Die epischen Comicserien von Alejandro Jodorowsky und Moebius im Universum des Incal
Der Incal | Vor dem Incal | Nach dem Incal | Der letzte Incal | Die Kaste der Meta-Barone
Meta-Baron | Castaka - Vor den Meta-Baronen | Die Techno-Väter | One Shots | Sekundärwerke | Aufsätze
Die Werke des französischen Comic-Künstlers Jean Giraud alias Moebius alias Gir (*1938 bis †2012) beeinflussten nicht nur zahllose Autoren und Zeichner, sondern auch die Bildsprache vieler Science Fiction-Filme wie »Alien«, »Das fünfte Element«, »Blade Runner« oder »Judge Dredd«. Ohne diesen Ausnahmekünstler wären diese Filme in der heutigen künstlerischen Form wohl nicht entstanden. Die Comicserie »Der Incal« (ab 1980) gilt heute als Meisterwerk im Science-Fiction-Comic. Später entstanden zahlreiche Nachfolgeserien mit mehr oder weniger Bezug zum Originalzyklus. Nachfolgende Auflistung soll ein kleiner Führer durch diese vielen und unübersichtlich gewordenen Serien und der deutschsprachigen Veröffentlichungen sein. Die Jahreszahlen in den Spalten bezeichnen die deutsche Erstveröffentlichung.
Band | Titel | Jahr | Rezension | Bewertung |
1 | Der schwarze Incal | 1983 | Der schwarze Incal | |
2 | Der Incal des Lichts | 1984 | Der Incal des Lichts | |
3 | In tiefsten Tiefen | 1984 | In tiefsten Tiefen | |
4 | In höchsten Höhen | 1985 | In höchsten Höhen | |
5 | In weiter Ferne | 1989 | ||
6 | In nächster Nähe | 1989 | ||
- | Gesamtausgabe: Der Incal | 2007 |
Am Anfang und am Ende steht ein Fall in den Abgrund. Es ist der Sturz unseres Antihelden John Difool, Privatdetektiv Klasse R und Bewohner von Terra 21. Diese gigantische Höhlenstadt ist in Ebenen aufgeteilt. Die oberen Bereiche werden von den Aristos (sozial Privilegierten) bewohnt, während die Masse vor Fernsehern vegetiert. Tiefer beherbergen die Ebenen des roten Rings das Vergnügungsviertel für die reichen Adligen. Der Säuresee schließlich zersetzt auf der untersten Ebene die Körper der Selbstmörder. John Difool und seine Betonmöwe (im französischen Original: La Mouette à béton) Dipo geraten unfreiwillig in intergalaktische Verschwörungen und finden sich plötzlich im Mittelpunkt von Ereignissen, die das ganze Universum verändern werden ...
Wir sind in einem fantastischen Universum, dessen Szenario vom chilenischen Filmemacher Alexandro Jodorowsky (*1929) erschaffen und vom französischen Zeichner Moebius (der bis dahin als Jean Giraud den Western »Blueberry« schuf) meisterhaft umgesetzt wurde. Von 1980 bis 1988 entstand so »Der Incal/John Difool«, ein sechsteiliger Comic-Zyklus der so vielschichtig wie faszinierend ist. Die Möglichkeiten sich dem Incal zu nähern sind dabei vielfältig: ätzende Gesellschaftskritik beschreibt eine dekadente und langsam zerfallende Gesellschaftsordnung, die Figur des Anti-Helden wandelt sich vom ängstlichen Privatdetektiv zum göttlichen Werkzeug, die Struktur des Verdoppelns und Spiegelns führt uns auf eine metaphysische Ebene die mit Träumen, Ängsten und Mythen spielt.
Für Science-Fiction-Fans ist dieser Klassiker ohnehin ein Muß. Selten sah man ein so durchdachtes, grafisch ansprechendes und auf mehreren Ebenen funktionierendes Universum. Bedingt wird dies vielleicht auch durch viele entnommene Entwürfe aus dem Filmprojekt zu »Dune« (das leider ohne Mitarbeit von Moebius 1984 von David Lynch verwirklicht werden sollte). Kritiker mögen die immerpräsente Spiritualität in dieser detailliert gezeichneten Welt bemängeln. Verarbeiten Jodorowsky und Moebius hier eigene esoterische Erlebnisse? Oder doch nur einen Traum? [1] Wer weiss ... Um es mit den Lauten der Betonmöwe (besser wäre Betonente [2] ) Dipo zu sagen: „Kuik!"
