Andreas Eschbach: NSA

Gelesen von Laura Maire

Köln ; Lübbe Audio ; ISBN 978-3-7857-8036-7

3 MP3-CDs, 1332 Minuten, 424 Tracks, Ungekürzte Lesung

 

Weimar, 1942, in einer alternativen Zeitlinie.

Die junge Helene Bodenkamp gewinnt in ihrer Abschlußklasse einen Schulwettbewerb. Dadurch wird sie nach Ende der Schulzeit durch das Nationale Sicherheits-Amt (NSA) angeworben. Ihr macht es Freude, als sogenannte Datenstrickerin analytisch zu arbeiten. Ihre Aufgaben erledigt sie mit Bravour, moralische Fragen stellen sich für die junge Frau zuerst nicht. Sie ist froh, durch ihren Beruf dem Einfluss der gutsituierten Eltern entfliehen zu können. Diese würden Helene am Liebsten verheiraten, wie es sich für eine deutsche Frau im Dritten Reich gehört.

 

Eine zufällige Liebelei mit dem jungen Arthur wird ihr Leben grundlegend verändern. Arthur flüchtet als deutscher Soldat vor den Kriegsgreul und vertraut sich Helene an. Fortan versorgt sie den Fahnenflüchtigen in seinem Versteck, einem Bauernhof. Gleichzeitig bekommt sie aber an ihrem Arbeitsplatz, dem NSA, den Auftrag durch die Erstellung von ausgefeilten Programm- und Überwachungsroutinen Juden, aber auch Fahnenflüchtige und sonstige Regimefeinde, zu finden. Für Helene beginnt ein fast unlösbarer Konflikt und Alptraum.

 

Die zweite Hauptperson in diesem Roman von Andreas Eschbach ist Eugen Lettke. Nach außen hin ist dieser ein perfekter Nazi. In Wirklichkeit durchschaut er die krude Ideologie, nutzt sie aber für seine persönlichen Zwecke. In ihm sitzt ein tiefgehender Hass auf Mitschüler, die ihn als Jugendlicher gedemütigt hatten. Sein Aufstieg im NSA ermöglicht es ihm nun, seine langgehegten Rachepläne gegen die Gruppe in die Tat umzusetzen. Mit Folgen, die ihn nicht nur zur schrecklichsten Waffe der Welt führen werden, sondern auch zu einem persönlichen Treffen mit Adolf Hitler ...

 

Alternativweltgeschichten sind eines der interessantesten Sujets in der Science Fiction. Das Spiel mit Zeitebenen oder kleinen Veränderungen, die dann große Ereignisse auslösen, regt die Leserschaft zum Nachdenken über das "Was wäre wenn ... ?" an. "Der grosse Süden" (Heyne, 2001) von Ward Moore beschreibt z. B. einen Sieg der Südstaaten im Sezessionskrieg. Andere Geschichten beschreiben "Wenn Napoleon bei Waterloo gewonnen hätte", "Alexanders langes Leben" oder "Stalins früher Tod" (alle erschienen bei Heyne, 1999). Auch die NS-Zeit ist immer wieder Thema dieser Gedankenspiele. So schickte Robert Harris in "Vaterland" einen Kriminalpolizisten auf Verbrecherjagd in einem Deutschen Reich des Jahres 1964 (mit Rutger Hauer in der Hauptrolle verfilmt). Oder Philip K. Dick beschreibt einen, von Nazideutschland und Japan besetzen, nordamerikanischen Kontinent im Jahre 1962 in seinem Roman "Das Orakel vom Berge" (als "The Man in the High Castle" als Serie verfilmt). Mit der Besetzung Großbritanniens spielt z. B. Len Deightons Roman "SS-GB" (mit Sam Riley als Miniserie verfilmt).

 

Andreas Eschbach ("Das Jesus-Video", "Eine Billion Dollar", "Blackout") ist ein begnadeter Erzähler. Man fühlt und fiebert mit der Protagonistin Helene mit. Eschbachs Roman ist zugleich auch spannende Coming-of-Age-Geschichte in einer alternativen Welt, in der kein Platz mehr für die Liebe vorgesehen scheint (ganz ähnlich George Orwells "1984"). Die Verwendung von Begriffen wie Datenstrickerin (Programmiererin), Deutsches Forum (Internetforum), Elektrobrief (E-Mail) oder Weltnetz (Internet) fügt sich perfekt in das Buch ein. Sie wirken heute aus der Zeit gefallen und doch modern. Eschbach nimmt reale Überwachungstechniken und stellt diese in den Dienst einer skrupellosen, faschistischen Machtelite.

 

Die Sprecherin Laura Maire liest dieses Hörbuch grandios. Scheinbar mühelos wechselt sie die Personen und erweckt diese für den Hörer glaubhaft zum Leben. Feine Nuancen in ihrer Betonung geben den Charakteren Lebendigkeit und erzeugen Spannung. So muss Hörbuch sein!

 

Fazit: Wissen ist Macht ... das Dritte Reich als moderner Überwachungsstaat. Spannend erzählt von Andreas Eschbach und überragend gelesen von Laura Maire.

 

Harald Kloth

5 Sterne
5 von 5