David J. Edmonds / John A. Eidinow

Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann

Die ungewöhnlichste Schachpartie aller Zeiten

Juli 1972: Schwitzende, übernervöse Protagonisten, exorbitante Geldforderungen, ein skrupelloser Manager, ein aufgeregtes Publikum, hohes Medieninteresse, leergefegte Strassen, wütende Proteste von Fernsehzuschauern bei Abschalten des Ereignisses, Fernseher in Bars und Kneipen, Tischgespräche, die nur auf dieses Ereignis fokussiert waren, ausverkaufte Utensilien und Bücher zu diesem Spiel was wie eine Szene 5 Minuten vor Beginn eines Fußball-Weltmeisterschaftsendspiels aussieht handelt tatsächlich von einer an sich langweilig anmutenden Sportart Schach in einer vermeintlich ebenso langweiligen Stadt in Reykjavik, Island.

 

Wer wissen will, wie spannend und wie faszinierend eine Schachpartie jedoch sein kann und was genau sich bei der Schachpartie des Jahrhunderts im Vorfeld, im Nachklang und während der Partie auf den Nebenkriegsschauplätzen abgespielt hat, dem lege ich dieses Buch von David Edmonds und John Eidinow nahe. Auch heute noch, nach über 30 Jahren, erregt dieser zum Kampf der System hochstilisierte Wettkampf zwischen Boris Spasski und Bobby Fischer die Gemüter.

 

In den ersten Kapiteln werden zunächst ausführlich die unterschiedlichen Wege der beiden Kontrahenten bis zum Weltmeisterschaftskampf dargestellt einerseits der exzentrische amerikanische Schachgroßmeister Bobby Fischer auf der anderen Seite der amtierende Weltmeister aus der Sowjetunion, Boris Spasski.

 

Das absolute Highlight des Buches ist der Mittelteil, detailliert beschreibend den Nervenkrieg, den Bobby Fischer um dieses Schachspiel entfachte. Erst scheiterte das Spiel fast an seinen horrenden Geldforderungen (erst als ein Privatmann das Preisgeld verdoppelte war er damit zufrieden), es benötigte gar die Intervention von Henry Kissinger (damals nationaler Sicherheitsberater) dann hatte er spezielle, fast unerfüllbare Wünsche an sein Hotel, spezielle Forderungen an das Schachbrett, an die Figuren, an seinen Drehstuhl, an die Beleuchtung, an die Entfernung des Publikums vom Brett, an die Spielzeiten, an etwaige Kameras im Spielraum ... jedoch bis auf ganz wenige Ausnahmen, er bekam immer Recht und alle seine Wünsche wurden letztlich erfüllt. Dies alles mit dem Hintergedanken, dass ansonsten die Partie, die Schachgeschichte schreiben soll, nicht zustande kommen würde oder später im Verlauf nicht fortgesetzt werden könnte. Der Erfolg rechtfertigte Fischer s Verhalten. Er zermürbte seinen im Verlauf psychisch immer labiler werdenden Gegner (manche mutmaßten, Bobby Fischer habe die Fähigkeit, seine Gegner durch übersinnliche Kräfte psychisch und physisch so zu beeinflussen, dass diese körperlich und geistig nicht mehr in der Lage waren, Ihr ganzes Können abzurufen) und gewann genial spielend die Partie nach anfänglichem Rückstand noch souverän.

 

Die Zeit danach ist jedoch wieder ein weiteres trauriges Kapitel von Umgang mit Ruhm und Ehre. Bis auf wenige kleine Ausnahmen war dies Bobby Fischers letztes wichtige Schachspiel, seinen Titel verteidigter er nicht mehr. Schließlich wurde er 2004 in Japan festgenommen, weil er 1992 gegen die amerikanischen Embargobestimmungen gegenüber Serbien ignorierte. Derzeit hält er sich in Island auf, in der Hoffnung, so einer Auslieferung in die USA zu verhindern.

 

Die Autoren charakterisieren Fischer absolut richtig als ein Mimofant (Seite 38ff.), eine Kreuzung aus Mimose und Elefant, also empfindlich wie eine Mimose gegenüber dem eigenen Gefühlsempfinden und dickhäutig wie ein Elefant, in Bezug auf die Gefühle anderer. Insgesamt ein absolut informatives wie auch spannendes Buch, welches alle nur erdenkliche Facetten eines Schachspiels aufzeigt, ohne wie viele Autoren zu diesem Schachspiel vorher - mit komplizierten Erläuterungen zu Schachzügen und -varianten zu langweilen.

 

Jedoch stellte sich mir immer wieder die Frage, wieso die Autoren den Titel "Als Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann" wählten, obwohl sie doch selbst immer wieder betonten, dass beide Protagonisten nicht als Symbol ihrer unterschiedlichen Systeme galten, sonder stattdessen fast schon als Systemkritiker bezeichnet werden könnten (Borsi Spasski bezeichnete sich selbst als Russe und nicht als Sowjetbürger oder gar als Sowjet-Apparatschik und wanderte schließlich 1976 nach Frankreich aus, Bobby Fischer meinte zu den Anschlägen des 11. September: "Tja, Amerika hat gekriegt, was es verdient" (Seite 397)?!?

 

Fazit: Auch für Schach-Laien absolut zu empfehlen.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2005 Andreas Pickel, Harald Kloth