Marek Krajewski

Gespenster in Breslau

Ein Kriminalroman mit Eberhard Mock, Band 1

 

Bordelle, exzessive Gewalt, bizarre Morde, ausschweifender Lebenswandel und humanistische Bildung vor der morbiden Kulisse Breslaus: das sind die Zutaten für die fünf Fälle des Kriminalrats Eberhard Mock.

 

1919. Auf einer der Oder-Inseln werden die grässlich zugerichteten Leichen von vier jungen Männern entdeckt, die Matrosenmützen tragen. Bei ihnen findet Kriminalassistent Eberhard Mock eine an ihn adressierte Notiz: Er solle sich zu seinem Fehler bekennen und anfangen zu glauben. Auf der Suche nach dem Mörder gerät Mock in einen Sumpf aus Gewalt, Bordellen, Prostitution und dunklen Spelunken. Bei seinen Ermittlungen stößt er schließlich auf eine mysteriöse Geheimgesellschaft, die ihn selbst im Visier hat.

 

Der Protagonist dieser Pentalogie, die verschiedene literarische Genres, wie Thriller, Entwicklungsroman, Sozial- und Gesellschaftsstudie sowie historischer Roman verzahnt, ist Kriminalrat Eberhard Mock, ein absolut unsympathischer Kotzbrocken, der sich das Recht nach eigenem Gutdünken und nach Lage zusammen zimmert, eigene Urteile fällt und auch vollstrecken lässt! Er taucht immer wieder in eine grotesk anmutende Welt ein, in Nächte voller Gewalt, Alkohol, Drogen, Sex und anderer Exzesse, und das keineswegs nur zu Recherchezwecken - es ist seine Welt! Auf den ersten Blick wirkt die Figur des von seinen Erlebnissen als Soldat im Ersten Weltkrieg traumatisierten deutschen Polizisten nicht gerade feingeistig: Der Mann neigt der Rechthaberei, der absoluten Arroganz, dem Alkohol und brutalen, schlagenden Argumenten mehr als nur zu; vor seinen Zornesausbrüchen ist nicht einmal seine zartgliedrige Frau gefeit. Er, selbst Liebhaber von brutalem, hartem Sex, schreckt auch nicht davor zurück, seine Ehefrau brutalst durchzuvögeln oder von anderen vergewaltigen zu lassen.

 

Trotz allem ist der in aller Regel beratungsresistente Mock durchaus ein Intellektueller. Der in klassischer Philologie sehr bewanderte, durch und durch versoffene Kriminalist bewundert vor allem die geistigen und materiellen Hervorbringungen der Antike. Er parliert und rezitiert bei allen möglichen Gelegenheiten gut und gern Latein, weiß aber – außer mit „seinen“ Nutten – wenig bis nichts mit seinen Mitmenschen anzufangen.

 

Diese bizarre Mischung aus intelligentem Schnüffler, radikalem Zyniker, Ketten rauchendem Alkoholiker, sensiblem und sadistischem Kotzbrocken trifft in der Eberhard-Mock-Pentalogie auf die Wirklichkeit des mondänen, damals deutschen und immer mehr in Dekadenz versinkenden Breslaus. Marek Krajewskis gespenstische Plots spielen sich in der Zeit zwischen 1919 und 1945 ab, der Epoche zwischen den wilden 20er Jahren, die verrückt nach Leben war, ganz im Zeichen des Aufbruchs nach den Entbehrungen des Ersten Weltkrieges stand und vor Lebensfreude und Lust nur so strotzte bis hin zur bitteren Zeit des Nationalsozialismus und dem daraus resultierenden Chaos und Leid für Millionen.

 

Wer nicht ganz alltägliche, aber authentische, historische Krimikost liebt, in der noch klassische Ermittlungsarbeit, Kombinationsgabe, Innovation und der sprichwörtliche Spürsinn gefragt sind, in der der Autor dem Charakter des Hauptdarstellers die derbe, direkte und rohe Aussprache schuldet, dem sei diese fünfbändige Reihe - die man keineswegs chronologisch lesen muss, aber sollte – wärmstens ans Herz gelegt.

 

Diese außergewöhnliche Krimireihe, mit ihrer ansonsten wahrhaft virtuos-poetischen Sprache um den brutalen, irrsinnigen, versoffenen und Ketten rauchenden dabei aber intelligenten, scharf- und feinsinnigen Kriminalisten und Einzelgänger Eberhard Mock erscheint einem mit fortlaufender Dauer immer apokalyptischer: die spannenden, oft gespenstischen, teils grusligen jedoch immer realitätsnahen Sequenzen in den Geschichten verstärken den Eindruck des Wahnsinnigen. Der Autor entwirft soziale Sittenbilder, ohne moralisch anzuklagen. Der wirklich tolle Gesamteindruck dieser in kein Schema passenden Reihe „leidet“ nur ein kleines bisserl unter dem finalen Band, der einen leicht verwirrten Eindruck hinterlässt.

 

Fazit: Hoffentlich gibt es bald mehr von diesem genialen Erzähler zu lesen!

 

Wolfgang Gonsch

4 Sterne
4 von 5

© 2010 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth