischen Zeit beschäftigen, aber andererseits auch für diejenigen, die einfach über dieses auch spannende Buch einen Bezug zu anderen Themen dieser Zeit und damit zur eigenen Geschichte gewinnen.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

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© 2022 Andreas Pickel, Harald Kloth, Cover: Copyright © Penguin Random House Verlagsgruppe

 

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