Hannes Heer

Vom Verschwinden der Täter

Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei

Am 5. März 1995 wurde die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", besser bekannt unter dem Titel "Wehrmachtausstellung", eröffnet und beendete damit - zunächst - ein für alle Mal den Mythos der "sauberen" Wehrmacht. Doch einige falsch untertitelte Fotos und Bilder hatten zuerst Kritik von Traditionsverbänden, dann "Trommelfeuer" (Seite 21) sogar seriöser Medien und schließlich das Verbot des Verteidigungsministers für Soldaten die Ausstellung zu besuchen zur Folge und führte bis zur Absetzung des Leiters, der vorläufigen Schließung der Ausstellung und zur überwiegenden Abstandnahme großer Teile der Öffentlichkeit in der eigentlich gerechtfertigten Schuldzuweisung für Teile der Wehrmacht.

 

Am 27. November 2001 wurde die Ausstellung dann in Berlin mit dem Titel "Verbrechen der Wehrmacht. Dimension des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944" in stark abgemilderter Form wieder eröffnet und ließ so die eigentlich dringend notwendige Diskussion über die Rolle der Wehrmacht an Kriegsverbrechen und an der Ermordung von Millionen von Juden abseits jeglicher Realität führen und verstummte schließlich weitestgehend.

 

Wer dennoch den Blickwinkel für die Wirklichkeit nicht verlieren möchte, dem ist nachhaltig das Buch Vom Verschwinden der Täter von Hannes Heer, dem Leiter der ersten Wehrmachtausstellung, zu empfehlen.

 

Das Buch gliedert sich inhaltlich in eigentlich drei unabhängige Themenbereiche, die aber alle zum selben Schluss kommen (wie übrigens auch einheitlich die Medien in der ersten Phase der Wehrmachtausstellung) - die Wehrmacht führte im Osten einen grausamen Vernichtungskrieg der mit den normalen Gesetzen des Krieges (sofern es die überhaupt gibt) nicht zu erklären ist.

 

Während sich der erste Teil mit den Rahmenbedingungen, Inhalten und Reaktionen der beiden Wehrmachtausstellungen auseinandersetzt, versucht Heer im zweiten Abschnitt nochmals - und dieses Mal hoffentlich eindeutig - anhand von Nachkriegspublikationen am Krieg teilnehmender Autoren, anhand von Kriegstagebüchern und anhand von Interviews mit Kriegsteilnehmern, die die Ausstellung besuchten, den Nachweis seiner Grundaussage in der ersten Wehrmachtaustellung zu belegen. Der letzte Abschnitt dient der kritischen Durchleuchtung der revisionistischen Historienforschung, also von Publikationen, die den Judenmord und ihre verantwortlichen Täter - also auch Teile der Wehrmacht - trotz allgemein anerkannten Nachweises leugnen. Besonders kritisiert er dabei Jörg Friedrich und dessen im letzten Jahr veröffentlichten Bestseller Der Brand, der durch die Verwendung von Wörtern wie Massenvernichtung, Vernichtungsangriff und Einsatzgruppe die Kriegführung der Briten und Amerikaner charakterisiert, somit deren Bombenkrieg mit dem Holocaust des Dritten Reichs gleichsetzt und uns Deutschen in die Opfer- statt in die Täterrolle steckt.

 

Die Strategie des Vergessens, aufgeweckt erst durch die erste Wehrmachtausstellung und das "Verschwinden der Täter" einerseits natürlich altersbedingt, andererseits aber vor allem durch das Drängen in die Opferrolle und durch Selbstentlastung beherrschen nimmer noch unser gesellschaftliches Bewusstsein in der Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges, obwohl in der heutigen zweiten und dritten Nachkriegsgeneration Schluss sein sollte mit nebulösen Formulierungen, Relativierungen und Entlastungen sowie mit Ablenkungsmanövern von der eigenen Verantwortung. Mehr als nur ein erster Schritt dazu ist Hannes Heer gelungen!

 

Fazit: Ein gut zu lesendes, lesenwertes und vor allem aufklärerisches Werk.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2004 Andreas Pickel, Harald Kloth