Rolf Dobelli

35 Fünfunddreissig

Eine Midlife-Story

Die Ehre, als erster die kollektive Autobiographie einer Generation verfasst zu haben, gebührt zweifellos Florian Illies mit Generation Golf. Den Weiterdreh in Generation Golf II hingegen verpatzte er leider völlig. Die von Illies definierte Generation, mittlerweile im Alter von Mitte dreißig, dürfte sich eher hier, im gelungenen und hinreißenden Debütroman von Rolf Dobelli wiederfinden.

 

Der Roman handelt vom erfolgreichen Marketing-Chef Gehrer, der als Belohnung zur Fortbildung nach Harvard geschickt und an seinem 35. Geburtstag mit seinem Diplom zurückerwartet wird. In der Firma wartet man, die Sekretärin hat den Sekt bereits kalt gestellt und das obligatorische kalte Büffet wartet auf seine Abnehmer; doch Gehrer sitzt allein auf einer eiskalten Bank am verregneten, winterlichen Zürcher See, lässt sein Leben Revue passieren, zieht Bilanz, hält einen einsamen, fast unglaublich ehrlichen inneren Monolog.

 

Was hat man in einem erfolgreichen Leben mit 35 alles erreicht? Kann da noch irgendetwas kommen? Gehrer weiß zum ersten Mal, dass kein Leben vollkommen sein kann, es sei denn das in den naiven Köpfen der Jugend - heißt es im Roman, der über weite Strecken schwermütig wirkt, aber sehr ehrlich, offen ist.

 

"Die vermeintliche Höchstform mit 35" für einen Arbeiter oder Handwerker ist es augenfälliger: Der Jüngere legt die Platten schneller, hat einen Lastwagen voller Zementsäcke schneller abgeladen. Er, der 35jährige, tut dann so, als hätte er es nicht mehr nötig zu spurten. Er kann dann auch mal eine Runde daneben stehen. Das nimmt ihm der Jüngere auch nicht übel. Nur merken es beide, dass der Ältere jetzt schneller außer Atem kommt. Es bleibt alles leider kein Geheimnis.

 

Das Buch enthüllt scharfzüngig und poetisch zugleich das Lebensgefühl einer Generation, der zum ersten Mal bewusst wird, dass die Polizisten, die einen kontrollieren, und die Piloten, die das Flugzeug in den Urlaub steuern, jünger sind, als sie selbst. Vielleicht ist es auch bald der eigene Chef ...

 

Rolf Dobelli konfrontiert raffiniert, leise aber gnadenlos mit der Quarterlife-Crisis der zwischen 1965 und 1975 Geborenen, die gewaltsam durch die Wirtschaftskrise und den 11. September aus ihrem Schönheitsschlaf gerissen wurden - glasklar analysiert, brillant formuliert und geschrieben, scharfsinnig und poetisch zugleich.

 

Aber bitte Vorsicht, denn wie schon gesagt, es könnte gut sein dass sie sich in diesem treffenden und unterhaltsamen Buch selbst wiederfinden - und gerade deswegen sollten Mann und Frau dieses Buch unbedingt lesen.

 

Fazit: Ich kann dieses Buch wirklich wärmstens empfehlen!

 

Wolfgang Gonsch

4/5 Sterne
4/5 von 5

 © 2003 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth