Jess Jochimsen: Liebespaare, bitte hier küssen!

Eine fotografische Spurensuche im städtischen Hinterland

München ; dtv ; 2013 ; 160 Seiten ; ISBN 978-3-423-34772-3

 

Das Schäbige, das Bizarre, das Skurrile, das Sonderbare, das Aberwitzige – es verschwindet zusehends aus den auf Hochglanz polierten Innenstädten Deutschlands. Mit ihnen verschwindet aber nicht nur zusehends der Charme, die Liebenswürdigkeit und das Individuelle einer Stadt, einer Metropole sondern auch immer ein kleines Stück Geschichte mit ihren Geschichten rundherum geht verloren. An Ausfallstraßen, in Hinterhöfen oder nicht dem Livestyle entsprechenden Vierteln kann man sie jedoch noch finden: die kleinen Läden, die schon immer da waren - Werkstätten, wie wir sie nur noch vom Pumuckel kennen – oder einfache Buden, die schon immer ein Szenelokal oder ein Geheimtipp für Schlemmer waren. Auch fragwürdige Tanzlokale, heruntergekommene Kleingarten-Kolonien, einstige, dem Verfall anheim gelassene Glaspaläste und sonstige Hinterlassenschaften der Vergangenheit sind hier noch zu finden, alles von einer herzlichen Trostlosigkeit umgeben.

Kabarettist und Multitalent Jess Jochimsen begab sich auf einem Streifzug durchs urbane Hinterland und förderte Lustiges, Groteskes, Schillerndes, unfreiwillig Komisches, Schauriges und Schönes zutage.

In fast hundertfünfzig Farb-Fotografien und mehr als zwei Dutzend Gedankensplittern zeigt er die trotzige Würde der Speckgürtel, die sich aufzulehnen scheinen, gegen die glitzernde, jedoch nur scheinbar heile Welt der Innenstädte, mit ihren immer neueren Palästen, Livestyle-Schuppen und meist leerstehenden, anonymen Penthouse–Anlagen, die sich eine Vorstädter niemals leisten können wird.

Jess Jochimsen und seine Mit-Fotografen fanden auf ihren Streifzügen durchs städtische Hinterland viel obskures, wie z.B. Schilder, Bestattungsdiscounter, heruntergekommene Kleingärten, fragwürdige Tanzlokale und vieles beachtens- und bemerkenswertes mehr, die sie in eine Hommage an die abgewandten Seiten der Städte verarbeiteten. Eine bunte Mischung aus Bild und Text, Reduktion und Tragik, Situationskomik und Bitterkeit.

Fazit: Eine satirische Liebeserklärung an das städtische Hinterland: Skurril, aberwitzig, bizarr.

 

Wolfgang Gonsch

4 Sterne
4 von 5

© 2013 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth