Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe

Roman

Zürich ; Diogenes ; 2014 ; 244 Seiten ; ISBN 3-257-06909-X

 

„Können Sie das? Einen Vertrag machen, dass ich das Bild wiederkriege und er Irene?“ Auf faszinierende Art und Weise wird man mit dieser Frage gleich von Anfang an in die Handlung hineingezogen. Mit eben jener Frage, wird der Ich-erzählende Rechtsanwalt konfrontiert. Sein Gegenüber ist ein aufstrebender Maler, dem einmal die deutlich jüngere Frau eines erfolgreichen Unternehmers nackt auf einer Treppe als Modell posierte und die später auch seine Lebensgefährtin wurde. Ein Bild im Tausch gegen die Lebensgefährtin, und sogleich begegnen wir höchst eigenwilligen Figuren in extrem zugespitzten Situationen.

 

Soweit der erzählerische Rahmen, von Bernhard Schlinks neuestem Roman. Auch dieser bewegt sich wie fast alle seine Vorgänger - hier vor allem die Selb-Trilogie - auf dem schmalen Grat zwischen Recht und Moral. In diesem Plot jedoch noch angereichert durch jede Menge Gefühle, denn zwischen der Hauptfigur, dem Maler Karl Schwind und dem steinreichen Unternehmer Peter Gundlach entsteht ein mehr oder weniger offen ausgetragener Kampf um die Gunst der „Frau auf der Treppe“, der charismatischen, leicht egozentrischen und kühl berechnenden Irene Gundlach.

 

Zunächst steht Schlinks Protagonist, der angesehene Frankfurter Anwalt, noch zwischen den Fronten und bemüht sich redlich um eine juristisch saubere Lösung, doch peu à peu verliert für ihn der berufliche Aspekt seinen Reiz. Enorme Emotionen verwandeln den verwitweten Rechtsanwalt in einen liebesblinden Kunsträuber. Er gesteht Irene Gundlach seine Liebe und lässt sich von ihr zum Diebstahl des Kunstwerks anstiften. „Ein tapferer Ritter kommt und rettet mich!“, hatte Irene frohlockt. Sie jedoch hält sich nicht an die Absprachen und verschwindet allein und spurlos mit dem Gemälde.

 

Bestseller-Autor Bernhard Schlink erzählt diesen Roman auf verschiedenen Zeit-Ebenen, denn beim Einstieg ist der Maler Karl Schwind bereits siebzig Jahre alt (eine merkwürdige Parallele zu Bernhard Schlink) und ein weltbekannter Künstler, für dessen Bilder horrende Summen hingeblättert werden. Der Anwalt hat die Eskapaden um das Gemälde längst vergessen, als er plötzlich jenem verschollen geglaubten Bild in einem Kunst-Museum von Sydney gegenüber steht. Der einstige Eifer wird augenblicklich neu entfacht, die Suche nach Irene beginnt ...

 

In seinem neuesten Roman setzt der Autor auf einen tragischen Schluss: Irene ist todkrank. Lässt man jetzt Gnade vor Recht ergehen? Fällt einem das Verzeihen für die Fehltritte leichter? Am Ende bleiben in Schlinks grandios erzählten und unangestrengt zu lesenden Werk über Recht und Moral, über große Enttäuschungen und große Gefühle nur Verlierer zurück. Drei Männer, die wieder haben wollen, was ihnen vermeintlich zusteht. Nur einer ergreift die Chance, Irene neu zu begegnen und die Zeit läuft.

 

Fazit: Grandiose Literatur!

 

Wolfgang Gonsch

5 Sterne
5 von 5

© 2014 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth