Roman
Hamburg : Hoffmann und Campe ; 2018 ; 282 Seiten ; ISBN 978-3-455-00143-3
Wer kennt das nicht nach einigen Ehejahren: die Frau sagt etwas, der Mann guckt ungläubig, versucht die Botschaft des anderen Geschlechts, des „Wesens vom anderen Stern“ zu verstehen, antwortet
schließlich anderslautend wie erwartet, anfangs eher verlegen und trifft noch dazu den falschen Ton. Schließlich bricht ein Streit aus und keiner kennt so richtig die Ursache! Aber auch abseits
von Ehe und Partnerschaft kommt es selbst in besten und jahrelangen Freundschaften immer wieder mal zu Missverständnissen zwischen Mann und Frau, die man sich eigentlich nicht erklären kann. Wenn
man(n) meint, endlich den „Dreh“ bei Frauen heraus zu haben, man(n) glaubt, eine Frau mit all ihren Macken zu verstehen, dann kann in einer vergleichbaren Situation dieselbe Reaktion bei einer
anderen Frau schon wieder grundverkehrt sein. Diesem Phänomen geht die schwedische Autorin Lina Wolff in ihrem sehr gelungenen Roman „Die polyglotten Liebhaber“ auf den Grund. Dabei geht es Wolff
um Devotion, Altruismus und die Ausübung einer von Egoismus getriebener männlicher Macht über die Frauen, aber vor allem auch um Frauen, die alles andere als wehrlos wirken, sondern wissen, sich
körperlich und sprachlich für manch erlittene Erniedrigung zu rächen.
Roter Handlungsfaden in dem Buch ist ein Manuskript des Schriftstellers Max Lamas mit dem Titel „Die polyglotten Liebhaber“. Das Manuskript ist der Versuch, die Sehnsucht eines Mannes
wiederzugeben, das andere Geschlecht zu verstehen. Der Versuch endet letztendlich aber in einem frauenverachtenden Buch. Die Angebetete ist eine junge, optisch sehr ansprechende Frau, die alle
Sprachen von Lamas spricht – insgesamt elf. Über dieses Sprach(enverständnis), so Lamas, wäre dann eine unbeschreibliche Harmonie und lustvolle Beziehung zwischen Mann und Frau möglich. Um diesen
Roman schlängeln sich nun drei zunächst unterschiedliche Erzählstränge von einer gewissen Ellinor, eben Max und von Lucrezia, die Enkelin der Frau, bei der sich Max Lamas in Italien einnistet, um
seinen Roman zu schreiben. Ellinor aus einem Dorf in Südschweden kommend, scheint eine burschikose Frau zu sein, die sich auch mal prügelt und nicht unbedingt „Sex von der Stange“ liebt. Über ein
Dating-Portal lernt sie Calisto Rondas, einen äußerlich wenig ansprechenden Literaturkritiker kennen. Dieser lockt Ellinor in sein idyllisch gelegenes Haus am Meer. Aber sie merkt schon bald,
dass Calisto durch seine gewaltbreite Vorstellung von Sex wenig Sinn für Idylle hat. Eben jener Calisto besitzt das einzige Exemplar des Manuskripts von Max Lamas, um es zu rezensieren. Ellinor
nun, nach einer vergewaltigungsähnlichen Sexnacht eigentlich angeekelt von Calisto, entschließt sich mit ihm zusammenzuleben. Einerseits, und das gilt für Beide, um vielleicht einer drohenden
Einsamkeit zu entgehen (Calisto hatte zuvor seine große Liebe verloren), andererseits, um herauszufinden, welche Geheimnisse aus der Vergangenheit diesen so an diesem Manuskript hängen lassen,
welche Sprache(n) im übertragenen Sinne dieser Mann selbst für seine Biografie spricht. Um das herauszufinden und als eine Art Rache für die Vergewaltigung, verbrennt sie das Manuskript,
wohlwissend, welchen Wert es für das Leben von Calisto hatte. Schließlich trifft sie Mildred, die (blinde) Ex-Frau Calistos, die ihr den Menschen Calisto ein wenig näher bringt ... obwohl sie
Mildred eigentlich hasst, weil diese so perfekt wirkt. Aber insgesamt versteht sie als Frau, die in ihrem Dorf das Handfeste, das Greifbare, das Körperliche kennengelernt und gelernt hat die
scheinbar den Männern vorbehaltene intellektuelle Sphäre nicht. In den anderen beiden Teilen werden dann die Hintergründe zu diesem Manuskript dargestellt. Zum Beispiel, als Max Lamas seiner
Gastgeberin in Italien, der Marchesa Matilde Latini, zunächst erfolgreich den Hof macht und der Liebhaber der mittlerweile für derartige Abenteuer eigentlich zu alt gewordenen Dame wird, um ihr
kurze Zeit später das Herz zu brechen und diese in die Verarmung zu verführen. Daneben spielt noch Michel Houellebecq, Lieblingsschriftsteller von Calisto, eine Rolle, der mit seinen Büchern den
Part eines Art „Literaturfrauenhassers“ übernimmt. Nach und nach und immer tiefer dringt man über diese verschiedene Handlungsstränge in die (unterschiedliche) Gedankenwelt von Mann und Frau, in
die Moral des Buches ein.
