Lisa Taddeo: Three Women - Drei Frauen

München ; Piper ; 2020 ; 415 Seiten ; ISBN 978-3-492-05982-4

 

„Bei Männern geht es nicht allein ums Wollen. Es geht ums Brauchen“ – hm, für jemanden, der normalerweise Rezensionen zu historischen und zeitgeschichtlichen Publikationen verfasst, mag es etwas ungewöhnlich und vielleicht auch nicht ganz einfach sein, das kürzlich im deutschsprachigen Raum erschienene Buch „Three Women“ zu rezensieren. Aber da ich grundsätzlich an anderen Genres interessiert und auch offen gegenüber allem Neuen bin, hat das Buch nach einem gelesenen Interview mit der Autorin mein Interesse geweckt.

Vereinfacht gesagt geht es darum, die unterschiedlichen Arten und Formen von sowie Vorstellungen über das Begehren bei Männern und vor allem Frauen aus Sicht von drei Frauen tiefer zu ergründen. Um es vorwegzunehmen, ich war von dem Gelesenen sehr überrascht. Gerade in Zeiten der „Me Too“ Diskussionen wäre zu erwarten gewesen, dass sich ein derartiges Buch im weitesten Sinne mit „männerverursachter“ sexueller Belästigung, Ausleben der männlichen Machtposition in Beruf und Privatleben gegenüber der Ehefrau, Partnerin, Freundin oder auch Kollegin beschäftigt. Aber bei näherem Hinsehen weit gefehlt: Es geht eigentlich darum, wie sich Frauen grundsätzlich selbst durch ihr Verhalten in eine derartige, verständlicherweise missliche Lage bringen, wie Frauen zu einer fremdbestimmten Person werden, zu einer Person für sexuelle Sehnsuchtsbefriedigung und wie das Auswirkungen auf ihre eigenen Sehnsüchte hat.

Taddeo beschreibt anhand von drei Frauen, Maggie, Sloane und Lina, alle geprägt von komplizierten Beziehungen, wie menschliches Begehren fast bis zur physischen und psychischen Selbstaufgabe führen kann. Die Autorin hat die drei Frauen über 8 Jahre begleitet und interviewt, um ein alle Einflüsse, wie z.B. das Elternhaus und Erziehung, einbeziehend möglichst authentisches und widerspruchsfreies Bild ihrer Protagonistinnen wiedergeben zu können. Ausgesucht hat sie gerade jene drei Frauen, weil diese offen und unverblümt über ihre Geschichte erzählen wollten, ihre ganz persönliche Geschichte sie emotional immer noch zutiefst berühren und in ihrer weiteren Lebensgestaltung belasten. Die Erlebnisse der drei Frauen wechseln sich in den Kapiteln ab und sind inhaltlich wie zeitlich komplett unterschiedlich. Inspiriert zu dem Buch wurde die Autorin schon sehr früh in ihrer eigenen Familie durch die sexuellen Aktivitäten ihrer Eltern. Taddeo beschreibt diesbezüglich das Verhalten ihrer Mutter so, als wäre ihre Sexualität nur ein schmaler Pfad im Wald, einer dieser unmarkierten, die dadurch entstehen, dass irgendjemand mit Stiefeln das Gras niedertrampelt. Und dieser Jemand war ihr Vater.

Da ist zunächst einmal Sloane, eine Restaurantbesitzerin, die sich selbst als „edel, unanständig und anders “ bezeichnet. Sie hat Sex mit wechselnden Partnern, die ihr Mann aussucht, egal ob männlich oder weiblich. Oft ist ihr Mann bei einem „Threesome“ mit dabei, aber auch genauso oft ist sie alleine mit einem Mann, einer Frau oder auch zu Dritt. Mit Frauen sind für Sloane flüchtige Beziehungen vorhersehbarer. Selbst wenn es mit Frauen stressig wird, bleibt da immer eine gewisse verlässliche Basis. Sie rufen häufiger an, antworten ebenso schneller als Männer.

Bei sexuellen Abenteuern ohne ihren Mann gibt es eine einzige Auflage: Sloane muss ihrem Mann quasi live von den sexuellen Akten berichten. Das Wichtigste hierbei ist für sie Achtsamkeit. Auch wenn der Mann eine andere Frau befriedigt, geht es darum, SIE scharf zu machen und nicht die andere Frau. Selbst wenn er Sex mit einer anderen Frau hat, muss er in Gedanken ausschließlich Sex mit Dir haben. Jeder Stoß geht durch diese Frau hindurch und in dich hinein. Sie selbst bezeichnet sich auch als viel zu edel, dies als „Swinging zu beziehen. Sloane hat dabei stets das Gefühl, „…den Körper eines Menschen zu bewohnen, den sie nicht ganz verstand. Zum Teil hatte sie Angst, keine Identität zu haben …“. Deshalb machte Sloane schon immer Dinge, die entgegen ihrem Wesen sind, auch, um vor anderen zumindest nicht langweilig zu wirken … und sie fühlte sich dann herzlos verdorben und kalt.

