Kling, Marc-Uwe/Tilman Birr: Lost in Gentrification

Großstadtgeschichten

herausgegeben von Sebastian Lehmann und Volker Surmann

Berlin ; Satyr ; 2012 ; 191 Seiten ; ISBN 978-3-9814891-6-3

 

Die Gentrifizierung (vom engl. gentry, niederer Adel) oder auch Gentrifikation ist ein in der Stadtgeographie angewandter Begriff, der einen sozialen Umstrukturierungsprozess eines Stadtteiles beschreibt. Dabei handelt es sich um eine Veredelung des Wohnumfeldes, sowohl durch Veränderung der Bevölkerung, wie auch durch Restaurierungs- und Umbautätigkeiten.

 

Dieser Prozess der Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete ist schon seit einigen Jahren eines der dominierenden Themen der städtischen Soziologie. Die eigentliche Gentrifizierung, bei der bis dahin nicht hochwertige Stadtgebiete aufgewertet werden, unterscheidet sich von der Wiederaufwertung ehemals wohlhabenderer Viertel. Dabei werden Straßenzüge, Blöcke oder ganze Viertel häufig auch wieder von den Ursprungsbewohnern rückbesiedelt.

 

Der Gentrifizierungs-Prozess läuft häufig nach typischen Mustern ab: Niedrige Mietpreise ziehen Pioniere an, darunter oft Studierende, Künstler, Freigeister. Diese machen das Viertel kulturell attraktiv, machen es hipp und zu einem „In-Bezirk“. Viele Studierende steigen dann in das Berufsleben ein, verdienen deutlich mehr Geld als die ansässigen Bewohner; manche Künstler etablieren sich und bringen weiteres Kapital in die Stadtteile. Investoren sehen Chancen zur Wertsteigerung. Erste Häuser und Wohnungen werden restauriert, Szene-Clubs und Kneipen entstehen, die Mieten steigen. Alteingesessene werden u. a. durch Mieterhöhungen vertrieben. Neu Eingewanderte, junge Studierende oder aufstrebende Künstler können sich die höheren Mietpreise oft nicht leisten und siedeln sich in anderen Stadtteilen an. Eine neue, oft wohlhabendere Klientel siedelt sich an und setzt andere Lebensstandards durch, hat einfach andere Ansprüche.

 

Immobilienunternehmen entdecken das gesteigerte Interesse und sanieren weitere Häuser luxuriös. Die ursprüngliche Bevölkerungsstruktur und der Charakter der Viertel wandeln sich grundlegend. Einige AutorInnen dieses Bandes behandeln den zuvor beschriebenen Prozess und den (meist vergeblichen) Kampf dagegen herrlich boshaft, satirisch und mit einer ordentlichen Menge Sarkasmus. Andere Autoren betrachten die Veränderungen in ihren Vierteln auf unterhaltsame und kritisch-ironische Weise. Dadurch wird dieses Buch ein absolut lesenswertes Experiment!

 

Sie erzählen böse, ironische Geschichten rund um den mit allerlei Emotionen vollbeladenen Begriff Gentrifizierung, die aber auch lyrisch und amüsant rüber kommen. Dank der lehrreichen Einführung in die Thematik von Sebastian Lehmann kann sich der Leser sofort in die Problematik einfühlen und hineindenken. Diese Anthologie bringt Peotry-Slammer, Lesebühnen-Autoren, Kabarettisten und andere Freigeister zusammen und so bekommt die Leserschaft einen ganz besonderen Rundumblick auf die beschriebene Gentrifizierung, mit all ihren Auswüchsen und Entwicklungen, in der sich sicher so mancher verloren fühlt.

 

Fazit: Dass sich nicht jeder von den unterschiedlichsten Texten angesprochen fühlen wird, liegt schon in der Natur dieses Buches; zu unterschiedlich, zu breit gefächert ist das enthaltene Angebot an Kurzgeschichten, Essays, Gedichten, Liedtexten oder einfachen Erzählungen. Aber genau das macht diese Anthologie auch so spannend!

 

Wolfgang Gonsch

4 Sterne
4 von 5

© 2013 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth

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