Patrick Gensing

Angriff von rechts

Die Strategien der Neonazis - und was man dagegen tun kann

 

Spätestens mit der Landtagswahl in Sachsen 2004 ist die bisher von allen suggerierte Anomalität Normalität geworden. Erstmals gelang es der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands), trotz Stimmenverluste, zum zweiten Mal hintereinander in einen Landtag einzuziehen. Ohne die Bedeutung der NPD über zu bewerten, der Rechtsextremismus in Deutschland findet nicht außerhalb statt, nein, er ist Mitten unter uns. Gerade in einigen ostdeutschen Bundesländern wird die NPD mangels genauer Informationen zu ihren wahren Zielen zunehmend als normale Partei akzeptiert, ja als sinnvolle Alternative zu CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen gesehen. Da dieses offensichtliche Informationsdefizit durch die demokratischen Parteien nur unzureichend geschlossen wird, betreibt der ausgewiesene Experte Patrick Gensing mit dem vorliegenden Buch Angriff von Rechts - Die Strategien der Neonazis und was man dagegen tun kann Aufklärung. Ein Buch, welches für jeden verständlich erklärt, warum diese "Normalität" nicht zu akzeptieren ist.

 

Wer die Ziele der NPD verstehen will, muss eigentlich nur lesen können. In dem bereits 1996 erlassenen und seitdem zumindest nicht offiziell überarbeiteten Parteiprogramm ist in - für die rechtsextreme Szene üblich - einfachen Worten die Absicht der Partei beschrieben. Aktualisiert wurde dieses Programm lediglich in einer 2005 durch den sächsischen Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel verfassten internen "Handreichung", die als Erweiterung des Grundsatzprogramms gilt. Diese beiden Dokumente sowie Landtagsreden, Reden auf Parteiveranstaltungen intensiv auswertend, kann für Gensing die NPD am besten mit dem Begriff "völkisch" umschrieben werden, also die zweifelhafte Symbiose aus Herkunft, Kultur und Volkstum.

 

Ziel der NPD ist ein homogener und autoritärer Staat, der unter Umgehung der Menschenrechte, vor allem der Würde des Menschen, dem deutschen Volke dient. Die Zugehörigkeit zur Gesellschaft, für die NPD das Volk, definiert sich durch Abstammung und Volkstum und grenzt damit einen hohen Prozentsatz der Mitbürger aus. In seiner Programmatik lehnt man sich dabei nicht nur am Nationalsozialismus an, sondern bedient sich auch der zweifelhaften Werte der nationalen Bewegungen der Weimarer Republik ("Neue Rechte"). Bei genauem Lesen des Programms wird deutlich, dass den Mitgliedern, den Angehörigen des "Volkes", im Verständnis der NPD nur Pflichten auferlegt, aber keine Rechte eingeräumt werden. Der propagierte als notwendig erachtete gesellschaftliche Änderungsbedarf wird umschweifend umschrieben. Art und Weise, also die Umsetzung bleibt jedoch im Dunkeln - da überhaupt nicht realisierbar. Wie auch in den heutigen Reden auf Parteiveranstaltungen immer wieder deutlich wird, die NPD jongliert mit falschen Zahlen und Fakten, um unbegründete Thesen zu untermauern, und vor allem auch mit unerreichbaren Forderungen. Das Schlimme daran, viele Mitbürger verkennen diese "Wolkenmalerei" und folgen ungeprüft der rechtsextremen Propaganda.

 

Eigentlich alles das, was unsere demokratisches System so erfolgreich, ja zum "Exportschlager" gemacht hat, wird abgelehnt: Interessensvielfalt, Pluralismus, Wahrung der Menschenrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, um nur einige zu nennen. Für Gensing spielt hierbei besonders der im Sinne des Rechtsextremismus genutzte Begriff des "Ethnopluralismus" eine entscheidende Rolle. Andere Ethnien werden mehr oder weiniger respektiert, sollen aber gefälligst dort bleiben, wo sie herkommen. Obwohl eigentlich die Massenmedien als eines der Sinnbilder für das Moderne abgelehnt werden, instrumentalisiert man vor allem neben der Musik das Internet zu seinen Gunsten. Gerade mittels befreundeter ausländischer Bewegungen kann der jugendliche Internetnutzer mit verfassungsfeindlicher Propaganda überschwemmt werden, ohne strafrechtlich dafür verfolgt zu werden. Durch ihren Aktionsradius, festen nationalen und internationalen Organisationsstrukturen negiert der Autor zu Recht die Tendenz, immer noch verharmlosend nur von lediglich einer rechtsextremen "Szene" zu sprechen. Stattdessen haben wir es richtigerweise mit einer sozialen Bewegung zu tun. Bei aller "Schwarzmalerei" ist dennoch nicht zu verschweigen, dass sich die rechtsextreme Bewegung oftmals selbst im Wege steht, einerseits die Eifersüchteleien versinnbildlicht in dem permanenten Konflikt zwischen NPD und Deutsche Volksunion (DVU), aber auch die NPD internen Kompetenzgerangel und Streitereien um die zweckmäßigste Strategie, die Art und Weise der Nutzung gewaltbereiter Neonazis für eigene Zwecke, verhindern - zum Glück - noch einen nachhaltigen Erfolg.