Als Jugendliche hatte sie paar Freundinnen, ein oder auch zwei Klassen über ihr, die hemmungslos durch die Gegenden vögelten und sie fragte sich, ob sie das auch tun sollte. Bekam sie ein klareres Image, wenn sie als sexuell aktiv gesehen wurde? Um sich von den anderen abzugrenzen verwandelte sie sich von dem „Popular Girl Sloane“ zu einem „Superdünnen Party Girl“. Sie verschrieb sich dazu selbst eine Essstörung, denn neben all den anderen heiß aussehenden, verführerischen und coolen Mädchen war die Rolle der Dünnsten noch frei. Nach der Kontrolle über ihr Essverhalten übernahm sie nun nach und nach auch mehr die Kontrolle über ihre ganz persönliche Geschichte. Sie wird durch „Shades of Grey“ und die nachhaltige Wirkung, die diese Bücher auf sie machten, verändert. Sie redet sich ein, dass sie durch ihr unanständig und anders sein ein prinzipiell cooles Leben führt. Erst als sie mit Wes, dem Koch in ihrem Restaurant einen mehr oder weniger festen Partner für ihre Ménage-à-trois fand, wurde es zwar sinnlich, sehr prickelnd sogar, aber auch komplizierter. Bei ihm fand sie wie bei ihrem Mann Schutz und Trost, fühlte sich alles mehr nach heißer Liebe als nur nach kaltem Sex an. Sie spürte die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte… sie kannte das Gefühl explosiver Lust. Sie war auf Betten geschmissen worden und hatte sich zur gleichen Zeit in der Kirche und in der Hölle geglaubt. Dieses Gefühl von Liebe, wenn sie ihn spürte, war neu.

Ihr ganzes Eheleben lang schon denkst sie sich: Du bist die Frau, Du solltest die Macht haben, aber letztendlich ist es doch immer umgekehrt. Als sie dann schließlich von Jenny, der Frau von Wes, zur Rede gestellt wird, wird sie nachdenklich über ihr ach so „cooles“ Leben. Sie wollte, ja wollte, ihr alles erzählen, wie es dazu gekommen ist, dass sie mit deren Mann lange Zeit heißen Sex hatte. Sie wollte ihr auch erzählen, dass sie als Kind ein Himmelbett in einem großen schönen, rosa Zimmer gehabt hatte. Sie wollte ihr sagen, von außen hätte in ihrem Leben alles absolut perfekt ausgesehen. Ja „hätte“ und „wollte“, also mehr Schein als Sein.           

Die zweite „Problemfrau“ ist Maggie, Mitte 20, die als Minderjährige eine Affäre mit Aaron, ihrem verheirateten Lehrer hatte. Dieser nutzte ihre Naivität und „Anhimmelei“, wie man sie auch bei uns zwischen Schülerin und Lehrer oft kennt, für seine sexuellen Bedürfnisse aus. Maggie bringt ihn schließlich Jahre später wegen Verführung Minderjähriger vor Gericht bringt. Aber eigentlich auch nicht deswegen, sondern man vermutet ebenso ein wenig aus Rache, weil er irgendwann der Familie wegen den Kontakt zu ihr abbrach, obwohl sie felsenfest davon überzeugt ist, dass er sie liebt, begehrt, sie die richtige für ihn wäre.

Manche Leute leben gerade so, als würden sie noch eine zweite Chance auf ein anderes Leben bekommen, um cool oder reich zu werden oder dann auch immerzu guten Sex zu haben. Deshalb kann man sich im jetzigen Leben auch ein wenig hängen lassen. Da Maggie aber als Katholikin nicht an mehrere Leben glaubt, ist sie fest entschlossen, jetzt und in diesem Leben alles zu durchleben. Sie ist unsterblich in ihrem Lehrer verschossen. „Er sieht schicker aus als sonst im Unterricht und trägt auch mehr Parfum. Sein Lächeln haut sie um…“. Um ihn zu erobern, weiß sie, dass sie Frau und Kind zugleich sein muss, und braucht ihre ganz Energie, um beide Rollen zu erfüllen. Auch wenn sie im Grunde von Beginn an Angst vor dem Ende dieses kurzen „Trips“ hat, kann sie nicht anders. Die Liebe zu ihrem Lehrer vermengt bei ihr komplett Fantasie mit Realität. Sie suggeriert, er würde sie immer lieben, wenn er den Rasen wässert, stellt sie sich vor, die Pfeilbäche wären seine Tränen.

