Susanne Goga

Die Tote von Charlottenburg

Ein Fall für Leo Wechsler, Band 3

Berlin im Herbst 1923, ein Kosmos, der für viele eine nie endende Faszination ausübte. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges sind fünf Jahre vergangen, die Stadt ist voller bettelnder Kriegsversehrter. Die Berliner Bevölkerung leidet schwer unter der Wirtschaftskrise, der daraus resultierenden Hungersnot und der davon galoppierenden Inflation. Vor allem rechte Gruppierungen versuchen wiederholt, Juden und andere verhasste Volksgruppen für die Misere verantwortlich zu machen. Weitere Hintergrundthemen (die sich jedoch je nach Lage gekonnt und spielerisch leicht in den Vordergrund drängen) sind die immer heftiger werdende Diffamierung und Verfolgung der sogenannten "Ost-Juden" und die damals legalen Menschenversuche in Krankenhäusern. Die kommende, große Katastrophe ist bereits greifbar.

 

Vor diesem explosiven historischen Hintergrund spinnt Susanne Goga einen sehr zu empfehlenden, absolut spannenden und atmosphärischen Kriminalroman rund um Kommissar Leo Wechsler und dessen Team. Sie beschreibt aber nicht nur die fatale wirtschaftliche und extreme politische Lage der Zeit, sondern setzt sich auch sehr gefühlvoll und anschaulich mit der damaligen Rolle der Frau in Familie, Gesellschaft und Beruf auseinander.

 

Um diese sehr informativen, absolut anschaulich beschriebenen Nebenplots lösen Leo Wechsler und sein Team einen überaus kniffligen Fall: Der plötzliche Tod der jungen, weltgewandten, weitgereisten und überaus smarten und starken Ärztin Henriette Strauss schockiert Familie und Kollegen aus dem Luisen-Krankenhaus. Ihr Neffe glaubt jedoch nicht an einen natürlichen Tod und wendet sich an die Polizei. Nach und nach verdichten sich die Hinweise, dass es sich tatsächlich um einen perfiden Mord handeln könnte.

 

Wer aber sollte dem "Engel der Armen", die auch ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für schwangere Frauen, Prostituierte und weibliche Gewaltopfer arbeitete, etwas antun? Wem könnte sie im Weg gestanden haben? Wollte sich womöglich jemand rächen? Aus welchem Grund? Welchem Geheimnis rund um das Luisenkrankenhaus könnte die Ärztin auf der Spur gewesen sein? Fragen über Fragen, viele mögliche Motive, keine Spur.

 

Susanne Goga ist mit diesem abschließenden Roman der Leo-Wechsler-Reihe ein absolut spannender und glaubhaft konstruierter Kriminalroman gelungen, der mit vielen historischen Fakten und einem sehr authentischen Stimmungsbild der frühen 20er Jahre besticht. Selbst die rasanten Wechsel der Handlungsstränge gelingen der Autorin gefühlvoll und virtuos. Die Themenvielfalt dieses 300seitigen Krimis beeindruckt und überzeugt zugleich; die Autorin schafft es scheinbar spielerisch und mit traumwandlerischer Leichtigkeit die Stimmung der damaligen Zeit einzufangen, die zu lesen mindestens genauso spannend ist, wie der Kriminalplot selbst!

 

Die glaubhaft entwickelten Charaktere, die weder gestelzt noch gekünstelt wirken, die hilfreichen Verweise auf historische Persönlichkeiten dieser Zeit, die weiterführenden Literaturhinweise sowie die Auswahl interessanter Internetadressen runden diesen rundum gelungenen, historischen Krimi ab, an dem es nichts, aber auch gar nicht auszusetzen gibt! Schade ist nur, dass es der letzte Fall des Leo Wechsler sein soll.

 

Fazit: Eine stimmungsvolle und spannende Zeitreise, verpackt in einen überzeugenden Krimi - grandios!

 

Wolfgang Gonsch

5 Sterne
5 von 5

© 2012 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth