Volker Koop

Besetzt

Französische Besatzungspolitik in Deutschland

Wie selbstverständlich fuhren die Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Nachfolgerin Angela Merkel nach ihrer Wahl im Rahmen ihrer ersten Auslandsreise nach Frankreich zu Jacques Chirac!

 

Wie selbstverständlich sind Frankreich und Deutschland die Motoren der Europäischen Einigung!

 

Wie selbstverständlich verlegen deutsche und französische Soldaten Seite an Seite in die Demokratische Republik Kongo, um dort den Demokratisierungsprozess zu unterstützen – wie selbstverständlich?!?

 

1870/71 demütigte Deutschland Frankreich im Frieden von Frankfurt. 45 Jahre später liefern sich beide Nationen erbitterte Kämpfe in den Schützengräben von Verdun, Millionen von Toten auf beiden Seiten sind die Folge des "Grande Guerre" - und Frankreich demütigt Deutschland im Frieden von Versailles. Noch vor erst 65 Jahren überrennt das nationalsozialistische Deutschland in nur fünf Wochen Frankreich, um dann ähnlich wie Napoleon 1812 vor Moskau der Überdehnung seiner Kräfte Tribut zu zollen. Die finanzielle und wirtschaftliche Ausdeutung Nazi-Deutschlands am eigenen Leibe erfahren, plündern schließlich französische Besatzungstruppen Südwestdeutschland, vergleichbar mit der wütenden Roten Armee im Osten, stets den Willen fest vor Augen, dem ewigen Feind nun endgültig für immer den Garaus zu machen.

 

Sind die dunklen Kapiteln deutscher Machenschaften hineichend aufgearbeitet, legt nun Volker Koop mit seinem Buch "Besetzt. Französische Besatzungspolitik in Deutschland" die erste umfassende Aufarbeitung des französischen Revanchismus aus Sicht der betroffenen Deutschen vor.

 

Nachdem Deutschland Frankreich seit 1870 nicht weniger als drei Mal angegriffen hatte, sah nun Frankreich mit der Unterstützung Amerikas den Zeitpunkt der endgültigen Abrechnung gekommen und beabsichtigte Deutschland ohne jegliche Zentralgewalt in kleinste Verwaltungsbezirke aufzuteilen. Dieses Mal wollte man nicht den gleichen Fehler wie nach dem 1. Weltkrieg begehen, die deutsche Gefahr sollte auf ewig ausgeschaltet und der gekränkte Nationalstolz wiederhergestellt werden. Frankreich verfolgte dabei drei große Ziele:

 

  1. Die Beteiligung an den internationalen Friedenskonferenzen.
  2. Die Durchsetzung nationaler Interessen und Ziele und.
  3. Das Schließen bilateraler Abkommen, um einer erneuten Aggression Deutschland widerstehen zu können.

 

Doch die Verfolgung dieses Ziels war steinig und blutig. Recherchiert ausschließlich in deutschen Archiven berichtet Koop von Massenvergewaltigungen, unzureichende Lebensmittelzuweisungen, planlose Demontage von Industriemaschinen und rücksichtslosem Politikgebaren. Frankreich versuchte, obwohl den Rang als Großmacht längst verloren, Deutschland wirtschaftlich und politisch auf ewig zu kontrollieren, zum Glück ohne wirkliches Stimmgewicht im Kreise der Großen zu haben. Ausgegrenzt bei den großen Konferenzen von Jalta (Februar 1945), Potsdam (Juli/August 1945) und London (September 1945), konnte man nur noch reaktiv die Entscheidungen akzeptieren, die man ohne seine Beteiligung getroffen hatte. Angesichts der kommunistischen Drohung konnten die USA und Großbritannien die Existenz eines Vakuums in Deutschland nicht dulden.

 

Auch der Versuch der Durchsetzung einer föderalistischen Struktur im Nachkriegs-Deutschland mit erheblichen Gebietsverlusten im Osten wie im Westen, scheiterte überwiegend. Nur in der Saarfrage (das Saarland wurde wirtschaftlich angeschlossen, jedoch mit einer weitestgehender politischen Autonomie) konnte man einen Erfolg verbuchen.

 

Auch wurde die französische Besatzungszone mit ihren fast 43.000 Quadradkilometern und 6 Millionen Einwohnern vom restlichen Westdeutschland erfolgreich isoliert, selbst Flüchtlinge aus dem Osten fanden keinen Zutritt.

 

Deutsche Frauen als "Freiwild" marodierender Marokkaner und anderer afrikanischer Staaten unter französischer Fahne, drastische Unterversorgung und unmenschliche Zustände in den Kriegsgefangenenlager unter französischer Kontrolle kennzeichneten so die Situation in den ersten Monaten der Besatzung.

 

Noch 1949, als die wahren Absichten der Sowjetunion offen zu Tage traten, versicherte der französische Außenminister Robert Schuman (später eine der treibenden Kräfte der deutsch-französischen Versöhnung), dass man keine aktive Beteiligung Deutschlands an der Verteidigung Europas wünsche.

 

Die deutsch-französische Geschichte sind 150 Jahre diplomatisches Ringen um Sicherheit, das Ergebnis vier Kriege, dreimalige Besetzung Frankreichs und zweimalige Besetzung Deutschlands. Erst der 1962 geschlossene Elysée-Vertrag, beendete schließlich die Erbfeindschaft und besiegelte die deutsch-französische Annäherung.

 

Man sollte beim Lesen dieses Buches nicht vergessen, mit welch unbeschreiblicher Grausamkeit die Deutsche Wehrmacht und vor allem in ihrem Rücken die Einsatzgruppen der SS wüteten (wenn auch "nur" im Rahmen des Ostfeldzuges). Auch sollte man die Ausführungen des Autors nicht als eine gesamtgeschichtspolitische Abrechnung mit Frankreich sehen. Geschickt mischt Volker Koop politische Gespräche, Konferenzen, Abmachungen mit der Situationsbeschreibung der eigentlich Betroffenen, der Zivilbevölkerung.

 

Nicht umsonst schreibt der Autor, dass man dieses Buch erst jetzt schreiben konnte, ohne die deutsch-französische Freundschaft auf eine harte Probe zu stellen.

 

Fazit: Ein sehr informatives Buch, welches schonungslos den rücksichtslosen Gebrauch von Macht darstellt.

 

Andreas Pickel

4 Sterne
4 von 5

© 2006 Andreas Pickel, Harald Kloth