Donna Leon

Die dunkle Stunde der Serenissima

Commissario Brunettis elfter Fall

Endlich sind wir wieder bei unseren Brunettis zu Gast! Es geht wie immer ruhig, leicht behäbig zu, tägliche Routine wird bei den liebgewonnenen Koch- und Tischgesprächen des Ehepaares zu einer Kunstform. Ehefrau Paola hat von ihrem Job als Professorin die Nase voll, ihre gelangweilten Studenten töten ihr den letzten Nerv.

 

Gut das es einige wenige Ausnahmen gibt. Zu diesen gehört die Studentin Claudia Leonardo. Diese bittet Paola eines Tages in einem Gespräch um Hilfe; sie sucht nach einer Möglichkeit einen Mann zu rehabilitieren der kurz nach dem Krieg ihrer Meinung nach zu unrecht verurteilt worden ist und in der berüchtigten Irrenanstalt San Servolo unter mysteriösen Umständen zu Tode kam.

 

Noch bevor die Brunettis eine Lösung finden können fällt Claudia Laonardo einem Mord zum Opfer. Der Commissario glaubt von Anfang an nicht an einen Zufall und versucht die mehr als 50 Jahre auseinander liegenden Fälle zu verknüpfen. Er taucht in eine ihm völlig neue, unbekannte Welt ein, in die Zeit des Faschismus, des Krieges, der Kriegsgewinnler und Menschen die immer auf der Verliererseite stehen.

 

Er beginnt in seinem geliebten Venedig, seiner "La Serenissima", (zu deutsch: die Allerdurchlauchtigste) auf unvergleichliche Weise zu recherchieren, befragt seine Bekannten und Freunde und fügt Indizien unwiderleglich zusammen. Am Ende kommt aber doch wieder einmal alles anders ...

 

Schon von der ersten Seite an merkt man es ganz deutlich: endlich wieder ein guter alter Brunetti! Als Background dient diesmal das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts; die Zeit des Faschismus und Krieges; speziell dreht sich dieser packende Plot um Kunstraub und Denunzierung.

 

Donna Leon hat in ihrem elften Fall zu alter Stärke zurückgefunden, erzählt etwas ernster, nuancierter und voller schriftstellerischer Virtuosität. Sie schafft eine wunderbare Atmosphäre und entwickelt die Protagonisten sehr glaubhaft und sensibel weiter. Ein endlich beförderter Vianello, eine unverzichtbare wie süffisanter werdende Elettra, sogar Brunettis Beziehung zu seinem Schwiegervater Conte Falier wird intimer.

 

Schade dass sie die wundervoll detailliert geschilderten Ansätze italienischer Vergangenheitsbewältigung dem banalen und soliden Krimiplot opfern muss und wie immer nur leicht an der Oberfläche kratzen kann.

 

Hoffentlich widmet sich Donna Leon diesem ernsten Backgroundthema im Stile von Latin Lover oder Eine Amerikanerin in Venedig; eine Vertiefung dieser schwierigen und unbequemen Materie hätte den Rahmen der Handlung wahrscheinlich (leider) gesprengt.

 

So bleibt vom eigentlichen Krimi eine banale Kurzgeschichte mit trivialem, fast unbefriedigendem Ausgang übrig. Trotzdem - oder gerade deswegen ? - ein Muss für alle Brunetti-Fans.

 

Fazit: Einer der besten Brunettis.

 

Wolfgang Gonsch

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2003 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth