Jahr 2022 ... die überleben wollen

Original: Soylent Green, 1973

Regie: Richard Fleischer

 

Dieser Science-Fiction-Film beginnt mit Fotos, die den Wandel der Vereinigten Staaten von einer bäuerlich geprägten Landwirtschaft, hin zu einem Industriestaat zeigen. Immer schneller reihen sich Bilder von Massenproduktion, Umweltzerstörung und Menschenmassen aneinander. Am Ende wird der Ablauf der Fotos langsamer und endet im Stillstand und Stagnation.

Das Jahr 2022. Der Ort New York City. Einwohnerzahl: 40 Millionen.

 

Der New Yorker Detecive Thorn (Charlton Heston) ist der Aufstandsbekämpfung zugeteilt. Aus Personalmangel soll er zusätzlich einen Mord an dem reichen William R. Simonson (Joseph Cotton) aufklären. Von seinem alten 'Polizeibuch' Sol Roth (Edward G. Robinson) erfährt er, dass Simonson bei "Soylent Industries" als Vorstandsmitglied tätig war. Diese Firma kontrolliert die Nahrungsmittelerzeugung der halben Welt. Als vom mächtigen Gouverneur Santini (Whit Bissell) Druck ausgeübt wird, um die Ermittlungen einzustellen, widersetzt sich Thorn. Bei seinen weiteren Nachforschungen stößt Sol auf ein schreckliches Geheimnis. Daraufhin beschließt er, sich einschläfern zu lassen. In überwältigenden Kinobildern darf der alte Mann ein letztes Mal die längst vergangene Schönheit der Natur genießen.

 

Das New York (vermutlich die ganze Welt) in Soylent Green ist geprägt durch Überbevölkerung und Armut. Die Menschen schlafen in Treppenhäusern oder Autowracks. Müllwagen transportieren die Toten ab. Nahrungsmittel und Ressourcen sind knapp, regelmässig kommt es zu Aufständen. Die wenigen Privilegierten haben sich in bewachte Wohnkomplexe zurückgezogen. Behörden wie die Polizei sind schlecht ausgestattet, unterbesetzt und korrupt. Kontrolliert wird Gesellschaft und Politik vom mächtigen Soylent-Konzert. Und so lässt es sich Thorn auch nicht nehmen, Luxusgüter wie Handtücher, Seife oder Obst vom Tatort zu stehlen. Frauen haben in dieser Gesellschaft keine gleichberechtigte Stellung mehr. Hübsche Mädchen wie Shirl (Leigh Taylor-Young) sind sogenanntes Inventar, für Lust und Unterhaltung da und werden vom Wohungsbesitzer weitergereicht (beiläufig bemerkt der Charakter von Heston erstaunt, dass Shirl von ihrem Besitzer nicht geschlagen wird). In einem kleinen Zelt, nur dem Gouverneur zugänglich, befinden sich die letzten Bäume von New York.

 

Regisseur Fleischer hat mit "'Soylent Green" einen der besten Science-Fiction-Filme der 1970er Jahre geschaffen. Die Menschen tragen vielfach Masken. wahrscheinlich um sich vor dem Dauersmog etwas zu schützen (dieser wurde in den Außenaufnahmen durch Kamerafilter erzeugt). Soylent Green ist weder actionreich, noch ein besonders spannender Krimi (obwohl er dies vorgibt). Stattdessen ist er getragen von tollen darstellerischen Leistungen und der Kreation einer glaubhaften, völlig maroden zukünftigen Welt (aus der Sicht der 1970er Jahre). Als gutes Beispiel mag die, als Massenlager umfunktionierte, Kirche dienen. Ein offensichtlich traumatisierter Pfarrer vewaltet das Elend um ihn herum nur noch.

 

Letztlich ist Soylent Green ist ein sehr ernsthafter Science-Fiction-Film, der in der Krimihandlung eine wichtige Botschaft, nämlich die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und sprichwörtliche Kannibalisierung unserer, nur auf Profit aufgebauten, Gesellschaft, transportiert. Es geht auch um die Beziehung zweier Generationen (Thorn und Sol). Letzerer kannte noch die bessere Zeit vor dem Zusammenbruch. Voller Melancholie versucht Sol dies Thorn auch immer wieder nahezubringen. Dies führt dann zu einer der eindrucksvollsten Szenen der Filmgeschichte, wenn die beiden wortlos ein 'Festmahl' zu sich nehmen. Eine schauspielerisch exzellente Leistung von Edward G. Robinson und Charlton Heston, die nur durch deren Mimik erzeugt wird.

 

1972 wurde zum ersten Mal der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit mit dem Titel Die Grenzen des Wachstums vorgelegt. Dieses Buch wurde millionenfach verkauft und beschrieb (teils kontrovers diskutierte) Thesen zu Armut, Umweltzerstörung, Ressourcenverbrauch und Geburtenkontrolle. Regisseur Richard Fleischer (20.000 Meilen unter dem Meer, Die phantastische Reise) verfilmte Soylent Green lose nach dem Roman Make Room! Make Room! (1966) des us-amerikanischen Science-Fiction-Autors Harry Harrison (1925-2012).Mit Charlton Heston konnte er einen Hollywoodstar auf dem Höhepunkt seines schauspielerischen Schaffens einsetzen. Dieser hatte zuvor bereits in dystopischen Science-Fiction-Filmen wie Planet der Affen (Planet of the Apes, 1968) oder Der Omega-Mann (The Omega Man, 1971) sein Interesse an provokanten Stoffen gezeigt.

 

Regisseur Fleischer schaffte es kongenial, gesellschaftliche und existenzielle Themen wie beiläufig zu transportieren, die 50 Jahre nach Entstehung des Films aktueller sind denn je: Umweltzerstörung (die Meere und das Plankton als Ernährungsgrundlage sterben), Klimawandel (alle Menschen leiden unter der Hitze), Korruption (Thorn stiehlt als Polizist selbstverständlich), Armut (die Menschen schlafen auf der Straße), Hunger (die Bevölkerung wird durch Kunstnahrung ernährt, deren Knappheit führt zu Aufständen, die brutal und mühsam mit Schaufellader-LKWs niedergeschlagen werden), Megakonzerne (die Soylent-Corporation kontrolliert Politik und Polizei), Euthanasie (der Staat fördert kontrollierten Selbstmord in Zentren), Bildungsmisere (in Ermangelung von Büchern oder Computern fungieren Bibliothekare wie Sol als letzte Informationsquellen), Wohnraum (Wohnungen sind so rar, dass Frauen als lebendes Inventar mitvermietet werden).

 

Soylent Green reiht sich ein in eine Riege qualitätsvoller Science-Fiction-Filme, die sich in den 1970er Jahren mit gesellschaftlichen und ökologischen Themen befassten. Beispiele sind: Colossus (Colossus: The Forbin Project, 1970), Künstliche Intelligenz. Andromeda: Tödlicher Staub aus dem All (The Andromeda Strain, 1971), Biowaffen. Der Omega-Mann (The Omega Man, 1971), Biowaffen. THX 1138 (1971), Überwachungsstaat. Lautlos im Weltraum (Silent Running, 1972), Umweltzerstörung. Westworld (1973), Künstliche Menschen. Phase IV (1974), Rache der Natur. Flucht ins 23. Jahrhundert (Logan´s Run, 1976), Überbevölkerung. Die Körperfresser kommen (Invasion of the Body Snatchers, 1978), Invasion. All diese Filme sind auch 50 Jahre später thematisch noch hochinteressant, was für deren Klasse spricht.

 

Eine deutschsprachige DVD erschien 2003. Die Blu-ray erschien 2011 und beinhaltet einen englischsprachigen und nicht untertitelbaren Audiokommentar von Regisseur Richard Fleischer und Schauspielerin Leigh Taylor-Young. Von den beiden Dokumentationen ist MGMs Hommage an Edward G. Robinsons 101. Film am interessant, weil sie berührende Bilder der, zur Drehzeit schon sehr kranken, Schauspiellegende zeigt. Soylent Green sollte Robinsons letzter Film sein. 2022 erscheint, leider nur als Re-Pack in identischer Ausstattung, ein Blu-ray-Steelbook.

 

Fazit: Dystopischer und visionärer Science-Fiction-Klassiker mit exzellenten Darstellern.

 

Harald Kloth

4/5 Sterne
4/5 von 5

 © 2021/2022 Harald Kloth

 

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