Die vom Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) 2002 neu herausgegebene Gesamtausgabe von Ian Kershaw über Hitler ist eine monumentale Biographie über die Person Adolf Hitlers aber auch über sein gesellschaftliches Umfeld, die meines Erachtens seines Gleichen sucht.
Kershaw, ein eher gesellschafts- beziehungsweise sozialgeschichtlich orientierter Historiker, gliedert sein "Meisterwerk" sowohl zeitlich (1889 bis 1936 und 1936 bis 1945) als auch inhaltlich in zwei Teile: in einen personengeschichtlich angelegten ersten Teil und in einen strukturgeschichtlich akzentuierten zweiten Teil.
Insbesondere im ersten Teil überzeugt das Buch in seiner geradlinigen Darstellung der Entwicklung Hitlers vom demoralisierten Teilnehmer am Ersten Weltkrieg über seine mehr oder weniger misslungenen Versuche, im künstlerischen Bereich zu Ansehen zu gelangen bis schließlich zum Parteiführer, der seine demagogischen Fähigkeiten entdeckt. Differenziert und detailliert wird dargestellt, dass die "Machtergreifung" (die ja seit den diesbezüglichen Publikationen von Sebastian Haffner de factive ergreifen, um so das voranzutreiben, "was den Zielen und Wünschen Hitlers dienlich schien" (Band 1, Seite 666).
Einzig zu kritisieren ist der vergleichsweisen geringen Bedeutung, die Kershaw Hitler´s Weltanschauung schenkt. Sie stellt jedoch einen wesentlichen Aspekt des vor allem im zweiten Teil beschriebenen außenpolitisches Handelns dar, die das Dritte Reich, wenn auch letztendlich mit einer nie dagewesenen Brutalität und Rücksichtslosigkeit, zunächst wieder handlungsfähig machte - bevor es dann an seinem Größenwahn zerbrach. So urteilt Kershaw in mittlerweile nachgewiesener Weise falsch, indem er Hitler unterstellt, die politischen, wirtschaftlichen und vor allem militärischen Fähigkeiten der Vereinigten Staaten unterschätzt zu haben.
Trotzdem kann die Zusammenfassung von biografischen und gesellschaftspolitischer Geschichtsschreibung als absolut gelungen bewertet werden, die meines Erachtens ein Meilenstein in den Abhandlungen über die nationalsozialistische Terrorzeit darstellt, die maßgeblich dazu beiträgt Geschichte zu verstehen und aus der Geschichte zu lernen - und wenn es aus negativen Beispielen sein muss. Welch hohen Stellenwert dieses Werk im Vergleich zu anderen Hitlerbiografien genießt, beweist allein auch die Tatsache, dass der in diesem Jahr vom US-Sender CBS gedrehte Vierteiler über Hitler auf der Biografie von Kershaw beruht.
Sei nur zu hoffen, dass sich genügend Leser finden, die es als lohnenswert finden, diesen literarisch-historischen Genuss auf über 2.000 Seiten (!) zu genießen. Ich habe es größtenteils getan und kann nur zur Nachahmung raten.
Fazit: Eine monumentale und differenzierte Biografie.
Andreas Pickel
© 2003 Andreas Pickel, Harald Kloth