Wolfgang Herrndorf: Stimmen

Texte, die bleiben sollten

Berlin ; Rowohlt ; 2018 ; 191 Seiten ; ISBN: 978-3-7371-0057-1

Dieses unscheinbare dünne Buch hat es in sich. Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der seinem Leben aufgrund eines bösartigen Hirntumors im Sommer 2013 vorzeitig ein Ende setzte, hat sich vor seinem Tod sehr viele Gedanken darüber gemacht, welche Texte posthum veröffentlicht werden sollten.

Alles, was er als zu schlecht empfand, hat Herrndorf vor seinem Tod noch selbst vernichtet. Umso sorgfältiger scheint er bei der Auswahl der Texte gewesen zu sein, die wirklich für die Nachwelt erhalten werden sollten. Für den vorliegenden Band, der laut Verlagsankündigung der letzte mit Werken aus dem Nachlass Wolfgang Herrndorfs sein wird, haben seine Nachlassverwalter Großes geleistet.

Die Texte in ‚Stimmen‘ – übrigens war ‚Stimmen‘ auch eines von Herrndorfs Pseudonymen, unter dem er im Internetforum ‚Wir höflichen Paparazzi‘ schrieb – spiegeln das Können des Autors wieder. Anklänge an seinen wohl erfolgreichsten Roman ‚Tschick‘ finden sich darin ebenso wie Gedichte oder ein skuril-philosophisches Gespräch in einer Trash-TV-Show.

Auch in diesen fragmentarischen Stücken zeigt sich Herrndorfs besondere Art des Erzählens. Die Texte sind perfekte Mischungen unterschiedlicher Gefühlslagen und das macht sie zu typischen Herrndorf-Texten.

Mal lustig, mal sentimental, aber niemals ins Kitschige abdriftend. Besonders bemerkenswert sind die im Buch enthaltenen Kindheitsrückblicke. In ihnen wird sehr deutlich, welch großer Verlust Herrndorfs Tod für die Literaturszene ist. Zwar werden Generationen von Schülern seinen ‚Tschick‘ als Klassenlektüre lesen, aber da wäre noch so viel mehr möglich gewesen. Den Lesern bleiben jedoch nur die Texte, die nach dem Wunsch Herrndorfs auch bleiben sollten.

Fazit: beeindruckendes Vermächtnis eines Autors, der sein Handwerk beherrschte.

 

Sonja Kraus

4 Sterne
4 von 5

© 2018 Sonja Kraus, Harald Kloth