Anja Jonuleit: Rabenfrauen

Roman

München ; dtv ; 2016 ; 398 Seiten ; ISBN 978-3-423-26104-3

 

Der Sommer 1959 beginnt für die beiden Freundinnen Ruth und Christa so unbeschwert wie immer. Sie sammeln Kartoffelkäfer, kühlen sich im Fluss ab und genießen die Ferien. Als sie dem schönen Erich begegnen, sind beide gleichermaßen fasziniert von dem charismatischen jungen Mann. Dieser gehört zu einer Gruppe von Freichristen an deren Spitze Paul Schäfer steht. Während Christa sich Hals über Kopf in Erich verliebt und mehr und mehr auch Teil dieser etwas seltsam anmutenden Gemeinschaft wird, bleibt Ruth skeptisch.

Die schicksalshafte Begegnung mit Erich und der Gemeinschaft treibt einen Keil zwischen Ruth und Christa. Eines Tages verkündet Christa dann, dass sie nach Chile gehen werde, um dort ein wahres christliches Leben zu führen. Paul Schäfer hat seine Anhänger davon überzeugt, in Chile neu anzufangen und gründet dort die Siedlung Colonia Dignidad.

Die Menschen, die in dieser Gemeinschaft leben, müssen ihr eigenes Hab und Gut und ihre Ersparnisse der Gemeinschaft übergeben. Sie haben keinerlei Recht auf Privatheit. Familien werden auseinandergerissen. Damit es sittlich zugeht, sind Männer und Frauen getrennt und auch die Kinder dürfen keinerlei Beziehung zu den Eltern aufbauen. Die Menschen werden auf dem Gelände der Colonia Dignidad gefangen gehalten und müssen neben der schweren körperlichen Arbeit - für die es noch dazu keinerlei Lohn gibt - sehr viel erdulden.

Man lebt dort ein von Misstrauen, Willkür, Gewalt und Hilflosigkeit geprägtes Leben aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Selbst die örtlichen Behörden werden bestochen, um Paul Schäfer weiterhin walten zu lassen. Jahrzehnte später ist es Anne, die Tochter von Ruth, die mit ihrer Mutter nach Chile reist, um dort auf Spurensuche zu gehen. In Chile kommt es zum Wiedersehen zwischen den beiden Freundinnen und nach so langer Zeit kommt eine ungeheuerliche Wahrheit endlich ans Licht.

Anja Jonuleit erzählt aus verschiedenen Perspektiven diese sehr bedrückende Geschichte zweier Frauen, deren Leben sich unter dem Einfluss der Colonia Dignidad grundlegend ändern.

Man merkt, dass die Autorin gut recherchiert und sogar selbst Betroffenen gesprochen hat. Sehr anschaulich wird nämlich dargestellt, welche Strategien die Menschen entwickelt haben, um in diesem unmenschlichen System überleben zu können. Der ständige Wechsel der Erzählperspektiven trägt zum Spannungsaufbau bei und macht dieses Buch wirklich reizvoll.

Fazit: Ein sehr interessanter und absolut lesenswerter Roman über die berüchtigte Colonia Dignidad.

 

Sonja Kraus

4 Sterne
4 von 5

© 2016 Sonja Kraus, Harald Kloth