Walter E. Richartz

Büroroman

Die Firma: DRAMAG, das Zimmer: zehnachtundzwanzig (10/28), darin drei Schreibtische, darauf die nicht wegzudenkende Schreibtischgarnitur aus Bakelit: Schale, Stifthalter, Notizzettelkästchen, Schreibunterlage und Löschblattwiege.

 

Auf den Schreibtischstühlen die Protagonisten: Herr Wilhelm Kuhlwein, seit 23 Jahren unverzichtbarer Bestandteil der Firma; er vertritt die etwas ältere Generation im Büro. Diesem gegenüber Frau Elfriede Klatt, seit genau 20 Jahren in der Firma, noch viel wichtiger und gewichtiger als ihr Kollege (sie steht für das niemals älter werdende Mittelalter, jung war sie sowieso nie) und als Vertreterin der Jugend wirkt Fräulein Mauler im Büro.

 

Wir schreiben das Jahr irgendwas, aber das ist wirklich nicht wichtig, denn der Ablauf dieses Romans beschreibt nichts als Wirklichkeit, die grausame Realität. Nur eines noch: es gibt noch keine Handys, Computer oder gar Emails, die ersten Textverarbeitungsmaschinen (oder auch Textverarbeiter genannt) halten jedoch Einzug in die Schreibstuben Hunderttausender.

 

Der leider bereits 1980 viel zu früh von uns gegangene Walter E. Richartz (eigentlich Dr. rer. nat. Walter Erich Freiherr von Bebenburg, Enkel von General Ludendorff) lässt uns Teil werden von diesem Büro 10/28; wir sitzen quasi als Überhang an einem imaginären vierten Schreibtisch und teilen uns alle Freuden und Leiden mit den drei übrigen Insassen dieses komplexen Mikrokosmos. Alle Gesten und Geräusche die ein Bürokomplex so zu bieten hat nehmen wir auf, wir sind ein fester Bestandteil der immer währenden Gerüchteküche eines Unternehmens und fühlen uns versetzt in die komplizierte Welt der Büroarbeit mit ihrer alltäglichen, monotonen Routine.

 

Egal ob wir uns auf dem Weg in die Kantine (wie viele verschiedene Möglichkeiten das Wort Mahlzeit zu interpretieren gibt es eigentlich?) befinden, zusammen mit der ganzen Belegschaft zur Betriebsversammlung schreiten (die schon wieder!) oder beim Chef (CEOs gabs noch nicht!) gemeinsam unsere Weihnachtsgratifikation und salbungsvollen Worte zum Jahresabschluss abholen; jeder Schritt, jede Kleinigkeit wird beobachtet, ausgewertet und kommt bitterböse aufgewärmt auf das berühmt-berüchtigte Serviertablett.

 

Erleben sie die unglaublich ehrliche, pointen-reiche, minutiös beschreibende und knochentrockene E-Mail- und Handy-freie Beschreibung des Mikrokosmos Büro, voller Satire und Komik, in dem Wichtiges unter den berühmten Teppich gekehrt und das Banalste zum Wichtigsten überhaupt mutiert!

 

Fazit: In Walter Richartz stillem, bisweilen heiter-besinnlichem aber eigentlich auch bewegendem und teils betrüblichem Büroroman mutiert sogar die perfekt gesetzte Schlußpointe zum treffgenauen Gewehrschuß!

 

Wolfgang Gonsch

4 Sterne
4 von 5

© 2008 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth