Michail Kononow: Die nackte Pionierin

Roman

München ; Kunstmann ; 2003 ; 286 Seiten ; ISBN 3-88897-337-6

 

Die kleine Marija Muchina ist gerade mal 14 Jahre alt, als sie für Stalin in den großen vaterländischen Krieg ziehen darf. Großes geschieht, und Motte - so wird sie von allen genannt - will unbedingt dabei sein. Ihre Eltern hat die überzeugte Kommunistin bereits verloren und sie fälscht ihren Ausweis auf 16 Jahre damit sie endlich eine "Tochter des Heeres" werden darf.

 

Sie will ihr Vaterland retten, will bedingungslos im Kampf ihr Leben für das Kollektiv einsetzen - eine Art russischer Jeanne d`Arc. Doch wird ihr Kraft nicht im Felde gebraucht, allein ihr Körper wird gebraucht - vor der Schlacht, nach der Schlacht und auch dazwischen - immer und immer wieder.

 

Sie avanciert zur Regimentshure, einer heiligen Hure. Sie aber versteht ihre horizontale Aufgabe immer als Dienst am Kollektiv, auch wenn ihr Abends alles weh tut und sie immer und immer wieder "gebraucht" wird.

 

Dieser Roman bricht vollends mit dem Mythos des großen vaterländischen Krieges. Gnadenlos konfrontiert Kononow mit der Geschichte einer 14-jährigen Regimentsbraut, die den Frontsoldaten sexuelle Dienste leistet.

 

Der Text verhandelt versteckt und offen die ganze Tradition des sozialistischen Realismus - dem Drang nach dem goldenen Westen. Die wahre Geschichte von Valentina Wassiljewna wird rückwärts erzählt, ausgehend von Motte´s Hinrichtung weil sie sich ausgerechnet in einen Deutschen verliebt uns so zu Marschall Sukow´s zahlreichen Opfern wird.

 

Es fehlt jegliche tröstende übergeordnete Instanz, da sich der Autor konsequent auf Marias Innenschau beschränkt. Je mehr die Erzählung voranschreitet - besser gesagt zurückgeht - desto mehr zeigt sich, wie wenig Marias Schicksal als Regimentshure selbst bestimmt ist, und wie sehr sie unter ihrem körperlichen Ausgeliefertsein leidet.

 

In dieser modernen Märtyrergeschichte, die den Typus der "heiligen Hure" aufgreift, die sowohl vom Feind als auch von den eigenen Leuten missbraucht wird, führt Michail Kononow den Mythos des großen vaterländischen Krieges als auch den der sowjetischen Heldin strikt "ad absurdum".

 

Dieses Buch besticht durch seine mörderische Radikalität; es enthüllt das menschenverachtende und zugleich zutiefst menschliche des Krieges aus der Sicht eines 14-jährigen Mädchens in seiner kindlichen Sprache.

 

Fazit: Dieses Buch berührt, macht betroffen und beschämt zugleich!

 

Wolfgang Gonsch

3/4 Sterne
3/4 von 5

© 2003 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth