Martin Smaus

Mach mal Feuer, Kleine

Roman

Ein authentischer Roman von Martin Smaus, im dtv-premium-Programm erschienen als deutsche Erstausgabe, aus dem tschechischen übersetzt von Eva Profousová.

 

Lässt sich der Leser bereitwillig in diese neue, ungewohnte Welt führen, durchlebt er ein Wechselbad der Gefühle, wie es stärker nicht sein könnte. Auf der einen Seite überwiegt Mitleid und Verständnis für Andrejko, der ja nichts anderes kennt und vom ersten Lebenstag an, in diese Dunka-Welt hinein wächst. Ein unglaublich stolzes, freiheitsliebendes Volk, jähzornig, heißblütig, verletzbar in seinen Werten. Geprägt durch das harte Leben, von der Hand in den Mund, von heute auf morgen, mal hier, mal da – das ist die Devise. An Übermorgen werden selten Gedanken vergeudet. Feste Regeln sorgen innerhalb dieser Gesellschaft für Ordnung – und es funktioniert, wenn auch nicht immer ganz reibungslos. Andererseits fällt es schwer für diese Art des Lebens verständnis zu entwickeln.

 

Beim Aufeinanderprallen mit den Gadsches – ein Dunka-Begriff für sesshafte Weiße – entsteht ein großes Konfliktpotential. Dem Staat hilflos ausgeliefert muss ein großer Teil der Dunkas in den Siedlungen der Gadsches sesshaft werden, sich um Arbeit mit festen Zeiten und Regeln kümmern. Als Minderheit in Ghettos gepfercht kämpfen sie ums tägliche Überleben. Stehlen, Rauben, Saufen prägen das Bild. Stolze Dunkas, ihre Familie ist ihnen heilig, sind völlig überfordert und allein gelassen inmitten der Gadsche-Gesellschaft. Die Sehnsucht nach Freiheit und ungezwungenem Leben raubt ihnen fast den Atem. Und so stürzen sie in immer tiefer werdende Abgründe. Eine Spirale nach unten beginnt, kaum zu stoppen, begleitet von Hohn, Spott, Demütigungen, Hunger, Ausgrenzung und Ungerechtigkeit. Sie sind am unteren Ende der Gesellschaft angekommen und egal ab ganz jung oder hochbetagt – sie bekommen es täglich an der eigenen Haut zu spüren.

 

Auch Andrejko durchlebt diese Hölle, rappelt sich immer wieder auf, kämpft für seine Familie und ein kleines Stückchen Glück. Manchmal hat es den Anschein, er könnte es dieses Mal schaffen. Zäh und verbissen verfolgt er seine Ziele mit wechselndem Erfolg und doch verbringt er sein ganzes Leben auf der Flucht auf einer immerwährenden Berg-und-Tal-Fahrt.

 

Ein Bild entsteht im Kopf des Betrachters, drängt dazu für Andrejko diesem Überlebenskünstler Partei zu ergreifen. Mehr möchte ich dazu nicht verraten, nur dass ich dieses außergewöhnliche Buch auch noch ein drittes Mal verschlingen werde.

 

Als erstes sei gesagt: diese Lektüre beinhaltet keine oberflächliche, seicht dahin plätschernde Urlaubsunterhaltung. Sie fordert vielmehr vom Lesenden die bewusste gedankliche Auseinandersetzung mit der ihm vorliegenden Problematik, welcher man sich nur schwer entziehen kann.

 

Mich hat die Lebensgeschichte von Andrejko – dem Volksstamm der Dunkas (Roma) angehörend – tief bewegt. Das Zitat aus dem Werk „neun Leben hat die Katze, zehn der Zigeuner“ lässt aufhorchen und bereits auf den ersten Seiten öffnet sich das Tor zu einer anderen Welt. Man wächst förmlich mit Andrejko in eine völlig fremdartige Gesellschaft hinein.

 

Martin Smaus gelingt es eine Gesellschafts- und Milieustudie auf fesselnde Art und Weise an den Lesebegeisterten heran zu tragen und obwohl der Roman zeitlich in den dreißiger bzw. vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt ist, gibt es viele bedrückende Parallelen im bestehenden Verhältnis der heutigen Gesellschaft zur Roma-Minderheit.

 

Fazit: Für aufgeschlossene Leser ist dieses Werk eine wahre Fundgrube an neuen Eindrücken. Diese Gedankenreise in eine völlig andere Welt bringt fremdes Kulturgut näher und so mancher wird nach der mitreißenden Lektüre Dunkas mit ganz anderen Augen sehen. Vielleicht gelingt ein kleiner Schritt der beiden gegensätzlichen Gesellschaften aufeinander zu und lässt die Welt etwas gerechter, toleranter und verständnisvoller werden.

 

Elisabeth Gonsch

5 Sterne
5 von 5

© 2011 Elisabeth Gonsch, Harald Kloth