Im Venedig des Jahres 1865 strebt der berühmte Karneval seinem Höhepunkt zu. Auch im langsam in die Jahre gekommenen Palazzo Tron plant man wieder einmal die Zeit in glorreichere Tage zurück zu drehen und den jährlichen glanzvollen Maskenball zu geben. Es ist die Hoch-Zeit des Feierns, der prächtigsten Maskenbälle und des ungezügelten Nachtlebens mit unzähligen Nutten und nicht die Zeit der Verbrechen, sieht man von den üblichen Taschendiebstählen an Touristen auf der Piazza San Marco einmal ab.
Vor diesem Hintergrund geht es auf der Questura des k.-u.-k.-Polizeichefs Spaur eher beschaulich zu, schließlich liegt man im Ministerium-internen Wettkampf um die Stadt mit den wenigsten Morden im Kaiserreich in Führung.
Da wird die Leiche der Edelkurtisane Livia Azalina in der Calle della Verona, nahe des berühmten Teatro Fenice angeschwemmt. Ihr wurde in chirurgischer Präzision die Leber entfernt. Commissario Tron und Ispettore Bossi gehen die Ermittlungen mit gewohnter Hartnäckigkeit, Präzision und Routine an, die Tat ist sicher einem Fremden zuzuschreiben, der die Stadt schon wieder verlassen haben dürfte. Da werden sie unvermittelt zu einer zweiten weiblichen Leiche gerufen; auch dieser, ebenfalls blonden, grünäugigen Prostituierten wurden während einer Gondelfahrt unter einem felze (Zelt) zuerst Hände und Beine gefesselt und dann bei lebendigem Leibe die Leber entfernt.
Jetzt ist guter Rat teuer! Zum einen läuft aller Wahrscheinlichkeit nach ein wahnsinniger Ritualmörder in La Serenissima herum und zum anderen sieht der Chef der Questura, Baron Spaur seine Felle im Städtewettbewerb davon schwimmen. Diesem macht seine 30 Jahre jüngere Gattin mächtig Druck, da sie unbedingt eine Einladung in allerhöchste Kreise nach Wien ergattern möchte.
Und so steht unser armer Commissario Alvise Tron, der bei weitem nicht mehr so naiv und hilflos erscheint wie in den ersten vier Bänden, vor einem riesigen Haufen von Problemen: Sein Chef, Baron Spaur sitzt ihm Nacken, seiner Mutter, der Contessa sollte er bei den Vorbereitungen zum Maskenball helfen, bei seiner immer noch nicht geehelichten Principessa macht sich ein bis dato unbekannter Cousin breit, zu allem Überfluss ein überaus attraktiver und hinter jeder der unzähligen Masken könnte sich ein unberechenbarer Killer verbergen …
Brillant gelingt es Nicolas Remin dem Venedig des 19. Jahrhunderts Leben einzuhauchen und zugleich auf die vielen sozialen Probleme der Lagunenstadt jener Zeit einzugehen. Die kaiserliche Familie ist zwar dieses Mal nicht mit von der Partie, doch der mondäne und dekadente k.-u.-k.-Flair ist in allen Gassen, Calle und Campo greifbar und wird im Zusammenhang mit den Bestrebungen zur italienischen Einheit anschaulich geschildert. Der Umgang der Venezianer mit der Besatzung durch die Österreicher nimmt in diesem wunderbaren Plot genauso eine zentrale Stellung ein wie die kriminaltechnischen Neuerungen des Ispettore Bossi, denen Commissario Tron zwar suspekt gegenüber steht, diese aber trotzdem für sich und die Ermittlungen zu nutzen weiß.
Schon mit den ersten Zeilen fühlt man sich wieder heimisch bei den altbekannten und lieb gewonnenen Protagonisten, die schrullig und sympathisch ihre kleinen und großen Scharmützel gegen- und miteinander austragen.
Der Historische Roman inszeniert geschickt ein ermittlungstechnisches Katz-und-Maus-Spiel, nutzt verschiedenen Erzählperspektiven und bietet glaubhafte, sich weiter entwickelnden Charaktere. Auch die großartig portionierten Häppchen von Eifersüchteleien und Eitelkeiten überzeugen. Nur der Appetit auf Leber könnte sich für ein paar Tage ein bisserl in Grenzen halten …
Fazit: Das alles zusammen ergibt mit einer ordentlichen Prise Ironie und einem guten Schuss Humor einen rundherum gelungenen, spannenden historischen Krimi.
Wolfgang Gonsch
© 2011 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth