Das Science Fiction Jahr

2007

Herausgegeben von Sascha Mamczak und Wolfgang Jeschke

Hat die Science Fiction noch Zukunft? Stirbt die Science Fiction? Und war die Zukunft schon gestern? Nach den Schwerpunkten „Wie die Science Fiction die Welt verändert“ (2005) und „Die Zukunft des Science-Fiction-Films“ (2006) lautet das Leitthema des Heyne Science Fiction Jahrs 2007 „Das Ende eines Genres?“. Dennoch ist dieser 1363 Seiten (!) starke Band kein von Krisenstimmung geprägter Abgesang auf ein Genre. Vielmehr ergründen die Autoren den Wandel dieses Genres und stellen vielen Grenzüberschreitungen und Vermischungen mit anderen Literaturgattungen exemplarisch dar. Schon der erste Aufsatz „Ein (vorläufiger) Nachruf auf die Science-Fiction“ von Hartmut Kasper ist eine bemerkenswerte Mischung aus Humor und Fachwissen. Augenzwinkernd ergründet der Autor die Seriösität der Science Fiction zwischen Rex Korda und Flash Gordon, zeigt zugleich dessen Einschränkungen und kritisiert die Erwartungshaltungen der Leser.

 

Ralf Reiter untersucht „Die Science Fiction zwischen Mystery, Mainstream und Gegenwartsliteratur“, Thomas Wörtche die „Ungeklärte Nachbarschaft von Science Fiction und Kriminalliteratur“ und Andreas Eschbach erzählt „Vom Sterben und Weiterleben der Science Fiction“.

In der Rubrik „Bücher & Autoren“ finden sich diesmal vier Aufsätze. So schreibt z. B. Michael K. Iwoleit über die Kurzgeschichten von Theodore Sturgeon (einem Autor der wie wenig andere von seinen Kollegen geschätzt wurde), Karlheinz Steinmüller über die italienische Mondexpedition von 1836 und Christian Hoffmann begibt sich auf eine afrikanische Spurensuche.

 

Sehr interessant sind die Interviews mit Robert Charles Wilson (Roman Spin), dem kontroversen J. G. Ballard (Roman Crash) und Dietmar Dath.
Die Rubrik „Science & Speculation“ enthält sechs Aufsätze. Unter anderem ein Gespräch mit dem Quantenphysiker Anton Zeilinger, einen Bericht über Zukunftsflops von Vorgestern und die herausragendesten Sachbuch-Veröffentlichungen des Jahres 2006.

 

Ausführlich wie immer, ist der Filmteil des Kompendiums. Streitbar und kritisch wird die Phantastik im Kino und auf DVD unter die Lupe genommen. Zwischen Globalisierung und Klimaschock erkennt Peter Gaschler kompetent, daß die neuen Dokumentarfilme, unseren Blick auf das 21. Jahrhundert korrigieren. Ein für „Wessis“ eher unbekanntes Thema ist der Science-Fiction-Film in der DDR untersucht von Karsten Kruschel. Viele Fotos helfen hier ein stimmiges Bild zu zeichnen. Skurill aber historisch interessant sind die veränderten Filmplakate der in der DDR gelaufenen westlichen Science Fiction-Filme. Oder wußten Sie, daß (vermeintlich kapitalismuskritische) Filme wie Das Arche Noah Prinzip, der Action-Film Das fliegende Auge oder Joe Dantes Die Reise ins Ich in der DDR im Kino liefen?

 

Peter M. Gaschler widmet sich drei 2006 verstorbenen Filmemachern. Dem penibel planenden britischen Regisseur Val Guest (The Day the Earth caught Fire). Richard Fleischer, dem amerikanischen Regisseur von Meisterwerken wie Soylent Green, Tora!Tora!Tora! oder Fantastic Voyage. Und schließlich Robert Altman, einem der bedeutendsten amerikanischen Regisseure der mittleren Generation Hollywoods.

 

Das Thema Hörspiel findet auf über 80 Seiten seinen Platz. Neben den Einzelrezensionen befasst sich ein Aufsatz von Horst G. Tröster mit der verstorbenen Hörspielautorin Eva Maria Mudrich, die als einer der wenigen deutschen Autorinnen regelmäßig Hörspiele geschrieben hat. Enthalten ist ein Gespräch mit Frau Mudrich von 1985 und eine Bibliografie ihrer Hörspiele.

 

Hartmut Kasper streift das Medium Comic mit einem kurzweiligen Artikel zum britischen SF-Comic-Magazin 2000 AD und fünf größeren Bildern dazu. Er zeigt die Entwicklung dieses - 2007 ins dreißigste Jahr gehende - Magazins und seine Ursprünge in der komplexen Heldenstory um den Piloten Dan Dare.

 

Computerspiele werden von Gerd Frey auf über 40 Seiten rezensiert, auf fast jeder zweiten Seite gibt es einen Screenshot.

 

Es folgen 100 Seiten an Buchrezensionen unter anderem zu Werken von Iain Banks, Ursula K. Le Guin, Alastair Reynolds, Theodore Sturgeon, Robert Charles Wilson.

 

Das Kompendium schließt - wie schon auch die Vorgängerbände - mit Marktberichten zur deutschen, amerikanischen und britischen Science Fiction-Szene. Es folgen noch die verliehenen Phantastik-Preise des Jahres und die Bibliographie der phantastischen Literatur im Wilhelm Heyne Verlag 2006.

Fazit: Für Science Fiction-Fans gehören die Jahresbände aus dem Wilhelm Heyne Verlag zum Pflichtprogramm. Nirgendwo sonst findet sich soviel Kompetenz, Kritik und Unterhaltung zum Thema Science Fiction.

 

Das Science Fiction Jahr 2007 bietet auf 1363 Seiten (oder 1024 Gramm) folgenden Inhalt:

