Günter Brakelmann

Helmuth James von Moltke

1907 bis 1945

Eine Biographie

60 Jahre nach den Ereignissen des 20. Juli 1944 erschien eine Vielzahl von Literatur zum Deutschen Widerstand. Während jedoch meist die Widerstandsgruppe Die Weiße Rose und der militärische Widerstand um Beck und Stauffenberg im Mittelpunkt standen, waren neuere Publikationen über den gewaltlos agierende Kreisauer Kreis und seine Protagonisten eher kaum zu finden. Fast 35 Jahre nach Golo Mann legt nun Günter Brakelmann eine eindrucksvolle Biografie über Helmut James von Moltke auf dem aktuellen Forschungsstand vor.

 

Moltke wurde am 11. März 1907 in Creisau (später Kreisau) geboren. Sein Vater war Gutsbesitzer und Erbe des Schlosses von Kreisau (übrigens erstmals erworben durch den 1870/71 im Krieg mit Frankreich berühmt gewordenen Generalfeldmarschall Moltke), seine Mutter stammte aus einer wohlhabenden Familie aus Südafrika. Besonders zu seiner Mutter fühlte er sich hingezogen, die schon früh sein Denken und Handeln prägte, einerseits durch ihre demokratische und liberale Denkweise, andererseits durch ihre weltpolitisch umfassende Sichtweise. Moltke wuchs so in einem Christian-Science Haus auf, war lutheranisch getauft und konfirmiert, galt zunächst eher als Agnostiker und erst im Laufe des Krieges vollzog er nach eigenen Aussagen eine Wandlung hin zu tiefem Bekenntnis für christliche Grundwerte. Nach Abschluss der Schule begann Moltke ein Studium der Rechtswissenschaften, welches ihn unter anderem nach Breslau, Wien und Berlin führte.

 

Neben dem Studium wurde er schon früh in die Pflicht genommen, sich um das Gut zu kümmern. Sein Vater, in leitender Funktion in der Organisation Christliche Wissenschaft in Berlin tätig, übertrug ihm bereits im Alter von nur 22 Jahre die Generalvollmacht über die Verwaltung des Besitzes Creisau. Im Zeitalter der Weltwirtschaftskrise ein fast unmögliches Unterfangen, aber mit Leidenschaft, Geschick sowie auch Glück, gelang es ihm, das Gut im familiären Besitz zu belassen. Ungewöhnlich für einen Nachkommen zweier genialer Feldherren ist, dass er keinen Militärdienst ableistete und so keinerlei militärische Einflüsse seinen Charakter prägten. Das Leiden und Elend der Industrie- und Landarbeiter am eigenen Leib erfahrend, engagierte er sich schon zu Studiumszeiten in diversen Kreisen und Bewegungen um sich an der Schaffung einer besseren Zukunft aktiv zu beteiligen. Die späteren Vorstellungen zur Neuordnung Europas waren hier schon in den Gedanken Moltkes manifestiert. Die von ihm angestrebte Trias aus Rechts-, Sozial- und Kulturstaat gestützt durch den aktiven Bürger sollte das Fundament eines modernen Gemeinwesens bilden.

 

Wie der Autor richtig hervorhebt, zeigte Moltke schon hier sein einzigartiges Talent Leute unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichster Religionen und unterschiedlichster politischer Richtungen für die gemeinsame Sache zu vereinen und zu organisieren. Beispielgebend für diese frühe Tätigkeit sei sein Engagement in der Schlesischen Arbeitbewegung zu nennen.

 

Für sein Leben prägend war die innige Liebe zu seiner Frau Freya, die ihm in all seinen privaten, wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten der wichtigste Ratgeber war.

 

Nach der Machtübernahme Hitlers im Jahre 1933 beschlossen sie beide, nicht wie es möglich gewesen wäre nach England oder zu den Großeltern nach Südafrika zu emigrieren, nein, sie stellten sich der Herausforderung der fast sinnlos scheinenden Opposition gegen einen übermächtigen Gegner.

 

Der bewusste Übergang Moltkes in den Widerstand wird vom Autor auf das Jahr 1938 datiert. Dieser Widerstand formierte sich schließlich, und diese Phase steht im Mittelpunkt des Buches, mit vielen Geistesverwandten in seinen Aktivitäten in und um den Kreisauer Kreis, einer der bekanntesten Widerstandsgruppen gegen Hitlers Terrorregime.

 

Der Kreisauer Kreis, 1940 gegründet durch Moltke und seinem Freund York, war ein Zusammenschluss von Adligen, Geistlichen beider Konfessionen, aber auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die in konspirativen Treffen über die Wiederherstellung des zerstörten Menschenbildes und einer mögliche Nachkriegsordnung Deutschlands und Europas in den Bereich wie Religion, Verfassung, Kultur und wirtschaftliche Ordnung diskutierten. Auch wenn Brakelmann hier keine neuen Forschungsergebnisse aufzeigen kann (hier sei auf die umfangreichen Publikationen von Hans Mommsen verwiesen), verdeutlichen doch seine gekonnt ausgewählten Zitate die Komplexität und Standpunkte der Diskussionsthesen.

