Marina Nemat

Ich bitte nicht um mein Leben

Eine junge Christin entflieht dem iranischen Terrorregime

Als 2003 die kanadische Fotojournalistin Zahra Kazemi im iranischen Evin Gefängnis an den Folgen von Folterungen starb, gelangten erstmals deren menschenunwürdige Haftbedingungen an eine breitere Öffentlichkeit. Marina Nemat, selbst Opfer der iranischen Revolutionsregierung und mittlerweile im kanadischen Exil lebend, hatte da gerade die zweite Fassung der Aufzeichnungen ihrer traumatischen Gefängniserlebnisse abgeschlossen. Gab Kazemi den bisher anonymen Opfern ein Gesicht, so gibt Nemat mit dem eben im Weltbild Verlag erschienenen autobiografischen Buch Ich bitte nicht um mein Leben eine Stimme.

 

Marina Nemat, 1965 in Teheran geboren, wird am 15. Januar 1982, also im Alter von gerade einmal 16 Jahren, verhaftet und in das Evin Gefängnis eingeliefert, weil sie angewidert von der Politisierung des Schulunterrichtes durch Fernbleiben vom Unterricht schweigend zum Widerstand gegen die Schulführung aufrief. Nach grausamster Folter bis zur Bewusstlosigkeit wird sie noch in der gleichen Nacht von einem Schnellgericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt, schließlich aber aufgrund eines einflussreichen Wärters, der sich in sie verliebt hatte, begnadigt.

 

Insgesamt zwei Jahre, zwei Monate und zwölf Tage bleibt Nemat, eine russisch-orthodox Gläubige, in Haft. Sie kommt nur deshalb frei, weil sie Ali Musavi, einen Gefängnisaufseher, der sie mit der Drohung erpresst, ihre nahen Verwandten allen erdenklichen Repressalien des Staates auszusetzen, ehelicht. Zusätzlich verlangt er von ihr die Konversion zum Islam. Schließlich wird Ali durch ein Mordkommando vermutlich von Häftlingsaufsehern getötet, als er sich schützend vor Nemat stellte. Obwohl sie eher Ekel als Liebe zu Ali empfand, rettete er ihr hier zum zweiten Mal das Leben. Dank der Initiative ihres Schwiegervaters wird sie endgültig aus der Haft entlassen, heiratet ihre Jugendliebe und es gelingt ihr schließlich die Flucht nach Kanada. Erst Anfang 2000 versucht sie ihr posttraumatisches Stresssyndrom durch schriftliches Aufarbeiten der Erlebnisse zu überwinden.

 

Gerade im ersten Teil wechselt die Autorin zeitlich springend von den Erlebnissen im Gefängnis einerseits und ihr Leben als Kind im prä-revolutionärem Iran andererseits. Man kann sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen, wie vergleichsweise leicht und unbeschwert das Leben in der Schah-Zeit war - die Kindheitserlebnisse und die erste zarte Liebe hätten in jeder mitteleuropäischen Stadt spielen können. Doch abrupt wird der Leser aus jeglicher Gefühlsduselei gerissen, wenn im folgenden Kapitel wieder Mord und Folter beschrieben werden. Man spürt förmlich die Kälte und das Grauen der Gefängniszellen, die Gefühlskälte der männlichen und weiblichen (sic) Aufseher. Erst später gleichen sich die Beschreibungen der „Schrecken im Alltag“ mit den „Schrecken im Gefängnis“ immer mehr an, wenn die neuen islamischen Religionshüter nach und nach die Gesellschaft in ihrem Sinne dirigieren bzw. wer sich nicht dirigieren lässt, terrorisieren. Ein einst westlich orientierter Staat wird von religiösen Fanatikern regiert.

 

Stellvertretend für alle Inhaftierten, sind besonders erschütternd die detaillierten Porträtierungen ihrer Zellengenossinnen, denen Sie somit zusammengeschweißt durch eine Zwangsgemeinschaft nicht nur eine Stimme, sondern auch ein Gesicht verleiht. Ob die nun ebenfalls erst 16 Jahre alte Sarah oder die gerade erst Mutter gewordene Sheida, alle verlassen das Gefängnis nicht mehr lebend, entweder hingerichtet oder wie im Falle der siebzehnjährigen Mina zu Tode geprügelt. Die Umstände wie nachts auf dem kalten Fußboden schlafen zu müssen, ständig durch das staatliche Fernsehen indoktriniert zu werden sind nur ein Teil der menschenunwürdigen Haftbedingungen. Aber auch die Beschreibungen, wie Frauen, teilweise noch im jugendlichen Alter, fanatisch das System unterstützten, Widerständler den örtlichen Autoritäten meldeten oder selbst verfolgten und folterten, obwohl sie ja eigentlich in dieser Form des Islams als Verlierer gelten sollten, gehen unter die Haut.

 

Geschichte lässt sich, auch wenn es hier um traumatisierte Geschichtsaufbereitung geht, am Besten durch Zeitzeugen erzählen. Der Umstand, dass die Autorin ihre Erlebnisse erst nach 20 Jahren zu Papier bringt, gibt dem Buch die notwendige Objektivität und eine bessere Analyse. Das „Warum der Taten“ der handelnden Akteure steht im Mittelpunkt und nicht die schlichten Taten. Übrigens, warum der Verlag den Originaltitel Prisoner of Teheran in Ich bitte nicht um mein Leben umformulierte, wird er nur selbst wissen, klingt aber ein wenig nach Effekthascherei, die das Buch nicht nötig hat.

 

Bei den derzeitigen politischen Konstellationen (siehe der Streit um das iranische Atomprogramm) ist eine Änderung der Situation im Evin Gefängnis und für die Gefangenen nicht zu erwarten oder gar mit Druck von Außen zu veranlassen. Erst ein zumindest mittelfristig nicht zu erwartendes Umschwenken des regierenden Regimes würde einen ungeschminkten Zutritt auch für Menschrechtsorganisationen zulassen und die Verhältnisse ggf. verbessern.

 

Fazit: Insgesamt ein sehr empfehlenswertes und lesenswertes Buch.

 

Andreas Pickel

5 Sterne
5 von 5

© 2007 Andreas Pickel, Harald Kloth