  • Editorial
  • Schwerpunkt: Das Ende eines Genres?
    • Hartmut Kasper: Der Krieg der galaktischen Mächte gegen das Volk der anorganischen Dytryxiyl. Ein (vorläufiger) Nachruf auf die Science Fiction.
    • Uwe Neuhold: Gefangen im Megasystem. Wohin fließt die Science Fiction? Ein Besuch auf heutigen und zukünftigen Flohmärkten.
    • Lucian Hölscher: Zukunftsliteratur ohne Zukunft. Wie dem Genre buchstäblich die Zeit ausgeht.
    • Dierk Spreen: Utopie und Abenteuer. Nach dem Ende der politischen Großträume: Was bleibt von der Science Fiction?
    • Wolfgang Neuhaus: Fremdheit ist schwer zu ertragen. Zur Perspektive der evolutionären Spekulation in der Science Fiction.
    • Frank Borsch: Das Ende der Welt. Wirklich. James Howard Kunstler - oder: Das Sachbuch als Science Fiction.
    • Ralf Reiter: Angeknabbert! Die Science Fiction zwischen Mystery, Mainstream und Gegenwartsliteratur.
    • Bartholomäus Figatowski: Spiel, Spaß, Spannung - Science Fiction? Über die Zukunftsperspektiven eines kinder- und jugendliterarischen Subgenres.
    • Thomas Wörtche: Desaster as usual. Zur ungeklärten Nachbarschaft von Science Fiction und Kriminalliteratur.
    • James Patrick Kelly/John Kessel: Willkommen im Nirgendwo! Slipstream: Das Genre, das nicht ist - oder doch?
    • Doris Lessing/Margaret Atwood: Innere Räume, äußere Welten und der Rücksturz zur Erde. Eine Expedition in die literarischen Universen von Doris Lessing und Margaret Atwood.
    • John Clute: Im Radiumglanz der Morgenröte. Cormac McCarthy und Thomas Pynchon: Die Science Fiction in den letzen Tage des Kategorisierens.
    • Adam Roberts: It´s the medium, stupid! Jeder mag Science Fiction - nur nicht in geschriebener Form.
    • Andreas Eschbach: Realität - sehr zu empfehlen. Vom Sterben und Weiterleben der Science Fiction.
  • Bücher und Autoren
    • Michael K. Iwoleit: Gestaltwesen, die Bombe und die Mysterien der Liebe. Über die Kurzgeschichten von Theodore Sturgeon.
    • Karlheinz Steinmüller: Der Moon Hoax und seine Folgen. Die italienische Mondexpedition von 1836.
    • Christian Hoffmann: Afrikanische Science Fiction. Eine Spurensuche.
    • Richard Wagner-Glass: Sisyphos, Hiob und das Lamm. Die Nick-Seafort-Reihe von David Feintuch.
    • Todesfälle
  • Interview
    • Uwe Kamm: "Das Werk eines Autors steht immer für sich selbst, nicht für ein Genre!" Ein Gespräch mit Robert Charles Wilson.
    • Werner Fuchs/Sascha Mamczak: "George W. Bush möchte ich nun wirklich nicht f*****!" Ein Gespräch mit J. G. Ballard.
    • Hartmut Kasper: "Wenn die Macht sehr dick tut, wird Science Fiction zum Randvergnügen! Ein Gespräch mit Dietmar Dath"
  • Science & Speculation
    • Rüdiger Vaas: Im freien Fall für die Forschung. Von der sehr erträglichen Leichtigkeit des Seins und der Raumfahrt des kleinen Mannes.
    • Uwe Neuhold: Teleportation in der Bibliothek von Babel. Ein Gespräch mit dem Quantenphysiker Anton Zeilinger.
    • Michael K. Iwoleit: Prophet der Singularität. Die leere Zukunft des Ray Kurweil.
    • Peter Kempin, Wolfgang Neuhaus: Aufbruch ins Multiversum. Eine Meditation über radikale Extrophysik.
    • Tommy Laeng: Zukunftsflops von vorgestern. Ein Spaziergang durch den Ablagekorb der Visionen - Teil 3
    • Rüdiger Vaas: Im Paradies der Bücher. Wissenschaft und Philosophie - die herausragenden Veröffentlichungen des Jahres 2006.
  • Film
    • Lutz Göllner, Bernd Kronsbein, Marc Sagemüller, Sven-Eric Wehmeyer, Lars Zwickies: Zweieinhalb Stunden Overkill - und dann? Phantastik im Kino und auf DVD 2006.
    • Peter M. Gaschler: Foltercamps, Klimaschock und Globalisierung nach Charles Darwin. Neue Dokumentarfilme korrigieren unseren Blick auf das 21. Jahrhundert.
    • Karsten Kruschel: Leim für die Venus. Der Science-Fiction-Film in der DDR.
    • Peter M. Gaschler: Instant Genius: Val Guest (1911 - 2006).
    • Peter M. Gaschler: Fantastic Voyage. Richard Fleischer (1916 - 2006).
    • Peter M. Gaschler: Sitting Bulls Geschichtlektion. Robert Altman (1925 - 2006).
  • Kunst
    • Richard Wagner-Glass: Kunst im Weltall - Kunst auf der Erde. Utopische Spuren in der Gegenwartskunst.
    • Matthias Schönebäumer: Man from Tomorrow. Der Techno-DJ Jeff Mills als futuristisches Künstlermodell.
    • Ralf Reiter: Die unterschätzten Gefahren der Elektrizität. Robert Calvert: SF-Dichter und -Performer.
  • Hörspiel
    • Horst G. Tröster: Science-Fiction-Hörspiele 2006
    • Horst G. Tröster: Das Sehen überlasse ich der Phantasie des Hörers! Zum Tod der Hörspielautorin Eva Maria Mudrich.
  • Comic
    • Hartmut Kasper: Borag Thungg, Erdlinge! Das Britische SF-Comic-Magazin 2000 AD erreicht die Nummer 1500 - und geht ins dreißigste Jahr.
  • Computer
    • Gerd Frey: Science Fiction Interactive. Computerspiele 2006.
  • Rezensionen
  • Marktberichte
    • Hermann Urbanek: Die deutsche SF-Szene 2006.
    • Hermann Urbanek: Die amerikanische SF-Szene 2006.
    • Hermann Urbanek: Die britische SF-Szene 2006.
    • Preise - Preise - Preise
  • Bibliografie
    • Werner Bauer: Phantastische Literatur im Wilhelm Heyne Verlag 2006.

Fazit: Das unverzichtbare Jahrbuch für Science Fiction-Fans.

 

Harald Kloth

5 Sterne
5 von 5

© 2007 Harald Kloth