 

Mit der Verhaftung der Mitglieder des Kreisauer Kreises ab 1944, blieben all diese Überlegungen, das Ideal der so genannten kleinen Gemeinschaften (Ziel war es, als Gegengewicht zur Übermacht der zentralistischen Staatsorgane jegliche Form vorstaatlicher Kommunikation genossenschaftlicher Prägung, sei es Familie, Kindergarten, Schule, Feuerwehr, Kirchen etc. zum Ausgangspunkt einer politischen Verfassung zu machen) blanke Theorie.

 

Neben diesem passiven Widerstand, war Moltke in seiner Position als Sachverständiger für Kriegs- und Völkerrecht im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) auch aktiv tätig, indem er durch seine Gutachten, insbesondere in der Anfangsphase des Krieges, Juden und andere potentielle Opfer der Nazis vor Erschießungen und Misshandlungen bewahrte. Als jedoch ab 1941 das grausame Morden in einen industriellen Prozess überging, waren auch seine Mittel ausgeschöpft.

 

Sein ratsloses Bemühen, bei seinen zahlreichen Reisen Gruppierungen, hohe kirchliche Würdenträger, hohe Militärs, auch der deutschen Reichswehr, und Auslandsdienste für seine Sache zu gewinnen, die gegen das Nazi-Deutschland operierenden und kooperierenden Netzwerke im In- und Ausland zu verknüpfen, zählten zu seinen riskantesten Unternehmungen im Widerstand. So bot er zum Beispiel Ende 1943 in den so genannten Istanbuler Gesprächen im Namen deutscher oppositioneller Gruppen eine Kapitulation im Westen und die Kooperation mit den Westmächten bei einer Besetzung Deutschlands an, wenn die Ostfront gehalten und ein kommunistisch geprägtes Deutschlands verhindert werden könnte.

 

Auch wenn Moltke Widerstand mit Gewalt immer wieder ablehnte, kam es ab 1943 zunehmend zu einer nicht immer konfliktfreien Verstrickung mit dem militärischen Widerstand, die Neuordnungspläne des Kreisauer Kreis werden Teil der Umsturzpläne Becks und Goerdelers. Der Satz Ich sterbe nicht für meine Handlungen oder Verschwörungen, sondern allein für meine Gedanken (von Moltke, Letzte Briefe aus dem Gefängnis Tegel, Berlin 1963) zeigt deutlich den Trennungsstrich zwischen sich und den aktiven Widerstandskämpfern.

 

Schließlich wurde er am 19. Januar 1944 von der Gestapo festgenommen, weil er eine Warnung an Angehörige des Solf-Kreises weitergegeben hatte. Nach dem 20. Juli wurde fast seine gesamte Abteilung Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht verhaftet, verurteilt und hingerichtet. Moltke wurde erst knapp ein Jahr nach seiner Verhaftung der Prozess gemacht, zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 im Schuppen von Plötzensee hingerichtet. Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben schrieb er in seinem letzten Brief an seine Frau.

 

Die Beschreibungen seiner Gefangenschaft und seiner Vernehmungen zählen mit zu den stärksten Kapiteln des Buches. Hier verdeutlicht Brakelmann, mit welcher Energie Moltke, im Bereich der Gerichtsbarkeit mit allen Wassern gewaschen und im Glauben an die Gerechtigkeit, sich gegen seine Verurteilung wehrte, und den Präsidenten des Volksgerichtshofes Volker Freisler nicht nur einmal zur Weißglut brachte.

 

Brakelmann gelingt es durch seinen stets lebendigen Schreibstil schnell, seine Leser zu fesseln und einem die Faszination dieser außergewöhnlichen Person Nahe zu bringen. Insbesondere die Umstände, das Milieu, die Moltke in den Widerstand trieben werden umfassend dargelegt, auch wenn das Einbeziehen seines späteren Bekenntnisses zu christlichen Werten etwas zu kurz kommt. Moltke war mitnichten ein Patriot, sondern ein radikaler Humanist und Weltbürger, der sich in einer der Not der Zeit angepassten christlichen Gläubigkeit bewegte. Allerdings und das machte er oftmals deutlich, fehlte ihm ein klares Nein der Kirche zum Nationalsozialismus.

 

Mancher mag die vielen Zitate aus Gesprächen und Briefen Moltkes und seiner näheren Entourage als den Lesefluss störend empfinden, Zeitgeschichte wird aber am Besten durch Zeitzeugen erzählt.

 

Auch wenn es Brakelmann nicht so deutlich formuliert, Moltkes Biografie zeigt beispielgebend für die deutschen Funktions- und Adelseliten, in welchem Ausmaße Widerstand gegen des teuflische Regime möglich gewesen wäre. Nur die Wenigsten haben diese Chance genutzt, waren sie doch selbst Nutznießer des Systems und sympathisierten mit den Verbrechern.

 

Fazit: Insgesamt ein Buch, welches das dunkle Kapitel der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert mittels einer der Protagonisten lebendig vermittelt und zu einem Standardwerk über den deutschen Widerstand werden dürfte.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2007 Andreas Pickel, Harald Kloth