Amélie Nothomb: Böses Mädchen

Roman

Zürich ; Diogenes ; 2006 ; 144 Seiten ; ISBN 978-3-257-23552-4

Buchcover Amélie Nothomb Böses Mädchen
Copyright © Diogenes Verlag

 

Die Ich-Erzählerin Blanche studiert an der Universität im Brüssel. Sie kommt aus einer anständigen Familie, beide Eltern sind Lehrer, konservative normale Leute. Ihre Tochter Blanche ist still, brav, unauffällig und schüchtern. Als Einzelnkind ist sie allein sein gewohnt, nun als Teeneger ist bei ihr das Bedürfnis nach austauschen groß. Sie sehnt sich nach einer Freundin. Neidisch verfolgt sie die Cliquen, die ständig zusammen hocken, lachen, feiern, ausgehen. Nicht aber Blanche. Ihr bleiben nur verstohlene Blicke und der große Wunsch, eines Tages dazu zu gehören.

 

In der Universität entdeckt sie Christa, eine selbstsichere, lustige und dominierende Person. Sie ist die Chance ihres Lebens. So eine Freundin zu haben wäre ein Traum! Für Christa bleibt dieses Interesse nicht verborgen, sie spricht Blanche an, freundet sich mit ihr an, lernt ihre Eltern kennen und zieht sogar in Blanches Zimmer ein. Aus dem Traum wird bald eine Qual. Denn Christa entpuppt sich als eine Schwindlerin und Intrigantin mit schauspielirischem Talent. Sie erpresst und missbraucht Blanche, verändert vollkommen ihr Leben, macht es für Blanche unerträglich und treibt sie zum Wahnsinn.

 

Zwei verschiedene Welten prallen auf einander. Auf der einen Seite die ruhige, bescheidene und unbefangene Blanche mit ihrem Streben nach Anerkennung und Liebe, mit ihrer Naivität und Leichtgläubigkeit, auf der anderen Seite die machtgierige, eingebildete und unverschämte Christa mit ihrem Drang nach Manipulieren und Verachtung der Menschen, das klassische böse Mädchen. Christa hat Blanche nicht als Mensch gesehen, sie hat deren Problem - das allein sein - erkannt und sie ganz raffiniert zu ihrem Werkzeug gemacht. Blanches Familie war für sie bequem: Sie hatte ihr Essen und ein Bett, gewaschene Wäsche und musste dafür nicht mehr tun, als Blanche in der Öffentlichkeit als angebliche Freundin zu präsentieren. Natürlich war die gleichaltrige Christa ihr geistig weit voraus.

 

Obwohl Blanche ziemlich schnell klar wird, mit wem sie es da zu tun hat und sie Christa und ihr Doppelleben durchschaut, kann sie sich ihr und ihren Forderungen nicht widersetzen. Blanche ist zu schwach, zu brav, ohne Initiative und Widerstand.

 

Der Durchbruch kommt erst als Blanches Eltern von Christa in ihren Bann gezogen werden, ihre eigene Tochter fast verraten und die Absichten der falschen Christa nicht erkennen. Da ist bei Blanche die Grenze erreicht. Sie liebt ihre Eltern und will sie nicht durch diese an, bekommt Beweise, dass Christa falsch ist und stellt sie bloß. Die Eltern sind entsetzt und schlagen auf die Seite ihrer Tochter.

 

Die Familie hat wieder ihren Frieden. Und Blanche? Wie steht es mit ihr? Was bleibt ihr nach dieser Erfahrung, welche Erkenntnis nimmt sie mit auf ihren Weg in die Welt der Erwachsenen? Wessen Wille soll nun geschehen? Das bleibt dem Leser überlassen.

 

Blanche kämpft nicht nur mit Christa, sondern mit sich selbst, mit ihrer eigenen inneren Welt, die von Widersprüchen fast zu platzen droht. In ihrem Innern hat sie zwei Stimmen, die sich ständig widersprechen, dadurch hasst sie sich selbst bis zum Exzess. Damit hat sie ein für Teenager typisches Problem.

 

Die Sprache der Autorin ist einfach, klar und kurz, kommt einem manchmal zu knapp vor, aber die Reduzierung auf das Wesentliche sorgt für Spannung.

 

Fazit: Lesen, wer mehr über böse Mädchen erfahren will.

 

Ludmila Hück

3 Sterne
3 von 5

© 2006 Ludmila Hück, Harald Kloth, Cover: Copyright © Diogenes Verlag

 

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