Am Rande des Atomkrieges

Alles über die Kuba-Krise und weitere Beinahe-Katastrophen

Original: On the Brink: Doomsday, 1997

Regie: Gary Parker

 

Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Vereinigten Staaten von Amerika mit Hilfe deutscher Wissenschaftler zur ersten Atommacht. Die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945 demonstrierten der Welt (dem Noch-Kriegsgegner Japan, aber auch dem zukünftigen Konkurrenten Sowjetunion) ihre technologische Überlegenheit.

 

Begründet in ideologischen Gegensätzen, wurde die Erde bald schon in kommunistische und westliche Einflußsphären aufgeteilt, der „Kalte Krieg“ beherrschte für die nächsten 50 Jahre das politische Geschehen. Dieser unerklärte Krieg wurde zwischen den beiden Großmächten glücklicherweise zwar nie zum Vernichtungskrieg, doch einige Male stand die Menschheit kurz vor ihrer Auslöschung.

 

Vorliegende Dokumentation des „Discovery Channel“ (erschienen bei polyband) zeigt 105 Minuten lang einige bemerkenswerte Ereignisse dieses Rüstungswettlaufes, der neben umsichtigen Handeln und dem Abschreckungseffekt, auch durch viel Glück nicht zur menschlichen Apokalypse wurde.

 

1948 übernahm US-General Curtis E. LeMay die Führung des Strategic Air Command (SAC), dem auch das luftgestützte Atomwaffenarsenal unterstellt war. Nur ein Jahr später unternahm die Sowjetunion ihren ersten erfolgreichen Atomwaffentest und versuchte von da an den anfänglichen amerikanischen Vorsprung durch immense Investitionen in die Forschung, Entwicklung und Beschaffung von Atomsprengköpfen wettzumachen. Die Strategien beider Länder sahen zuerst vor, Atombomber ins gegnerische Land zu schicken (der Einsatz von Atomsprengköpfen auf Raketen, die von einer Abschussbasis im eigenen Land über tausende von Kilometern in feindliches Land gesteuert werden konnten, gelangte erst einige Jahre später zur technischen Reife). Allerdings war mit der Entwicklung der Atombombe die militärische atomare Option fester Bestandteil jeglicher politischer Strategien, beherrschte das Denken vieler Militärs.

 

1950 überfiel, das von China unterstützte, Nordkorea seinen südlichen Nachbarn Südkorea, um das gesamte Land dem Kommunismus unterzuordnen. Die USA reagierten mit einer massiven Intervention und konnten so die Invasion stoppen. Der kommandierende amerikanische Befehlshaber General Douglas MacArthur wollte „China in Schutt und Asche legen“. Insbesondere der Einsatz von Atomwaffen wurde von ihm hierfür ernsthaft erwogen. Der besonnene US-Präsident Harry S. Truman setzte schließlich, den auch öffentlich drängenden, MacArthur ab - es kam zu keinem atomar geführten Schlagabtausch. Die Pläne zum Einsatz von Atomwaffen verschwanden wieder in den Schubladen der Militärs.

 

1952 wurde die Rüstungsspirale wiederum ein großes Stück weitergedreht - die Amerikaner hatten eine Superbombe - die Wasserstoffbombe - hergestellt. Sie war 1.000 Mal verheerender als die Atombombe von Hiroshima. Albert Einstein soll gesagt haben, dies sei eine Waffe, die niemals gebaut hätte werden dürfen.

 

Um den offenkundig gewordenen Vorsprung der Sowjets auf dem Gebiet der Raketen- und Raumfahrttechnik (siehe auch die sehr gute Dokumentation »Space Race - Der Weg zum Mond«) auszukundschaften, überflogen die Amerikaner mit Ihrem legendären Spionageflugzeug U2 regelmässig die Sowjetunion und China. Zunächst völlig unbehelligt, konnte doch kein sowjetisches Flugzeug diese Höhe erreichen auskundschaften. Später kam es aber auch zu Verfolgungen durch Jagdflugzeuge und sogar Abschüssen durch die Sowjets. Der Kalte Krieg war in dieser Phase immer wieder auch von kriegerischen Scharmützeln gekennzeichnet.

 

1962 hatte die Sowjetunion nicht nur nominal gesehen weniger, sondern auch qualitativ und von der Reichweite her gesehen schlechtere Atomwaffen als die USA. Deshalb stationierten sie Atomraketen im Vorhof von Nordamerika, auf Kuba. Die durch amerikanische Aufklärungsfluzeuge gemachten Fotos der Abschussrampen schockten die amerikanische Regierung, war nun die Vorwarnzeit für einen Atomangriff drastisch reduziert (von 30 auf 10 Minuten). Präsident Kennedy reagierte mit einer Seeblockade, um den Transport weiterer sowjetische Raketen zu verhindern. Die Verteidigungsstufe der amerikanischen Streitkräfte wurde erstmals von Verteidigungsstufe (DEFCON) fünf auf zwei angehoben (Stufe eins bedeutete einen auch atomar geführten Krieg). Zu jener Zeit waren die B52-Bomber das Rückgrat der atomaren Streitkräfte. Ein Flugzeug hatte mehr Sprengkraft an Bord, als alle Piloten des Zweiten Weltkrieges zusammen genommen (!).

 

Ein Vorfall verdeutlicht die Problematik der kurzen Vorwarnzeiten. Während der Kuba-Krise waren auch zivile Radarstationen zur Überwachung eingesetzt, da bis zu jener Zeit die Radarstationen vor allem nach Norden (in Richtung Alaska/UdSSR) ausgerichtet waren. Eine von der US-Navy in Florida zu Testzwecken gestartete Rakete wurde irrtümlich für eine feindliche Rakete aus Kuba gehalten - die Marine hatte die zivile Überwachungsstation nicht informiert. Dieser Leichtsinn in einer enorm angespannten weltpolitischen Lage wurde damals Gott sei Dank erkannt. Heute weiß man: Der kubanische Präsident Fidel Castro hätte bei einer amerikanischen Invasion massive atomare Vergeltung von seinem Bündnispartner UdSSR verlangt. Die USA unterschätzten zudem auch die russischen Streitkräfte auf der Insel: 40.000 sowjetische Soldaten waren dort stationiert. Tausende von Atomraketen in Ost und West waren tagelang in Alarmbereitschaft, das Personal höchst angespannt. Erst in letzter Minute ging die Sowjetunion auf das amerikanische Ultimatum ein und demontierte die auf Kuba stationierten Raketenbasen. Die USA wiederum zog ihr Atomwaffenarsenal aus der Türkei ab.

 

Das politische Kalkül beider Seiten war die Idee der Abschreckung (Deterrence). Die Theorie besagt, daß keine Seite einen Angriff überleben kann, da der Gegner immer noch die Möglichkeit eines Gegenschlages hat. Also würde auch keine Seite so wahnwitzig sein, einen Angriff zu beginnen. Diese gefährliche Balance der Großmächte wurde mit der Einführung atomar bestückter U-Boote gestört, da die Vorwarnzeit drastisch reduziert wurde. Dies wissend, lieferten sich diese maritimen Einheiten trotzdem auch gefährliche Katz-und-Maus-Spiele mit dem Gegner.

 

Auch die Strategie wandelte sich im Laufe der Zeit. War zunächst der Einsatz von Atomaffen als letzte Option bei einer sich abzeichnenden Niederlage in einem konventionellen Krieg gedacht, wurde nun auch der Ersteinsatz in Erwägung gezogen. Erst als die gegenseitige Vernichtung drohte, nahmen die Drohgebärden auf beiden Seiten ab und diplomatische Lösungen standen im Vordergrund. Das Wettrüsten war aber damit noch lange nicht beendet. Erst in den 70er Jahren kam es durch den zunehmende Niedergang der sowjetischen Wirtschaft und dem daraus resultierende Mangel an Geld für Rüstungsgüter zu Verhandlungen über eine Begrenzung der Atomsprengköpfe und schließlich zum Abschluss der so genannten SALT I- und II-Verträgen zu einem Ende des atomaren Wahnsinns und zu einem balancierten Abrüsten.

 

1973 wurde Israel von Ägypten und Syrien überfallen. Der Jom-Kippur-Krieg wurde zum Stellvertreterkrieg der Großmächte. Israel konnte nach anfänglichen Verlusten die gegnerischen Truppen nicht nur zurückdrängen, sondern sogar zur Gegenoffensive ausholen. Der sowjetische Staatschef Breschnew drohte daraufhin Truppen gegen Israel einzusetzen. Darauf hin wurde DEFCON 3 ausgelöst, die B52-Bomber und Atomraketen in Alarmbereitschaft versetzt. Amerikanische Flugzeugträger waren auf dem Weg ins Mittelmeer. Vor der amerikanischen Öffentlichkeit wurde diese Mobilisierung geheimgehalten. Durch Zufall aber (ein in seine Basis eilender Reservist wurde wegen zu schnellen Fahrens aufgehalten) erfuhr die überraschte US-Bevölkerung vom atomaren Säbelrasseln der eigenen Regierung. Heute wird vermutet, dass es sich auch um eine absichtlich herbeigeführte Überreaktion des damaligen Außenministers Henry Kissinger gehandelt haben dürfte. Möglicherweise hat er damit den Staat Israel gerettet. Präsident Nixon soll aus privaten Gründen während dieser Krise nicht Herr der Lage gewesen sein.

