Donna Leon

Das Mädchen seiner Träume

Commissario Brunettis siebzehnter Fall

Hörbuch, gelesen von Jochen Striebeck

Donna Leons mittlerweile siebzehnter Roman um den venezianischen Commissario Brunetti beginnt mit dem Tod seiner betagten, seit Jahren geistig verwirrten Mutter. Bei der Beerdigung lernt er den Priester Padre Antonin kennen, der mit seinem Bruder befreundet ist. Dieser Priester bittet Brunetti, einen vermeintlichen Sektenanführer namens Bruder Leonardo genauer unter die Lupe zu nehmen. Brunetti macht sich vielerlei philosophische Gedanken über den Tod, über Religion und Glauben, die ihn Tag und Nacht beschäftigen. Das alles ist aber nur die Nebenhandlung.

 

Der eigentliche – namensgebende - Fall nimmt erst ziemlich spät seinen Lauf, als im Canale Grande ein totes 11jähriges Mädchen aufgefunden wird, das anfänglich von niemandem vermißt zu werden scheint. Zunächst gestaltet sich die Feststellung der Identität der Leiche sehr schwierig. Das Bild des Mädchens verfolgt Brunetti bis in seine Träume hinein. Bei der Ermittlung der Todesursache stellt sich heraus, daß das Kind aus einer Roma-Familie stammt, die in einer relativ gesetzlosen „Zigeuner-Siedlung“ auf dem Festland lebt.

 

Das Mädchen hat vermutlich mit ihren Geschwistern bei reichen Venezianern aus der Oberklasse eingebrochen und Schmuck gestohlen. Brunetti drängt sich der Verdacht auf, daß die 11-Jährige vom Dach dieses Hauses in den Canale Grande gestürzt ist oder vielleicht sogar hinuntergestoßen wurde.

 

Bei Brunettis Ermittlungen kommt es – wie zu erwarten - zu Konflikten und Meinungsverschiedenheiten mit seinem Chef, Vice-Questore Patta und auch dem politischen Apparat und der Commissario wird in seine Schranken verwiesen. So bleibt ihm wie so oft nur noch die Hilfe von Computerfüchsin Signora Elettra, die immer eine Lösung parat hat, wie man an die verschiedensten Informationen kommt.

 

So kann Brunetti den Fall zwar lösen, es bleiben aber doch einige Fragen offen und das Ende kommt etwas abrupt daher.

 

Ein Genuß für den Italien- und Venedig-Fan sind immer wieder die detaillierten Schilderungen des Alltagslebens von Brunetti und seiner Ehefrau Paola mit den Kindern Raffi und Chiara. Man erfährt so manches über die Mentalität der Venezianer und auch über deren Ess- und Trinkgewohnheiten. Es läuft einem buchstäblich das Wasser im Munde zusammen und man sehnt sich nach einem Espresso in Venedig.

 

Das Hörbuch auf acht CDs ist sehr angenehm gelesen von Jochen Striebeck. Dadurch ist es eine Freude, sich dieses Hörbuch zu Gemüte zu führen.

 

Fazit: "Das Mädchen seiner Träume" ist ein typischer Donna-Leon-Roman - wenn auch nicht einer ihrer besten. Wie immer ist Leon sozialkritisch und durchaus tiefsinnig mit einer gewissen Spannung, so daß die Geschichte nicht allzu schwer verdaulich wird.

 

Tanja Lentner

4 Sterne
4 von 5

Der neue Roman mit dem bekannten Commissario Brunetti beginnt an einem sonnigen Frühlingstag mit der Beerdigung von dessen Mutter, die nach einem langen und erfüllten Leben eingeschlafen ist. Die ganze Familie ist da und trauert um die Verstorbene.


Einige Tage später stattet der Priester Antonin, der ein Freund von Brunettis Bruder ist und der der Mutter bei der Beerdigung seinen Segen gespendet hat, Brunetti einen Besuch ab. Es geht um die Sekte "Die Kinder Jesu Christi", derer Anführer Geld von Mitgliedern verlangt und es für undurchsichtige Zwecke benutzt. Der Priester ist besorgt und bittet Brunetti, diesen zu durchleuchten. Da der Commissario große Vorbehalte gegen die Kirche hegt, lässt seine eigene Glaubensferne ihn an dieser Geschichte zweifeln. Nun will er einen Rat bei seiner Schwiegermutter, einer frommen Frau, in Sachen Kirche einholen und sie überrascht ihn mit ihrem Philosophieren über die Religion, sodass dann auch der Leser in den Genuss ihrer scharfen und klugen Beobachtungen kommt, hinter denen sich zweifellos Donna Leons Ansichten verbergen.


