Sándor Márai

Die Nacht vor der Scheidung

Roman

Der aus Ungarn stammende Autor gehörte schon in den dreißiger Jahren zu den gefeierten Schriftstellern seines Landes. Aus politischen Gründen verließ er 1948 Ungarn und ging in die Vereinigten Staaten, wo er bis zu seinem Freitod 1989 lebte. In der Emigration geriet er in Vergessenheit, blieb aber auch dort seiner Schreibkunst treu und arbeitete weiter an seinen Romanen. Nun wurde Márai mit der Veröffentlichung seines Romans Die Glut (1999) als einer der großen Schriftsteller des 20. Jahrhundert wieder entdeckt. Und das zu heller Freude vieler fleißiger und dankbarer Leser.

 

In seinem Roman Die Nacht vor der Scheidung erzählt Márai die Geschichte einer verdrängten Liebe. Ein Budapester Richter kehrt nach einem langen und seltsamen Tag heim. Endlich ist dieser ungewöhnliche, ja "nervöse" Tag, voll einer unerklärlichen Vorahnung einer Katastrophe zu Ende. Aber nein, ein später Gast wartet auf ihn, ein Freund aus gemeinsamer Jugendzeit, der um ein dringendes Gespräch bittet. Es ist nämlich die Nacht vor seiner Scheidung, und sein ehemaliger Freund und jetziger Richter Kömüves soll morgen die Ehe mit seiner Frau Anna scheiden. Doch der Prozess kann nicht stattfinden, weil er seine Frau getötet hat. So beginnt das nächtliche Gespräch zwischen den zwei Männern, deren ganzes Leben der Autor vor unseren Augen Revue passieren lässt. Nun stellt sich heraus, dass auch der Richter Anna früher gekannt und ein paar Mal getroffen hat. Aber wie hat er damals ahnen können, welche Folgen diese kurzen, scheinbar bedeutungslosen Begegnungen für Anna haben und welche Tragik die dadurch unterdrückten Gefühle und die missglückte Ehe bei ihr auslösen werden? Jetzt sucht ihr Mann Antwort auf seine Frage und deswegen ist er hier.

 

Es beginnt eine lange, wunderbare Reise durch das fremde und doch so vertraute Land der Gefühle: Liebe, Treue, Eifersucht, Ehre, Wohlwollen und Herkunft. Das sind zeitlosen Themen jeder Zivilisation und es ist kaum zu glauben, dass das Buch bereits 1935 erschienen ist, so nah und vertraut sind uns diese Begriffe wie Liebe und Leid, Enttäuschung und Wut, Zorn und Freude. Man hat den Eindruck, es passiert heute und hier, so aktuell sind die Sorgen, Ansichten und Einstellungen der handelnden Personen.

 

Es gibt kein überflüssiges Wort in diesem Roman. Die Geschichte wird in einer ruhig fließenden Sprache erzählt. Und diese traurig-schöne Lektüre wird mit Sicherheit bei vielen Lesern Glückshormone ausschütten. Das ist es, was das Lesen so schön macht. Man erinnert sich in solchen Momenten an ein Irländisches Sprichwort: "Lieber barfuß als ohne Buch".

 

Fazit: "Die Nacht vor der Scheidung" ist ein einfach und doch sehr spannend geschriebener philosophischer Roman, der gleichzeitig den besten Traditionen des großen Leo Tolstoj entspricht.

 

Ludmila Hück

4 Sterne
4 von 5

© 2004 Ludmila Hück, Harald Kloth