 

Am 9. November 1979 meldete das Computersystem der nordamerikanischen Luftverteidigung (NORAD) anfliegende Raketen. Die „Air Force One“ rollte zum Start, B52-Bomber und Kampfflugzeuge starteten, doch die Radarstationen zeigten keine Ziele an. Bei diesem „Angriff nach Warnung“ hatten die Verantwortlichen nur wenige Minuten Zeit zur Entscheidung. Später wurde bekannt, daß im Kontrollraum irrtümlich eine Ausbildungskassette lief, die einen Militärschlag gegen die USA simulierte. Dieses drastische Beispiel zeigt deutlich die Abhängigkeiten von (unter enormen Stress stehenden) Menschen, die in Minuten Entscheidungen höchster Priorität fällen müssen - und unter Umständen aufgrund völlig falscher Informationen.

 

Unter Präsident Ronald Reagan verschärften sich die Ost-West-Spannungen zusehends. Mit wenig diplomatischem Geschick bezeichnete er die Sowjetunion als „Reich des Bösen“. 1984 witzelte er sogar über die Bombardierung der UdSSR. Der sowjetische Parteichef Juri Wladimirowitsch Andropow konterte und nannte ihn wiederum geisteskrank. Mit den neuen ballistischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 (diese konnten drei Atomsprengköpfe tragen) und deren Stationierung in der DDR war den Sowjets die atomare Vormachtsstellung in Europa gelungen. Das westliche Bündnis antwortete mit der Stationierung von Pershing II-Raketen in der BRD, die innerhalb von nur sechs Minuten in Moskau einschlagen konnten. Der atomare Wahnsinn wurde nun endgültig auf dem Rücken des geteilten Deutschlands ausgetragen und ein Atomkrieg in Europa wurde immer wahrscheinlicher. Der englische Geheimdienst brachte zum Beispiel in Erfahrung, dass der sowjetische KGB an einen baldigen Atomkrieg des Westens glaubte. Ein Indiz dafür war auch, dass die sowjetischen Atombomber in Ostdeutschland in ständiger Alarmbereitschaft waren.

 

Mit zumeist Originalaufnahmen und nur verzeinzelt Spielhandlungen beschreibt diese Dokumentation den gefährlichen Drahtseilakt zweier Systeme, die sich auf den meisten Ebenen politischer, wirtschaftlicher und militärischer Art bekämpften. Obwohl nur selten effekthaschend, gerät diese Dokumentation leider manchmal zu oberflächlich. Die Herausarbeitung von Alternativen zum damaligen politschen Geschehen fehlt. Längere Interviews von damaligen Entscheidungsträgern fehlen leider (stellvertretend sei hier die hervorragende Dokumentation »The Fog of War« von 2003 genannt, die den damaligen US-Verteidiungsminister McNamara portraitiert).

 

Deutlich wird, daß es mehr dem Zufall zu verdanken ist, daß es zu keinem Atomkrieg während des Kalten Krieges kam. Technisches Versagen, menschliches Unvermögen und Irrationalität, aber auch sträflicher Leichtsinn führten fast zum Ende der Menschheit. Man mag kaum glauben, daß ein streunender Bär den Alarm der amerikanischen Atombomberflotte verursachte oder eine norwegische (bei den russischen Behörden angemeldete) Wetterrakete Anlaß für Präsident Boris Jelzin gab, den Atomkoffer zu öffnen. Diese beiden Vorfälle mögen als Beispiel für die Irrwitzigkeit dieses Systems der Angst gelten.

 

Die atomaren (terroristischen) Bedrohungen unserer Zeit werden leider nur kurz gestreift. Ebenso daß aus zwei Atommächten (1945 und 1949) nun bereits mindestens neun geworden sind (Zahl steigend). Die atomaren Gefahren wachsen also auch nach dem Ende des Kalten Krieges weiter.

 

Fazit: Die Beinahe-Auslöschung der Menschheit war näher, als den Menschen bewusst ist. Diese Dokumentation bleibt leider etwas oberflächlich. Interviews mit wichtigen Entscheidungsträgern wären sehr wünschenswert gewesen.

 

Harald Kloth

3/4 Sterne
3/4 von 5

© 2006 Harald Kloth

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