 

Absicht Gensing ist es, sich durch eine Analyse der Ideologie, der völkischen Weltanschauung, inhaltlich mit dem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen. Nur so sind für ihn die sichtbaren und spürbaren Formen des rechten Spektrums zu verstehen. Anstatt wie viele Politiker nur zu fordern, handelt Gensing.

 

Gensing kritisiert nachhaltig die auch derzeit wieder intensiver werdende Diskussion über ein Verbot der NPD. Dabei, so der Autor sollte man gänzlich auf den Einsatz von Verbindungs-Person (V-Leute) verzichten, um ausreichendes Belastungsmaterial zu sammeln. Rein das genaue Lesen (von zum Beispiel Parteiprogrammen und Denkschriften) sowie ein genaues Zuhören (beispielsweise von Äußerungen von Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitiker der NPD) würden ausreichen, um die NPD wegen Volksverhetzung oder aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen zu verbieten. Offen stellt sich die NPD gegen die Werte unseres Grundgesetztes und beabsichtigt ihre Vernichtung. Die gegenwärtigen Gesetze sind völlig ausreichend, man müsste sie nur konsequent anwenden, statt permanent eine Gesetzesverschärfung oder neue Gesetze zu fordern.

 

Die Propaganda der NPD basiert, sowohl zu aktuellen Themen wie Arbeitslosigkeit, vermeintlicher "Ausländerschwemme", aber auch zu historischen Zusammenhänge der die Weimarer Republik, aber vor allem den Nationalsozialismus betreffen, auf völlig falschen Daten und Fakten. Hier wäre eine intensivere (Gegen-)Informationspolitik der demokratischen Parteien gefordert, aber auch der Bürger ist aufgefordert wo und wann immer möglich die Quellen (die es oftmals gar nicht gibt) zu hinterfragen. Das "Problem" ist ursächlich nicht die NPD, sondern die Bürger, die sie wählen. Hier muss eine noch bessere Überzeugungsarbeit geleistet werden. Auch sind die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Aktionen/Initiativen gegen den Rechtsextremismus (Ausschluss von Wahlen, Sperren von Internetseiten, Demonstrationsverbot) besser zu koordinieren, eine einheitliche Strategie ist derzeit für den Bürger nicht zu erkennen. Ebenso die sogenannten "weichen Faktoren" sind zu bekämpfen, wie etwa die schlechte Integration von Migranten oder die Aussage mancher Politiker der demokratischen Parteien zu ausländischen Arbeitnehmern, straffällige Ausländer, die letztendlich nur Nährstoff für die rechtsextreme Propaganda liefern. Aufgrund des unterschiedlichen Ausprägungsgrades des Rechtsextremismus gibt es nicht das "eine" Gegenmittel. Hier ist durch die Politik noch individueller zu differenzieren.

 

Die NPD ist die älteste und derzeit die erfolgreichste rechtsextreme Partei in der deutschen Parteienlandschaft. Auch gelingt es ihr, entgegen den Trend, bei den demokratischen Parteien durch gezielte Nachwuchswerbung sinkenden Mitgliedszahlen und vor allem einer Überalterung zu trotzen. Für das Verständnis der Ziele und Strategien der rechtsextremistischen Bewegung mit der NPD an ihrer Spitze, ist das vorliegende Buch ein unverzichtbarer Bestandteil.

 

Gensing ist aufgrund seines persönlichen Erfahrungsschatzes ein Meister darin, das Thema nicht auf eine Ansammlung ideologischer Thesen und Aufzählung öffentlichkeitswirksamer rechtsextremistisch motivierten Aktionen zu beschränken, sondern dem Leser in einer spannenden Darstellung die äußeren Umstände, den Antrieb sowie die Motivation der rechtsextremistischen Bewegung ganzheitlich vor Augen zu führen. Obwohl die NPD eine vergleichsweise kleine Partei ist, die weit davon entfernt ist eine homogene und in ihren Aktionen abgestimmte Politik zu machen, warnt der Autor zu Recht vor einer Verharmlosung der rechtsextremistischen Bewegung. Der Systemkampf in den ostdeutschen Provinzdörfern hat begonnen, ja wurde vereinzelt schon gewonnen. Aber auch in westdeutschen Kommunen beginnt man sich zu etablieren - noch belächelt und unterschätzt von den demokratischen Parteien. Und wo bisher der Einzug in Stadtparlamente mit demokratischen Mitteln, sprich Wahlen, versagt bleibt, führt man zunehmend den "Kampf um die Straße".

 

Die rechtsextreme Einstellung vieler Bundesbürger ist weit höher als ihr rechtsextremes Verhalten, das sich in Wahlen äußert. Wollen wir hoffen, dass sich daran nichts ändert. Die NPD gibt den Bürgern einfache Antworten auf komplexe Fragen. Das jedoch die Antworten auf keine oder falschen Fakten beruhen hinterfragen die Wenigsten.

 

Fazit: Ein Buch welches aufgeklärt und auch hinsichtlich von Rezepten zur Bekämpfung der Symptome des "Angriffs von Rechts" keine Fragen offen lässt.

 

Andreas Pickel

4 Sterne
4 von 5

© 2009 Andreas Pickel, Harald Kloth