Jacques Lederer

Gross und Klein

Roman

 

Was es bedeutet hat, als jüdisches Kind während der Besatzung des Nazi-Regimes in Paris gelebt - oder besser gelitten - zu haben, davon handelt das aufwühlende Buch von Jacques Lederer, Groß und Klein. Selten habe ich ein Buch gelesen was, noch dazu in dieser Kürze (nur 111 Seiten), so bewegend das Thema Holocaust behandelt, ohne in einer martialische Wortwahl die Grausamkeiten an den Juden im Detail zu beschreiben. Dabei zeigt sich, dass Geschichte am Besten durch Zeitzeugen erzählt werden kann, wenn nicht gar muss.

 

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil spielt in Paris des Jahres 1942 über eine geheimnisvolle Komplizenschaft zwischen einem siebenjährigen Jungen, ungarischer Abstammung und Jude, und einem Neunjährigen, drei Köpfe größeren Klassenkameraden, der ihm „mehr Angst macht als Gestapo, SS und Wehrmacht zusammen“ (Erster Satz des Romans!). Aufgrund ihren körperlichen Unterschieden nennt sie ihr Lehrer bald „Sigrand“ („so groß“) und „Sip´tit“ („so klein“). In dem Wissen, dass Sip´tit versucht, seine jüdische Abstammung zu kaschieren, setzt Sigrand sein Opfer allen nur erdenklichen physischen und psychischen Repressalien aus. Sein Opfer wiederum erduldet all den Sadismus, um nur nicht erpresst zu werden. Das überraschend Ende dieses ersten Abschnitts zeigt dann den Peiniger (sic!) mit einem gelben Stern auf der Brust in einer Gruppe zusammengepferchter Kinder, fertig zur Deportation.

 

Der zweite Teil spielt nach dem Krieg in einem Kurhaus für Tuberkulosekranke, in dem Sigrand und Sip´tit wieder aufeinandertreffen. Sigrand gezeichnet durch die Internierung im Lager Drancy provoziert die Kurgäste durch Erzählungen über die Hölle durch die er ging (als Höhepunkt spricht während eines Gottesdienstes von der Kanzel, kahl rasiert und in KZ-Kleidung, über Verbrennungsöfen) und kritisiert so die Ausschwitz-Leugner und die Scheinheiligkeit der Nachkriegszeit.

 

Ein absolut geniales Buch, welches vor allem durch die Art und Weise, im ersten Teil aus dem Blickwinkel eines Siebenjährigen, also quasi aus der Froschperspektive, die Judenverfolgung in der Besatzungszeit so packend darzustellen, besticht. Dadurch bleibt stets die notwendige Distanz zum Geschehenen, die Verbrechen werden nicht dargestellt. Trotzdem muss nicht auf die notwendige Emotionen verzichtet werden und die Morde und die Situation in den KZ ist allgegenwärtig.

 

Fazit: Insgesamt ein absolutes Highlight nationalsozialistischer Vergangenheitsbewältigung.

 

Andreas Pickel

5 Sterne
5 von 5

© 2004 Andreas Pickel, Harald Kloth