Bernhard Schlink

Die Heimkehr

Roman

Der Bogenschütze auf dem Schutzumschlag weist dem Leser scheinbar den Weg, mitten hinein in den Mythos des Odysseus. Denn er ist der Inbegriff des Heimkehrers, des Suchenden, des Irr-fahrenden und des Findenden schlechthin. Zu Hause wartet Penelope und bei Schlink das eigene Ich.

 

Nach Kriminalromanen kehrt Bernhard Schlink zurück auf die Erfolgsspur seines Bestsellers Der Vorleser. Wie auch dort fasziniert er wieder mit schnörkelloser Prosa. Er setzt seine Worte schlicht und präzise. Aus ihnen spricht Weisheit und das Einfache.

 

Peter Debauer heißt der Held dieses Romans. Seine allein erziehende Mutter schickt ihn zu den Großeltern in die Schweiz. Liebevoll erzählt er von ihnen, doch heimisch wird er in der Fremde nicht. Nur in den Erzählungen und Heftchenromanen, mit denen die Großeltern ihren Lebensunterhalt verdienen findet er halt.

 

Papier ist knapp in den 50er Jahren, und so bekommt der kleine Peter Korrekturbögen, um sie auf der Rückseite bekritzeln zu können. Dem Verbot, die Texte zu lesen, widersetzt er sich nur allzu gern und so nimmt ihn die Irrfahrt eines Soldaten, der aus Sibirien heimkehrt völlig gefangen. Den Heimkehrer empfängt eine Frau mit einem anderen Mann und einem kleinen Kind. Das Ende der Geschichte findet sich nicht auf den Blättern. Peter nimmt das Wissen um das Nichtwissen mit in sein weiteres Leben.

 

Neben den kristallklaren Beschreibungen von Debauers Leben beginnt Schlink Pfade auszulegen, lässt seinen und wiederum dessen Helden wie Odysseus durch die Geschichte irren. Bundesrepublikanische Vergangenheit verzahnt sich mit der des Krieges und des Nationalsozialismus. Die Spurensuche nach jenem Heimkehrer Karl und vor allem nach dem Autor des Romans führt Debauer in die eigene Familiengeschichte, er findet das Haus des Heimkehrers und dessen Töchter. In die Tochter der jüngeren verliebt er sich, ohne glücklich zu werden, denn auch ihn wirft ein Heimkehrer aus dem Rennen. Ihr Ehemann kommt nach Jahren der Trennung heim und setzt die Beziehung fort.

 

Debauer recherchiert weiter. Bald stellt sich heraus dass der Verfasser jenes Romans kein anderer ist als sein eigener Vater, der nach einem flüchtigen Liebesabenteuer mit seiner Mutter nach Kriegsende untertauchte. Der tot geglaubte überlebte den Krieg, versteckte sich als gesuchter Nazi, wechselte die Identität und wurde Professor in den USA.

 

Der Vermutung, der Roman wirke konstruiert, sei hier gleich energisch widersprochen, denn dieser Plot überrascht den Leser immer wieder aufs Neue: wie geht man mit verdrängter Schuld um, wie kann man sich gegen das bewusste und unbewusste Vergessen behaupten, wie gelangt man in ein normales Leben der Ehrlichkeit? Diese Fragen beschäftigen die Protagonisten des Buches genau so wie den Autor und seine Leser!

 

Schlinks neuer Roman ist ein großer Wurf, kraftvoll und poetisch, weder platt noch heischend; er platzt mitten in eine Welt hinein, in der sich jeder nach einer Heimkehr sehnt!

 

2006 erschien bei Diogenes auch ein Hörbuch, gelesen von Hans Korte.

 

Fazit: Die Odyssee einer Heimkehr - starke Literatur!

 

Wolfgang Gonsch

5 Sterne
5 von 5

© 2006 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth