Roman
Hörbuch. Gelesen von Sebastian Rudolph
2 mp3-CDs ; Laufzeit: 744 Minuten
Hamburg ; Hörbuch Hamburg ; 2013 ; ISBN 978-3-89903-912-2
George Orwells Klassiker 1984 ist eine der bekanntesten Dystopien überhaupt. Umso erstaunlicher, dass es bislang noch keine Hörbuch-Fassung dieses Zukunftsromans aus der Vergangenheit gab. Der Verlag Hörbuch Hamburg hat diese Lücke im Hörbuch nun geschlossen und bringt die neue Übersetzung von Michael Walter auf zwei mp3-CDs mit einer Laufzeit von 744 Minuten heraus.
1984 ist nicht nur utopischer Roman, Schullektüre und Grundlage zahlreicher Bezüge in der Populärkultur. Wie kein anderes Buch schaffte es dieser Roman, vor allem als Synonym für einen totalitären Überwachungsstaat zu gelten. George Orwell verarbeitete darin vor allem seine Erfahrungen als Journalist im Zweiten Weltkrieg. Die perfiden Mechanismen diktatorischer Gesellschaftssysteme wie Kommunismus, Stalinismus und Nationalsozialismus durchschauend, stellte er 1984 im Jahre 1948 fertig und drehte für sein kritisches Romanwerk einfach die Jahreszahlen um.
Im Jahr 1984 kämpfen drei Machtblöcke um die weltweite Vorherrschaft (so zumindest die Parteipropaganda). Die drei Supermächte Ozeanien, Ostasien und Eurasien ringen in ständig wechselnden Bündnissen gegeneinander. Winston Smith lebt in London, Landeplattform 1 (dem früheren Großbritannien). Das Leben ist bestimmt durch ständige Mangelwirtschaft, in der es an allen Gebrauchsgütern fehlt. Die Welt in Ozeanien ist geprägt durch Hass, Angst und die Unterdrückung von Sexualität. Dadurch kontrolliert der Überwachungsstaat die Menschen und lenkt so vom Verfall und den vielen Entbehrungen ab, da sich der Unmut gegen andere richtet. Der einzelne Bürger ist permanent durch sogenannte Televisoren überwacht. Jede Auflehnung gegen den übermächtigen, gottgleichen "Großen Bruder" führt zur sofortigen Vaporisierung (dem Tod). Ein ausgefeiltes Spitzelsystem, die Indoktrinierung von Kindern oder auch das Dummhalten der breiten Masse (Proles) sorgt für die Stabilität und die Macht der "Inneren Partei".
Winston Smith arbeitet als Mitglied der "Äußeren Partei" im "Ministerium für Wahrheit". Dort unterliegen alle Medien wie Zeitungen und Filme einem ständigen Überarbeitungsprozess. Archivausgaben von Tageszeitungen werden umgeschrieben, um sie dem derzeitigen Kurs der "Partei" anzugleichen. Als sich Winston Smith in Julia verliebt, begeht er ein Gedankenverbrechen. Jede Kleinigkeit oder Nachlässigkeit könnte Winston und Julia verraten und sie im "Ministerium für Liebe" den brutalen Folterungen aussetzen ...
Der Schauspieler Sebastian Rudolph überzeugte im Fernsehfilm Geboren 1999 (1992) als Klon, Joseph Vilsmaiers Stalingrad (1993) als Soldat oder im Fernsehfilm Die Spiegel-Affäre (2014) als Rudolf Augstein. Seine Sprechrolle in der Hörbuchfassung von 1984 ist schlicht und einfach kongenial besetzt. Seine resigniert wirkende Stimme gibt genau die pessimistische Stimmung des Buches wieder. Jede Emotion, jedes Aufflammen von Leidenschaft könnte Winston zum Ketzer werden lassen. Umso kraftvoller wirken im späteren Teil seine Gefühle für Julia, seine Begeisterung und Begierde für das viel jüngere Mädchen, das seine Freiheitsgedanken teilt.
Nach einer interessanten Fernsehadaption von Autor Nigel Kneale (1954), einer schwachen Filmadaption von Michael Anderson (1956) und einem sehr guten, werkgetreuen Kinofilm im Jubiläumsjahr von Michael Radford (1984) und diversen Hörspielfassungen liegt nun die erste Hörbuchfassung dieses Buchklassikers vor. Im Gegensatz zum Hörspiel gibt es keinerlei Toneffekte. Das Hörbuch punktet durch den Schauspieler Sebastian Rudolph, der die bittere und paranoide Atmosphäre der Romanvorlage fassbar macht.
Aber ist dieses Buch nicht veraltet? Eine Welt mit Rohrpost statt E-Mail, eine Welt ohne Handys und Internet in der Teleschirme das ultimative Überwachungstool darstellen? Natürlich konnte Orwell aka Eric Blair die digitale Revolution mit all ihren Vorzügen und Gefahren nicht vorhersehen. Aber wie weit sind wir noch vom Überwachungsstaat entfernt? Mittels PRISM und anderen Programmen überwachen die USA seit 2005 weite Teile des Internet. Die massenhafte Überwachung von Bürgern und globale Datenspionage ist längst zu einer unkontrollierten und gigantischen Datensammelwut von Geheimdiensten und Staatsorgangen angewachsen. George Orwell wollte 1948 die gewissenlose Unterdrückung von freien Menschen durch wenige Machteliten anprangern. Das Ausmaß der technischen Möglichkeiten zur Kontrolle von Menschen ist heute aber schier grenzenlos geworden, deshalb hat dieses Buch nichts von seiner Aktualität verloren ...
Im Innenteil findet sich ein Auszug aus dem Nachwort von Herbert W. Franke zum Leben und Bedeutung des Schriftstellers George Orwell. Auf einer weiteren Seite wird auf Orwells Sprache "Neusprech", die dieser eigens für den Roman konzipiert hatte, näher eingegangen.
1984 gibt es in vielen Roman-, Hörbuch- und Graphic Novel-Ausgaben.
Fazit: Hörgenuß eines utopischen Klassikers der Weltliteratur mit einem überragenden Sprecher Sebastian Rudolph.
Harald Kloth