Dieses Thema beherrscht nun mehrere Seiten des Romans und so beschäftigt sich auch der Leser damit, um dann doch festzustellen, dass der eigentliche Kriminalfall erst mit der Entdeckung einer Kinderleiche in einem Kanal beginnt.


Es geht um ein Zigeunermädchen, das einen Ring und eine Uhr bei sich hat, zweifellos Diebesgut. Beides gehört einem gewissen Giorgio Fornari, einem wohlhabenden Herrn. Die Indizien sprechen dafür, dass das Mädchen von einem Dach oder einer Terrasse gefallen ist. Was für einige wie ein Unfall aussieht, lässt Brunetti keine Ruhe, er will Gewissheit haben. Der Gedanke an das Böse belastet Brunetti, er leidet, verzweifelt, sucht nach dem „Warum?“ Geht es hier um ein Verbrechen oder ist das Mädchen unglücklich gestolpert, gestürzt oder ertrunken, weil es nicht schwimmen konnte?

Nun wird dieses Kind überhaupt nicht vermisst, aber ein Kind geht doch nicht einfach verloren. Von der Familie Fornari war an diesem Abend nur die Tochter mit ihrem Verlobten zu Hause, die Terrassentür stand offen und so sind die Kinder - das Zigeunermädchen war nicht allein - in die Wohnung eingedrungen. Der Verlobte ist der Sohn des Innenministers, des Chefs der Ordnungskräfte einschließlich der Polizei. Und dessen Ehefrau gehört zu den Erben eines mächtigen Industriemagnaten. Was für eine Familie! Ihr Sohn ist unberechenbar und ein bei der hiesigen Polizei wegen unerlaubten Drogenbesitzes, schwerer Körperverletzung und Trunkenheit am Steuer Bekannter. Hat er das Zigeunermädchen beim Diebstahl erwischt und von der Terrasse in den Kanal gestoßen?


Dieser Fall raubt Brunetti jegliche Ruhe, die kleine hübsche Zigeunerin wird zum Mädchen seiner Alpträume. Und wieder hat Brunetti eigentlich nichts in der Hand, um den wahren Verbrecher zu stellen. Der einzige Anhaltspunkt besteht in der Aussage eines Kindes, des Bruders des gefundenen toten Mädchens, minderjährig und auch ein Zigeuner. Er hat den Mann gesehen, wie er seine Schwester von der Terrasse runter geworfen hat. Doch gilt offiziell Ertrinken als Todesursache. Klar, da findet sich kein Staatsanwalt, der bereit wäre, auf Grund dieser windigen Zeugenaussage ein Strafverfahren einzuleiten. Ein straffälliges Zigeunerkind als Kronzeuge gegen den Sohn des Innenministers ins Rennen schicken? Unmöglich, gefährlich und aussichtslos. Wie steht es aber mit dem Gesetz, wo "gleiches Recht für alle" gilt? In diesem Fall sind Brunettis Überzeugungen wertlos und ohne Bedeutung.


Die Zigeuner sind doch sowieso für Raub, Einbruch, Diebstahl und sogar Kinderprostitution bekannt. Die so genannten "fahrenden Völker" waren und bleiben von den Gesellschaften, in deren Mitte sie leben, völlig isoliert. Diese Ausgrenzung mussten sie im letzten Krieg in den Vernichtungslagern der Nazis teuer bezahlen, traurig und deprimierend.


Nur zu Hause bei seiner klugen und einfühlsamen Frau Paola und seinen absolut "normalen" Kindern findet Brunetti Trost und Ruhe, aber auch die Erkenntnis, dass das Leben auch noch andere, fröhliche und glückliche Seiten hat. Die Familie gibt ihm Kraft, die anstrengenden Tage mit ihrem Grübeln und Suchen zu überwinden und auf andere Gedanken zu kommen.


So bleibt Brunetti in diesem Fall nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen, sich mit der Unlösbarkeit des Falles abzufinden und seinen guten Grappa zu trinken.


Donna Leon berührt in ihrem Buch sehr sensible Themen: Religion und ihre Rolle in der heutigen Gesellschaft, die Lage der Ausländer in Italien, die Situation von Familie und Staat und die Probleme durch die Touristenmassen in Venedig. Sie beobachtet messerscharf und tiefgründig. Wie immer findet der Leser eine breite Palette des bunten venezianischen Lebens in kleinen Alltagsszenen sehr liebevoll von der "Insiderin" Donna Leon dargestellt.


Fazit: Der neue Roman von Donna Leon ist kein Roman über Mädchenträume, hier fließt kein Blut und es ist auch kein abenteuerlich spannender Thriller. Aber wieder einmal hat es die Autorin geschafft, soziale, gesellschaftliche und menschliche Spannungen zum Ausdruck zu bringen.


Ludmila Hück

4 Sterne
4 von 5

© 2009, 2010 Ludmila Hück, Tanja Lentner, Harald Kloth