Das erste Kapitel »Die Nächte des roten Ringes« erschien im deutschen Sprachraum zum ersten Mal in der Zeitschrift »Schwermetall« (Nr. 18, Juli 1981) des Volksverlag. Die deutsche Erstveröffentlichung im Softcover übernahm der Carlsen Verlag, darauf folgte Egmont Ehapa und schließlich der Splitter Verlag. Splitter benannte die Reihe in »Der Incal« (vormals »John Difool«) um und präsentiert die Bände im schicken Hardcover mit viel Bonusmaterial. In der auf 444 Exemplare limitierten Splitter-Reihe Edition Diamant erfuhren von 2019 bis 2023 die sechs Bände zusätzlich eine edle Würdigung in schwarz-weiß und im Großformat (27x38, Hardcover).
Für mich hatten die Comics eine ganz persönliche Bedeutung: Im »Der schwarze Incal« erkannte ich zum ersten Mal eine Qualität und Reife im Medium Comic, die ich bis dato nicht für möglich gehalten hätte. Die Bilder- und Gedankenwelten eines Moebius waren mir vorher gänzlich unbekannt, die Literaturform Comic hielt ich für trivial. Fortan entdeckte ich Comic-Künstler wie Bilal, Druillet, Gimenez, Manara oder Giraud/Moebius und eine neue, fantastische, auch anspruchsvolle Unterhaltungsform tat sich vor mir auf. Die neunte Kunst fasziniert mich bis heute.
2007 veröffentlichte Ehapa Comic Collection eine 296seitige Gesamtausgabe in neuer Farbgebung und Hardcover-Broschur. Diese auf 1.600 Exemplare limitierte Ausgabe enthält außerdem die achtseitige Geschichte »Origine de Solune«, die auf deutsch bis dahin nur im Sonderband »Die Geheimnisse des Incal« (1994) erschienen war.
Band | Titel | Jahr |
7 | Wie alles begann | 1990 |
8 | Privatdetektiv Klasse R | 1991 |
9 | Kuik | 1992 |
10 | Anarcho-Psychoten | 1993 |
11 | Einen Quiski, bitte, und Homöos | 1994 |
12 | Soluna | 1996 |
- | Gesamtausgabe: Vor dem Incal (Ehapa) | 2008 |
- | Gesamtausgabe: Vor dem Incal (Splitter) | 2019 |
Der junge John Difool auf Terra 21 steht im Mittelpunkt in der von 1988 bis 1995 erschaffenen Nachfolgeserie »John Difool vor dem Incal«. Moebius wird nun vom jugoslawischen Zeichner Zoran Janjetov abgelöst. Leider erreichen die Bände nie die innere Geschlossenheit und zeichnerische Verliebtheit der Ursprungsserie. Noch stärker steht nun allerdings unser jugendlicher Held im Mittelpunkt, dessen Vorgeschichte der Leser nun erfährt. Unterstützt durch seinen Mentor, Kolbo5 (einem abtrünnigen Robo-Bullen), muß er die schrecklichen Geheimnisse um die Schachtstadt lüften und wird zum Privatdetektiv der Klasse R. Alle Bände als Softcover von Feest Comics (Egmont Ehapa).
2008 erschien bei Egmont Comic Collection eine Gesamtausgabe mit 294 Seiten. Im Splitter Verlag erschien 2019 eine 312seitige Gesamtausgabe »Vor dem Incal«. Diese ist neu koloriert, besitzt ein zweiseitiges Vorwort und präsentiert auf acht Seiten Skizzen und Entwürfe. Außerdem sind ganzseitig die Titelbilder der neukolorierten Versionen von José Ladrönn und die ursprünglichen Titelillustrationen von Zoran Janjetov enthalten.
Band | Titel | Jahr | Rezension | Bewertung |
13 | Nach der Katharsis | 2011 | Nach der Katharsis |
Fast zwanzig Jahre nach dem Urzyklus ist »John Difool nach dem Incal« ein Versuch des Duos Jodorowsky und Moebius die Kapitel um John Difool neu aufzuschlagen. Ein gefährlicher Biophage-Virus bedroht die Schachtstadt. Abermals muss sich der Leser an einen neuen Zeichenstil gewöhnen: Die Panels wirken nun viel plastischer. Die Story bleibt leider hinter den hohen Erwartungen zurück. Erschienen als Softcover von Feest Comics in der Ehapa Comic Collection (nur noch antiquarisch erhältlich).