Auf der Suche nach dem Partner fürs Leben sucht man jemanden mit gleichen Interessen, jemanden, der für einen Verständnis aufbringt, der einen so nimmt, wie man ist, ja, jemanden, der die gleiche
Sprache wie man selbst spricht. Doch schon bald merkt man, dass eine Suche mit gewissen Idealvorstellungen zum Scheitern verurteilt ist – Mann und Frau sprechen einfach zu unterschiedliche
Sprachen und haben vor allem auch eine unterschiedliche Auffassung selbst zu den allgemeinsten Aspekten des Lebens. Der Topf findet eben nicht immer den dazugehörigen Deckel, kann ihn vielleicht
gar nicht finden, weil es den gar nicht gibt, weil der sich nicht so formen lässt, wie wir es vielleicht wollen. Die Ursache dafür geht Lina Wolff bemerkenswert aufschlussreich auf den Grund.
Neben der thematisch äußerst interessanten Botschaft, ist der Roman auch sprachlich eine „Augenweide“, unheimlich realistisch, irgendwie witzig, dann aber wieder auch erschreckend. Wolff erzählt
in meist kurzen Szenen und Dialogen doch so viel, meist auch versteckte Hinweise das Zusammenleben von Mann und Frau betreffend, die man oftmals erst beim genaueren Lesen erkennt. So lernen wir
auch, dass Spiegel und Geschlechtsverkehr abgeschafft gehören, weil sie die Anzahl der Menschen erhöhen, Frauen die Naturwissenschaften den Männern überlassen und stattdessen lieber Sprachen
lernen sollten und Frauen offensichtlich deshalb Entwürdigungen ertragen, nur um be- und versorgt zu sein.
Polyglott zu sein bedeutet, mehrere Sprachen zu sprechen. Aber offensichtlich sind Mann und Frau trotz dieser Fähigkeit zu Mehrsprachigkeit nicht in der Lage eine gemeinsame „Mann-Frau-Sprache“
zu sprechen. Wir sprechen in unterschiedliche Richtungen, quasi aneinander vorbei. Während Männer offensichtlich ihre Phantasien und Vorstellungen von Zusammenleben in mehr oder weniger
intellektuellen Werken zu Papier bringen, schreiten Frauen eher zur Tat, zeigen Emotionen. Das scheint mehr zu überzeugen und zum Ziel zu führen! Diese unterschiedliche Herangehensweisen passen
aber nicht zusammen!
Fazit: Nur schwer pauschalisierbare Stärken und Schwächen von Männern und Frauen sowie der Unberechenbarkeit im Denken, aber auch in ihren Taten und Handlungen machen eine vernünftige
Kommunikation zwischen den Geschlechtern zu einer großen Herausforderung. Dies führt uns Wolff dank IHRER deutlichen und klaren Sprache vor Augen und macht das Buch so besonders – sehr
lesenswert.
Andreas Pickel
© 2019 Andreas Pickel, Harald Kloth