Anna Maria Sigmund: Dämon, Diktator, Demagoge

Fragen und Antworten zu Adolf Hitler

München ; dtv ; 2006 ; 259 Seiten ; ISBN 3-423-24523-9

 

Was ist nicht schon alles über Adolf Hitler geschrieben, wild über seine Herkunft und seine Jugendjahre, sowie seine "Unsterblichkeit" spekuliert worden. 5 Jahre nach den monumentalen Werken von Ian Kershaw und Joachim Fest zu Hitler legt nun Anna Maria Sigmund mit dem Buch "Diktator, Dämon, Demagoge" ein knapp gefasstes Werk zu Hitler auf dem neuesten Forschungsstand vor.

 

Die Autorin, eine ausgewiesene Expertin des Nationalsozialismus hat bisher unveröffentlichte Quellen erschlossen und nähert sich dem Phänomen Hitler indem Sie sieben Fragen näher durchleuchtet: Wieso begeisterte Hitler so viele Deutsche? Wieso hat niemand Hitlers Machtergreifung verhindert? War der Jubel um Hitler nicht überwältigend? Kam Hitler nicht aus verworrenen, dubiosen und ärmlichen Verhältnissen? Lebte Hitler tatsächlich in einem Wiener Obdachlosenasyl? Warum löschte Hitler die Spuren seiner Herkunft? Warum hat Hitler niemand umgebracht?

 

Im ersten Kapitel untersucht die Autorin eingehend die Faszination, die von Hitler ausging. Dabei unterstreicht sie, dass durch Hitler nicht nur die durch die suggerierte "Dolchstoßlegende" des 1. Weltkrieges, den vor allem territorial und wirtschaftlichen Auswirkungen des Versailler Vertrages und der Weltwirtschaftskrise 1929/30 vermeintlich zukunftslosen Menschen der unteren Gesellschaftsschichten für Hitlers rhetorischen und argumentativen Fähigkeiten gefangen wurden, sondern dass auch Personen aus den höheren Schichten, wie Göring, Heß und vor allem Speer, schon früh von der Aura Hitler gefesselt waren und ihm bedingungslos folgten. Das seine demagogischen Begabungen auch Teile der britischen Adeligen faszinierten, zeigt nachdrücklich das Buch von Ian Kershaw Hitlers Freunde in England.

 

Besonders interessant finde ich das Kapitel über Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann, dem es durch seine Art, Hitler immer in das rechte Licht zu rücken, gelang, den Führer als "Mann des Volkes" und für jeden zugänglich darzustellen. Die Veröffentlichung von Fotos des Liebespaares Hitler - Eva Braun war dagegen strengsten untersagt (heute undenkbar), vielleicht hätte ihn das mehr "vermenschlicht" und entdämonisiert. Hoffmann gelang es in den unterschiedlichsten Lebensjahren Hitlers den "Zahn der Gesellschaft" zu treffen. Beispielgebend dafür sind seine Fotos nach der "Machtergreifung" (die ja nach Sebastian Haffner de facto keine war), die ihn reizüberflutend mit dem greisen Reichspräsidenten Hindenburg zeigen, um das Vertrauen des Volkes von dem hochdekorierten Feldmarschall auf den Gefreiten Hitler zu übertragen. Treffend formuliert die Autorin auch das ausgeklügelte System bei großen Propagandaveranstaltungen und Reichsparteitagen - Speer organisierte, Goebbels inszenierte, Hoffmann fotografierte. Das "Foto-Haus Hoffmann" mit seinen bis zu 300 Mitarbeitern machte durch diese Exklusivrechte Millionenumsätze. Erst mit der Niederlage bei Stalingrad im Januar 1943 wurde Hitler auch für Hoffmann unzugänglich, die Omipräsenz Hitlers verschwand aus den Medien.

 

Die folgenden, nicht viel weniger interessanten Artikel beschäftigen sich dann mit der Herkunft Hitlers sowie seinen Jugend- und Lehrjahre. Hitler, so weist die Autorin entgegen bisherigen Publikationen und Gerüchten nach, hatte keine jüdischen Blutverwandten und er kann aufgrund eines nicht geringen Vermögens seiner Mutter, eines Darlehens seiner Tante und der Waisenrente beileibe nicht so mittellos gewesen sein, wie oftmals in der Literatur dargestellt. Auch der Vorwurf, Hitler hätte in Obdachlosenasylen gelebt, um sich der Einberufung des königlich und kaiserlichen Militärdienstes zu entziehen, entkräftet Sigmund in teilweise fesselnder Darstellung.

 

Das letzte Kapitel befasst sich schließlich mit dem oft gestellten Thema, warum es niemanden gelang, den "Unsterblichen" umzubringen, um somit dem mörderischen Großmachtstreben auf diese Art und Weise ein Ende zu setzten. Sigmund fand dabei heraus, dass es im Zeitraum von 1921 bis 1945 neben den bekannten versuchten und durchgeführten, jedoch erfolglosen Attentaten wie von Georg Elser am 8. November 1939 oder den Attentätern des 20. Juli ungefähr Hundert Attentatsversuche gegeben hat. Die Gründe des Scheiterns sind allgemein bekannt, wobei oftmals nur der Aspekt "Glück" den Ausschlag gab. Allerdings darf man bei allem nicht vergessen, dass es trotz aller Schutz- und Vorsichtsmassnahmen für Personen aus dem unmittelbaren Umfeld ein Leichtes gewesen wäre, Hitler zu eliminieren - nur wollte es aus diesem Kreise der Profiteure des Nationalsozialismus niemand tun.

 

Fazit: Trotz der Unzahl an bestehenden Publikationen um und über die Person Hitler ein Buch mit vielen bisher unbekannten Abbildungen und Fotos, dass einem zwar nicht zu allen Fragen die "allheilbringende" Antwort gibt, aber viele Gerüchte widerlegt und uns der Aufklärung bisher ungelöster Fragen näher bringt. Wer sich also mit dem Phänomen Hitler auf dem neuesten Forschungsstand näher beschäftigen will, ohne sich durch das monumentale Werk von Ian Kershaw zu wälzen, oder wer sein vorhandenes Wissen auf den neuesten Stand bringen möchte, dem ist das Buch von Anna Maria Sigmund wärmstens zu empfehlen.

 

Andreas Pickel

4 Sterne
4 von 5

© 2006 Andreas Pickel, Harald Kloth