Pascal Mercier

Lea

Nach dem weltweiten Erfolg des Romans Der Nachtzug nach Lissabon erschien nun das neue Buch von Pascal Mercier, die Novelle Lea.

 

Adrian Herzog ist ein angesehener Chirurg. In Saint-Remy verweilt er eigentlich auf der Suche nach sich selbst und trifft dort zufällig Martijn van Vliet, Professor für Biokybernetik, der auch wie er aus Bern kommt. Sie treffen sich in einem Cafe, kommen ins Gespräch und treten die Heimreise gemeinsam an. Die Begegnung der beiden öffnet bei Martijn die Schleusen und Adrian wird zu einem Rettungsanker, an dem Martijn sich festhalten und weiter leben will.

 

Auf dieser Reise erzählt Martijn die Geschichte seiner Tochter Lea, die eine sehr begabte und erfolgreiche Geigerin war. Nun hat Adrian auf dieser Reise Zuhörer zu sein, der sich still den Weg in die Welt der Gedanken des Anderen bahnt.

 

Lea ist wirklich ein ganz besonderes Mädchen. Sie ist acht, als ihre Mutter an Krebs sterben muss. Lea trauert sehr, ist verwirrt, hat für nichts Interesse. Auch der Vater, der seine Tochter über alles liebt, kann sie nicht aus dieser Lethargie zurückholen.

 

Doch eines Tages hört sie eine Geigerin spielen und ist begeistert von dieser Musik und vor allem wird sie wieder wach. Leas Verwandlung gleicht einer lautlosen Explosion. Sie bekommt eine Geige, nimmt Musikstunden und entwickelt sich zu einer grandiosen, ehrgeizigen Geigerin. Mit achtzehn liegt ihr die Musikwelt zu Füßen und sie fiebert nach Beifall und Anerkennung, sie ist richtig süchtig nach Bewunderung. Wenn sie spielt, gehen von ihr eine solch ungewöhnliche Autorität und Anmut aus, dass alle nur staunen.

 

Ja, sie wird berühmt, reist viel, spielt perfekt und virtuos ihr Instrument. Doch diese Gabe wird ihr zum Verhängnis. Hinter der Fassade hat es begonnen zu bröckeln, lautlos und unaufhaltsam. Immer mehr entzieht sie sich ihrem Vater. Er merkt, wie mit ihr seltsame Dinge passieren. In einem Wutanfall zerbricht sie die ihr von ihrem Lehrer David Levy geschenkte einmalige Amati-Geige und hört überhaupt auf zu spielen.

 

Sie wird unkontrollierbar, ihr Blick ist oft abwesend, ihre Aggressionen wechseln mit Depressionen. Sie sei nur verschroben und durcheinander, aber doch nicht verrückt?! Was, wenn sie es doch ist? Was, wenn es tatsächlich eine seelische Verwirrung ist, die in ihrem Inneren alles verschiebt? Der Vater gerät in Panik, verdächtigt, leidet, ist hilflos und verzweifelt. Eine Irrenanstalt kommt überhaupt nicht in Frage. Eine Hilfe braucht sein Kind, seine Tochter, aber welche und wie? Was hat er falsch gemacht?

 

Martijn, ein romantischer Zyniker und verrückt nach seiner Tochter, sucht nach einem Weg um Lea zu helfen. Dem Vater gelingt ein Coup, um Forschungsgelder in zweistelliger Millionenhöhe zu erhalten, womit er sich dann strafbar macht. Mit diesem Geld kauft er die neue Geige vom bekannten Guarneri del Gesu, in der Hoffnung, seine Tochter aufs Neue fürs Spielen zu begeistern. Es endet aber alles dann ziemlich tragisch.

 

Der Leser ist fasziniert, nicht nur von der ungewöhnlichen Vater-Tochter Beziehung, sondern auch von der Entwicklung der tiefen Seelenfreundschaft zwischen den beiden Männern.

 

Pascal Mercier schreibt sehr spannend, tief, anspruchsvoll und vor allem sehr bewegend. Er schafft es meisterhaft, kleine, aber sehr schöne Geschichten in diese Novelle zu setzen, die ihr einen besonderen Glanz verleihen.


Fazit: Eine wunderbare, außergewöhnliche Lektüre, für die man sich unbedingt Zeit nehmen muss, so schön sind die Sätze, so intelligent ist die Sprache, die nur Pascal Mercier beherrscht.

 

Ludmila Hück

5 Sterne
5 von 5

© 2007 Ludmila Hück, Harald Kloth