Band | Titel | Jahr | Rezension | Bewertung |
1 | Die vier John Difool | 2009 | Die vier John Difool | |
2 | Louz de Garra | 2011 | Louz de Garra | |
3 | Gorgo-le-Sale | 2014 |
Jahrzehnte nach dem Incal-Zyklus und ohne Moebius erschufen Alejandro Jodorowsky und José Ladrönn die Reihe »Der letzte Incal«. Der mexikanische Zeichner Ladrönn meistert die schwierige Aufgabe, den großen Moebius zu ersetzen, fantastisch. Die Zeichnungen sind detailreich und plastisch, die Kolorierung sehr stimmig. Viele Figuren und Schauplätze des Originals tauchen in den drei Bänden wieder auf. Es finden sich auch Bezüge zu den vielen Nachfolgeserien (»Die Meta-Barone«, »John Difool nach dem Incal«). Die Geschichte um den Mechanomutanten, der ein Virus in der Galaxie freisetzt, das alle Menschen zu eine Breimasse werden lässt, vermag indes nicht zu überzeugen. Insgesamt ein Werk, das mehr auf Science-Fiction-Elemente, statt auf Mystik setzt. Der Splitter Verlag löste nach dem ersten Band die Ehapa Comic Collection ab, so dass alle Bände nun im gleichen Erscheinungsbild wie die Ur-Serie verfügbar sind. Besonderheiten sind die bemerkenswerte Kurzgeschichte »Die goldene Träne« im ersten und der Kunstdruck im zweiten Band der Erstauflage von Splitter.
Band | Titel | Jahr | Rezension |
1 | Othon von Salza | 1993 | |
2 | Honoratha | 1994 | |
3 | Aghnar der Urgrossvater | 1995 | |
4 | Oda die Grossmutter | 1998 | |
5 | Eisenhaupt der Grossvater | 1999 | |
6 | Dona Vicenta Gabriela de Rokha | 2000 | |
7 | Aghora, die Vater-Mutter | 2002 | Aghora, die Vater-Mutter |
8 | Namenlos, der letzte Meta-Baron | 2003 |
Viele Figuren aus »John Difool« tragen durch Moebius` Detailfreudigkeit das Potential für eine eigene Serie. So wurde der spanischen Zeichner Juan Gimenez gebeten, ein bislang unveröffentlichtes Kapitel über die Initiation des Meta-Barons neu zu zeichnen, einer Figur irgendwo angesiedelt zwischen Söldner und Superheld. Zusammen mit Alexandro Jodorowsky entstanden so von 1993 bis 2003 die Geschichte der Ahnen des Meta-Barons.
In chronologischer Reihenfolge wird der Ursprung und das Ende dieser Kaste aufgezeigt, deren blutige Kampfrituale stark an Samurai-Krieger erinnern. Eingebettet in eine Rahmenhandlung zweier sich beschwatzender Roboter ist der Leser so gleichsam stiller Zuhörer. Die Sciencefiction-Handlung bettet die archaischen, oft schockierend grausamen Ereignisse, in eine Welt ein, die korrupt und vollends aus den Fugen geraten zu scheint. Den Mangel an Originalität und einer spannenden Handlung machen die Bände in dieser ersten Serie zu den grausamen Kriegern mit einer geradezu überbordenden zeichnerischen Darstellung wett.
Deutsche Erstveröffentlichung von Ehapa Comic Collection als Softcover. Ab 2008 fasste Splitter zwei Alben zusammen und brachte die Serie in vier Bänden im hochwertigen Hardcover und Schuber.
Text: Alejandro Jodorowsky, Zeichnungen: Travis Charest, Zoran Janjetov
Sonderband | Die Waffen des Meta-Barons | 2009 |
Der kanadische Zeichner Travis Charest arbeitete jahrelang an diesem Werk, brachte aber nur wenige Seiten zustande! Zoran Janjetov löste ihn schließlich ab. Heraus kam ein zeichnerisch extrem uneinheitliches Werk. Charests Arbeits ist großartig, Janjetovs grobe Zeichnungen passen leider nicht dazu. Die Handlung (wie der Meta-Baron an seine Waffen kam) von Alexandro Jodorowsky ist unterdurchschnittlich. Deutsche Erstveröffentlichung 2009 als Hardcover im Splitter Verlag. Schön ist die Prägung des Titels im Cover. Zu den 59 gezählten Seiten finden sich noch fünf Extraseiten.
Band | Titel | Jahr |
1 | Wilhelm-100, der Techno-Admiral | 2016 |
2 | Khonrad, der Anti-Baron | 2017 |
3 | Orne-8, der Techno-Kardinal | 2017 |
4 | Simak, der Transhumane | 2017 |
5 | Rina, die Meta-Wächterin | 2018 |
6 | Namenlos, der Techno-Baron | 2019 |
7 | Adal, der Bastard | 2022 |
8 | Dargona, die Proto-Wächterin | 2023 |
Von 2015 bis 2023 erschien eine zweite Serie um die Meta-Barone. Dabei werden jeweils zwei Bände eines Zyklus von demselben Zeichner- und Autorenteam gestaltet. Jodorowsky bleibt als Autor erhalten. Die Ausarbeitung übernimmt der Autor Jerry Frissen (»Als Zombies die Welt auffraßen«). Der Illustrator Valentin Sécher (»Khall«) zeichnet die Bände 1, 2, 5 und 6. Niko Henrichon ("Noah") die Bände 3 und 4. Jerry Frissen und Pete Woods Bände 7 und 8. Deutsche Erstveröffentlichung ab 2016 im Splitter Verlag als Hardcover.
Band | Titel | Jahr | Rezension |
1 | Dayal, der erste Vorfahre | 2008 | Dayal, der erste Vorfahre |
Gesamtausgabe | Castaka | 2014 |
Die Vorgeschichte der Meta-Barone wurde von Alexandro Jodorowsky entworfen und dem spanischen Künstler Das Pastoras gezeichnet. Die französische Originalausgabe erschien bereits 2007. Von Egmont Ehapa erschien 2008 nur der erste Band unter dem Titel »Castaka - Vor den Metabaronen: Dayal, der erste Vorfahre« im Softcover-Format. 2014 erschien im Splitter Verlag ein 112seitiger Hardcoverband als Gesamtausgabe mit beiden Bänden.
Band | Titel | Jahr | Rezension |
1 + 2 | Albino, der Meister der Spiele + Die Sträflingsschule von Nohope | 2023 | |
1 | Albino, der Meister der Spiele | 1999 | |
2 | Die Sträflingsschule von Nohope | 2000 | |
3 + 4 | Planeta Games + Halkattraz, die Schule der Henker | 2023 | |
3 | Planeta Games | 2002 | Planeta Games |
4 | Der Planet der Henker | 2003 | |
5 | Die Sekte der Techno-Bischöfe | 2004 | |
6 | Das Geheimnis des Techno-Vatikans | 2004 | |
7 | Das perfekte Techno-Spiel | 2006 | |
8 | Die gelobte Galaxie | 2007 | |
Gesamtausgabe | Die Techno-Väter | 2010 |
Die von 1999 bis 2007 erschienenen Bände über die »Techno-Väter« erzählen die Geschichte von Albino, dem obersten Techno-Vater. In den großformatigen Bänden von Alexandro Jodorowsky und des serbischen Zeichners Zoran Janjetov und des französischen Zeichners Fred Beltran wird die Techno-Technik beleuchtet.
Es fehlt eine wirklich innovative Storyline, stattdessen werden Versatzstücke aus Science Fiction und Fantasy präsentiert. Inhaltlich leider wenig überzeugend, sind die Bände allerdings sehr farbenprächtig gestaltet. Zeichner Fred Beltran setzt auf einen sehr "klinisch" wirkenden, computergrafischen Zeichenstil.
Deutsche Erstveröffentlichung von Ehapa Comic Collection. 2010 folgte ebenfalls von Ehapa eine 406seitige Gesamtausgabe in Hardcover-Broschur. Splitter brachte die Serie in vier Doppelbänden ab 2023 im Hardcover neu heraus.
Jahr | Titel |
2020 | Simak. Szenario: Jerry Frissen. Zeichnung: Jean-Michel Ponzio |
2022 | Der Incal: Kill Hundeschnauze. Szenario: Brandon Thomas. Zeichnung: Pete Woods |
2024 | Der Incal: Psychoversum. Szenario: Mark Russell. Zeichnung: Yanick Paquette |
[1] Im überragenden Ausstellungsband »Moebius« des Max Ernst Museum Brühl des LVR (2019) wird Alejandro Jodorowsky mit den Worten zitiert:
„Die Arbeit an John Difool begann mit einem dieser luziden Träume ..."
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