 

Er wiederum stellt sich in ihrer Gedankenwelt vor, sie ist da, lebt im Boden, streckt ihre kleinen Hände zu ihm rauf und streichelt seine älter werdenden Knochen. Den Prozess vor Gericht verliert sie schließlich, weil die Geschworenen ihr keinen Glauben schenken. Dabei wird auch hintergründig, aber doch relativ deutlich darauf abgespielt, wie sehr unsere Gesellschaft sich von Äußerlichkeiten beeinflussen lässt, anstelle objektiv und sachlich zu bleiben. Als zB Marie, die Frau des Lehrers, in den Zeugenstand tritt, kritisiert Maggie innerlich wie sich Marie für ihren Auftritt herausgeputzt hat, nur um gegenüber den Geschworenen den Eindruck zu hinterlassen, nicht die sich vernachlässigende Frau war der Grund für den Fehltritt. Frauen, die irgendwann nicht mehr auf ihr Äußeres achten, seien selbst schuld, wenn ihre Männer sie verließen.      

Zuletzt geht es in dem Buch um Lina, Hausfrau, einst in der High-School vergewaltigt und nun extrem unglücklich verheiratet. Sie wird von ihrem Mann zwar geliebt, aber diese Liebe ist sehr zu ihrem Leidwesen komplett platonisch. Nicht mal geküsst wird sie von ihm, geschweige denn kann sie mit ihm ihre Sehnsucht nach Kuscheln und Schmusen befriedigen. So beginnt sie eine Affäre mit Aidan, ihrem verheirateten Ex-Freund, dem sie sexuell hörig wird. Dieser befriedigt sie zumindest körperlich, auch wenn er sie emotional in der Kälte stehen lässt.

Für Lina gibt es zwei Amerikas, sinnbildlich für zwei Gesellschaften: In den wichtigsten und größten Bereichen, die im Rampenlicht stehen, regieren die Männer, in Momenten, die nie im Fernsehen zu sehen sein werden Frauen. Selbst wenn Frauen sich positionieren, müssen sie es auf die richtige Art tun. Sie müssen in den richtigen Dosen weinen und hübsch aussehen, hübsch aber auf keinen Fall heiß. Selbst wenn Frauen Gehör finden, müssen es die „richtigen“ Frauen sein, damit man(n) ihnen zuhört: Weiße Frauen - Reiche Frauen - Schöne Frauen - Junge Frauen - Am Besten all das in einem.       

Aber auch die Gedankenwelt von Frauen untereinander wird überspitzt dargestellt. Bezeichnend dafür ist jene Situationsbeschreibung, als Lina als strenggläubige Katholikin in einer Frauengesprächsgruppe erzählt, sie hat eine Affäre. Spontan denken die anderen Frauen der Gruppe: So ein kleines Flittchen … Wie konnte ich nur Mitleid mit ihr haben? … So hübsch ist sie gar nicht … so viel zum Thema katholisch … Hoffentlich ist es nicht mein Mann … Mein Mann hat eine andere … ich bin in meinen Physiotherapeuten verliebt…“

Aidan, ihre Affäre ist ein Mann, der andere Frauen eher anekeln anstelle anmachen würde: Er raucht, hat einen Bierbauch, trinkt Dosenbier, und trotzdem hat sein Atem immer diesen Geruch, den Lina inzwischen mit purer Lust verbindet. All diese Jahre hat sie beim Geruch von Michelob Light, diesem scharfen Geruch von Leichtbier aus der Dose, wie ein „Pawlowscher Hund“ immer ein Kribbeln zwischen den Beinen gespürt. Nur mit Aidan baut sie Intimität, den Zustand tiefster Vertrautheit auf. Sie schickt ihm „Nacktselfies“, nur und exklusiv für ihn, denn für sie ist jeder, der nicht ihr geliebter Aidan ist, ist wie „Seepocken am Fuß“ – einfach lästig. Sie genießt jeden noch so kurzen Moment mit ihm, redet sich ein, eine halbe Stunde für kurzen aber intensiven Sex hätte eine Ewigkeit gedauert. Küsse mit Aidan sind die unglaublichsten Küsse ihres Lebens, so sehr dürstet sie nach etwas körperlicher Liebe. Aber nach kurzem Sex muss sie dann immer wieder loslassen, auch wenn der „mentale Kater der Sehnsucht“ unbändig groß ist. Sie ist überzeugt, dass der Wunsch von dem Menschen begehrt zu werden, den man gerade für den allerattraktivsten hält, ein elementarer Trieb des Menschen ist.        

Das Buch ist wirklich sehr sehr offen geschrieben und beginnt mit den ersten sexuellen Erfahrungen der drei Frauen, die sehr unterschiedlich waren und das spätere Liebensleben sehr beeinflussten. Alle drei Frauen berichten nicht über die „perfekten Affären“, Freundschaften oder Beziehungen, sondern im Gegenteil durchweg über negative Erlebnisse. Doch wie so oft an anderen Stellen des Lebens, aus Fehlern kann man lernen, negative Erfahrungen machen einen noch reicher und die nächsten Male damit umso erfüllender – nur hat man das Gefühl, das geht hier an den Frauen vorüber. Die Liebe ist ein auf und ab, mal Genuss, aber auch mal Leiden, nur hier ist es eher ein Dauerleiden. Sprachlich ist das Buch ein Genuss! Allerdings nur für denjenigen, der weder sensibel ist noch derzeit in einer unglücklichen Beziehung lebt. Sätze und Gedanken wie „… Sie würde einem guten Bekannten am Liebsten sagen, dass er ein alter Widerling ist. Um dem Sex mit ihm zu entgehen, hat seine Frau bestimmt so oft Kopfschmerzen wie keine andere in der Geschichte des wachsenden Verlangens…“ gibt es Zuhauf in dem Buch.

Ich war selten so hin- und hergerissen, wie ich ganz persönlich das Buch bewerte. Ist es lediglich ein aufsehenerregendes Buch, effektheischend, die Verkaufszahlen steigernd, so nach dem Motto „Sex sells“? oder will uns die Autorin wirklich anhand der drei Beispiele, anhand von „three women“ nahebringen, wen und was Frauen wie begehren, was sie dabei fühlen, wie sie was genießen und andersherum auch verabscheuen. Ich denke, es ist von allem etwas. Das Buch hinterlässt viele Fragezeichen, fesselt aber auch irgendwie. Man erkennt nur schwer, was ist real so passiert, was ist vielleicht in der Nacherzählung oder Niederschrift erfunden, bewusst oder unbewusst, und ergänzt worden. Wurden die teils krassen Beschreibungen von Liebeszenen und Gefühlen so von den Protagonistinnen erzählt, können sie sich seit teils Jahren dazwischen wirklich noch an jeden Geruch erinnern oder hat es die Autorin stilistisch so „ausgeschlachtet“? Ist das alles noch authentisch wiedergegeben oder einfach nur übertrieben. Trotzdem will man das Buch kaum aus der Hand legen, weil man immer wissen möchte, wie es mit den einzelnen Geschichten weitergeht und, ja, schließlich auch endet.

 

Es stellt sich mir allerdings die Frage, wie man das Begehren von Frauen erläutern kann, noch dazu, so auch der Anspruch des Buches, dass wir Männer das verstehen, wenn alle drei Frauen sich in einem Abhängigkeitsverhältnis eines Mannes befinden, in keiner Phase ihres Lebens das Heft in der Hand haben, selbstbestimmt sind, sondern die Getriebenen sind? Maggie wird in ihrer jugendlichen Naivität ausgenutzt, Sloane redet sich nur ein, ihr würde das alles gefallen, was ihr Mann von ihr verlangt und Lina wünscht sich geliebt zu werden, zu schmusen und zu kuscheln und erniedrigt sich stattdessen für kurzen eher lieblosen Sex nach der Regie ihrer Affäre. Es wird nicht so richtig plausibel erklärt, warum diese Frauen so in die Abhängigkeit getrieben wurden oder ist es das, was Frauen begehren?!? Würden sie es wieder tun oder ihr Leben anders gestalten, empfinden sie Reue oder Rache? Was kann man aus den Erzählungen verallgemeinern oder was sind wirklich die sogenannten persönlichen Einzelschicksale? Schwierig, dazu aus den Erzählungen Antworten herauszulesen.

 

Der Roman ist wirklich gut zu lesen, mit teils augenöffnenden Aussagen, oft humorvoll aber auch genauso oft traurig stimmend. Als Sachbuch, was wohl der Anspruch war, mit allgemeingültigen Erkenntnissen, ist das Buch eher ungeeignet. Alle Frauen stehen ohnmächtig dem gegenüber, was mit ihnen passiert, erleiden permanente psychische Schmerzen und enden anstelle mit dem, was ihre Sehnsüchte erfüllen sollen, im totalen Frust. Taddeo steht durch die langen Jahre der Begleitung zu sehr im Leben der Protagonisten, etwas mehr Distanz wäre für einige analytische Aussagen notwendig gewesen. Da sollte sich doch jeder lieber ein eigenes Bild von den Frauen, von seiner Frau oder Partnerin und deren Begehren machen.  

 

Fazit: Hinterläßt viele Fragezeichen, fesselt aber auch.

 

Andreas Pickel

3/4 Sterne
3/4 von 5

© 2020 Andreas Pickel, Harald Kloth